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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Korrespondenzen.
Die neuenbnrger Frage.

-- Die Rechtsfrage allein, die
seit acht Jahren zwischen Preußen und der Schweiz schwebte, hätte weitere Zögerung
gestattet oder vielmehr erheischt, denn die Anerkennung, die im londoner Protokoll
dem Recht der preußischen Dynastie auf Neuenburg gegeben wurde, hatte Preu¬
ßen durch das Versprechen erwiedert, die Geltendmachung dieses, Rechtes der Ver¬
mittlung der Großmächte zu überlassen und damit seiner selbstständigen Action
gewisse Schranken auferlegt. Um dieselbe wieder frei zu machen, bedürfte es
eines neuen Moments, und ein solches trat durch den verunglückten Scp-
tembcraufstand hinzu. Der Proceß gegen die Royalisten fügt zur Frage des
Rechtes eine Frage der Ehre und während die Lösung jener einen langen Aufschub
zuläßt, fordert die Losung dieser schnelle Entscheidung. Die Vermittlung der
Großmächte, für welche das londoner Protokoll keinen bestimmten Termin setzt,
begrenzt sich von selbst in Betreff des Processes der Royalisten. Denn Preußen,
welches ihre Freilassung vor der Anklage und Aburthcilnng verlangt, kann, wenn
die Schweiz dies Ansinnen zurückweist und mit dem Processe vorschreitet, nicht un-
thätig zuschauen. Es muß handeln, um dem zuvorzukommen, was es als eine
Antastung der Ehre seiner Dynastie erklärt hat.

Man hofft hier um so mehr ans einen friedlichen Ausgang, als man sich
sagt, daß die Verbindung Neuenburgs mit der preußischen Krone letzterer niemals
den geringsten Vortheil gebracht, daß sie vielmehr stets eine Quelle von Verlegen¬
heiten für sie gewesen sei. Das Fürstenthum wurde 184 t als Eanton der Schweiz
zugetheilt, weil die preußische Negierung damals erkannte, daß es vereinzelt, ein
völlig verlorener Posten und bei jedem Conflict mit Frankreich diesem Preis gegeben
sei; sollte Neuenburg jetzt wieder an die preußische Dynastie zurückfallen, so würde
es, bei der gegenwärtigen Verfassung der Schweiz, aufhören müssen, derselben an¬
zugehören. Was man 181i für eine unhaltbare Situation angesehn, würde also
jetzt nnter erschwerenden Umständen nach beiden Seiten, nach der Schweiz, wie
nach Frankreich hin -- versucht werden müssen. Eine gänzlich werth!ose Besitzung
würde nur durch eine im Frieden kostspielige, im Fall eines Kriegs mit Frankreich
ohne Rettung Verlornen Trnppenmacht zu halten sein. Diese Erwägungen glaubte
man um so mehr von der preußischen Negierung getheilt, als man in für officiös
gehaltenen berliner Zeitungen, so wie in anerkannten Organen des Cabinets der
Tuilerien es ausgesprochen sand, nicht auf den Be sitz Neuenbnrgs, sondern nnr auf
die Anerkennung des Rechts und die Wahrung der Ehre seines Königs lege Preu¬
ßen einen Werth.

In ihrem Memorandum sucht die Bundesregierung außer der Hervorhebung
der politischen Zweckdienlichkeit -- und dies ist die unleugbar starke Seite des
schweizerischen Standpunktes -- auch die völlige Rechtmäßigkeit der jetzigen Zustände
in Neuenburg nachzuweisen. Es braucht kaum gesagt zu werde", daß ihre Beweis¬
führung eine ernste Prüfung nicht aushält. Daß der König von Preußen, im
Widerspruch mit seiner Verpflichtung gegen die Stände von Neuenburg, 1806 das
Fürstenthum an Frankreich abgetreten habe, ist, läge nicht selbst die Rechtfertigung


Korrespondenzen.
Die neuenbnrger Frage.

— Die Rechtsfrage allein, die
seit acht Jahren zwischen Preußen und der Schweiz schwebte, hätte weitere Zögerung
gestattet oder vielmehr erheischt, denn die Anerkennung, die im londoner Protokoll
dem Recht der preußischen Dynastie auf Neuenburg gegeben wurde, hatte Preu¬
ßen durch das Versprechen erwiedert, die Geltendmachung dieses, Rechtes der Ver¬
mittlung der Großmächte zu überlassen und damit seiner selbstständigen Action
gewisse Schranken auferlegt. Um dieselbe wieder frei zu machen, bedürfte es
eines neuen Moments, und ein solches trat durch den verunglückten Scp-
tembcraufstand hinzu. Der Proceß gegen die Royalisten fügt zur Frage des
Rechtes eine Frage der Ehre und während die Lösung jener einen langen Aufschub
zuläßt, fordert die Losung dieser schnelle Entscheidung. Die Vermittlung der
Großmächte, für welche das londoner Protokoll keinen bestimmten Termin setzt,
begrenzt sich von selbst in Betreff des Processes der Royalisten. Denn Preußen,
welches ihre Freilassung vor der Anklage und Aburthcilnng verlangt, kann, wenn
die Schweiz dies Ansinnen zurückweist und mit dem Processe vorschreitet, nicht un-
thätig zuschauen. Es muß handeln, um dem zuvorzukommen, was es als eine
Antastung der Ehre seiner Dynastie erklärt hat.

Man hofft hier um so mehr ans einen friedlichen Ausgang, als man sich
sagt, daß die Verbindung Neuenburgs mit der preußischen Krone letzterer niemals
den geringsten Vortheil gebracht, daß sie vielmehr stets eine Quelle von Verlegen¬
heiten für sie gewesen sei. Das Fürstenthum wurde 184 t als Eanton der Schweiz
zugetheilt, weil die preußische Negierung damals erkannte, daß es vereinzelt, ein
völlig verlorener Posten und bei jedem Conflict mit Frankreich diesem Preis gegeben
sei; sollte Neuenburg jetzt wieder an die preußische Dynastie zurückfallen, so würde
es, bei der gegenwärtigen Verfassung der Schweiz, aufhören müssen, derselben an¬
zugehören. Was man 181i für eine unhaltbare Situation angesehn, würde also
jetzt nnter erschwerenden Umständen nach beiden Seiten, nach der Schweiz, wie
nach Frankreich hin — versucht werden müssen. Eine gänzlich werth!ose Besitzung
würde nur durch eine im Frieden kostspielige, im Fall eines Kriegs mit Frankreich
ohne Rettung Verlornen Trnppenmacht zu halten sein. Diese Erwägungen glaubte
man um so mehr von der preußischen Negierung getheilt, als man in für officiös
gehaltenen berliner Zeitungen, so wie in anerkannten Organen des Cabinets der
Tuilerien es ausgesprochen sand, nicht auf den Be sitz Neuenbnrgs, sondern nnr auf
die Anerkennung des Rechts und die Wahrung der Ehre seines Königs lege Preu¬
ßen einen Werth.

In ihrem Memorandum sucht die Bundesregierung außer der Hervorhebung
der politischen Zweckdienlichkeit — und dies ist die unleugbar starke Seite des
schweizerischen Standpunktes — auch die völlige Rechtmäßigkeit der jetzigen Zustände
in Neuenburg nachzuweisen. Es braucht kaum gesagt zu werde«, daß ihre Beweis¬
führung eine ernste Prüfung nicht aushält. Daß der König von Preußen, im
Widerspruch mit seiner Verpflichtung gegen die Stände von Neuenburg, 1806 das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/82>, abgerufen am 27.04.2024.