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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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"Um das Tragödienfragment gründlich abzuhandeln würde aber noch mit
Hilfe von Eginhards Leben Karls des Großen und von Turpins Chronik zu
untersuchen sein, wo die^ Fabel desselben ihre Wurzel hat. Daran hätte sich
schließlich die Bestimmung eines schicklichen Titels des Trauerspiels zu knüpfen,
der dann in einer Gesammtau s gäbe >on Goethes Werken (über
deren Vorbereitung wir ein ander Mal ein Wort sagen möchten
zu gebrauchen wäre; denn der jetzige, "Fragment einer Tragödie", paßt zu eini
gen andern Gaben in Goethes Werken ebensowol, als zu dieser und kann daher
leicht Irrungen veranlassen, wogegen der von Riemer vorgeschlagene, "Eginhard",
der Aufmerksamkeit eine falsche Richtung gibt; er ist offenbar nur ergriffen,
weil Eginhard der einzige Eigenname des Entwurfs ist, erscheint aber gleich¬
wol verwerflich, da sich aus den Bruchstücken nimmermehr ableiten läßt, daß
Eginhard die Hauptperson habe werden sollen.




Ein DemiMoster am Nil.
i,y'DS!5-

Die Zahl der Derwische soll in Aegypten, dem Vaterlande des christlichen
Klosterlebens, sehr beträchtlich sein. Ihr eigentliches Wesen zu charakterisieren
ist ziemlich schwierig, da die verschiedenen Orden verschiedene Lehren, Regeln
und Rituale haben, und das Meiste davon geheim gehalten wird. Ob sich viel
Bedeutendes unter der Oberfläche birgt, nach welcher wir somit zu urtheilen
haben, läßt sich nicht sagen. Wir erlauben uns, es zu bezweifeln. In einigen
Beziehungen lassen sie sich mit den Bettelmönchen der katholischen Kirche ver¬
gleichen, mit welcher der Islam bekanntlich auch die Heiligenverehrung, die
Fürbitte der Heiligen, die ewigen Lampen, Wallfahrten, Reliquie"*), Rosen¬
kränze, die guten Werke und vieles Andere gemein hat. In andern Punkten
haben sie Aehnlichkeit mit unsern Freimaurern, namentlich mit denen, welche
den mystischen Systemen angehören. Endlich gleichen, wie das Folgende zei¬
gen wird, mehre ihrer Orden ganz entschieden den fahrenden Leuten des Mittel¬
alters. Den Gebildeteren unter ihnen wird große Toleranz gegen Anders¬
glaubende nachgerühmt, doch liegt darin noch kein Grund, sie den Nationalisten
beizuzählen; denn auch der Mystiker übt in der Regel solche Duldsamkeit, und



^) In Kairo wird unter Anderm in einer Moschee ein Hemd Mohammeds und in einer
andern der Kopf des Märtyrers Hossain aufbewahrt. Wer hätte nicht, wie wir, bei ersterem
an den heiligen Rock von Trier und an die zahllosen heilige" Hemden aus der Wäschlade der
Jungfrau Maria gedacht, welche dem Zahn der Zeit so glücklich Widerstand leisteten, daß sie
noch heute die Gläubigen durch ihren Anblick erquicken können?

„Um das Tragödienfragment gründlich abzuhandeln würde aber noch mit
Hilfe von Eginhards Leben Karls des Großen und von Turpins Chronik zu
untersuchen sein, wo die^ Fabel desselben ihre Wurzel hat. Daran hätte sich
schließlich die Bestimmung eines schicklichen Titels des Trauerspiels zu knüpfen,
der dann in einer Gesammtau s gäbe >on Goethes Werken (über
deren Vorbereitung wir ein ander Mal ein Wort sagen möchten
zu gebrauchen wäre; denn der jetzige, „Fragment einer Tragödie", paßt zu eini
gen andern Gaben in Goethes Werken ebensowol, als zu dieser und kann daher
leicht Irrungen veranlassen, wogegen der von Riemer vorgeschlagene, „Eginhard",
der Aufmerksamkeit eine falsche Richtung gibt; er ist offenbar nur ergriffen,
weil Eginhard der einzige Eigenname des Entwurfs ist, erscheint aber gleich¬
wol verwerflich, da sich aus den Bruchstücken nimmermehr ableiten läßt, daß
Eginhard die Hauptperson habe werden sollen.




Ein DemiMoster am Nil.
i,y'DS!5-

Die Zahl der Derwische soll in Aegypten, dem Vaterlande des christlichen
Klosterlebens, sehr beträchtlich sein. Ihr eigentliches Wesen zu charakterisieren
ist ziemlich schwierig, da die verschiedenen Orden verschiedene Lehren, Regeln
und Rituale haben, und das Meiste davon geheim gehalten wird. Ob sich viel
Bedeutendes unter der Oberfläche birgt, nach welcher wir somit zu urtheilen
haben, läßt sich nicht sagen. Wir erlauben uns, es zu bezweifeln. In einigen
Beziehungen lassen sie sich mit den Bettelmönchen der katholischen Kirche ver¬
gleichen, mit welcher der Islam bekanntlich auch die Heiligenverehrung, die
Fürbitte der Heiligen, die ewigen Lampen, Wallfahrten, Reliquie»*), Rosen¬
kränze, die guten Werke und vieles Andere gemein hat. In andern Punkten
haben sie Aehnlichkeit mit unsern Freimaurern, namentlich mit denen, welche
den mystischen Systemen angehören. Endlich gleichen, wie das Folgende zei¬
gen wird, mehre ihrer Orden ganz entschieden den fahrenden Leuten des Mittel¬
alters. Den Gebildeteren unter ihnen wird große Toleranz gegen Anders¬
glaubende nachgerühmt, doch liegt darin noch kein Grund, sie den Nationalisten
beizuzählen; denn auch der Mystiker übt in der Regel solche Duldsamkeit, und



^) In Kairo wird unter Anderm in einer Moschee ein Hemd Mohammeds und in einer
andern der Kopf des Märtyrers Hossain aufbewahrt. Wer hätte nicht, wie wir, bei ersterem
an den heiligen Rock von Trier und an die zahllosen heilige» Hemden aus der Wäschlade der
Jungfrau Maria gedacht, welche dem Zahn der Zeit so glücklich Widerstand leisteten, daß sie
noch heute die Gläubigen durch ihren Anblick erquicken können?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/500>, abgerufen am 02.05.2024.