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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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wenn man nach ihrer strengen Beobachtung der Vorschriften in Betreff der
Gebetszeit, des Weingenusses u. a. in. urtheilen darf, so gehören sie vielmehr
zu den Orthodoxen. Entstanden sind sie, wie bekannt, in Persien, von wo
auch der Name stammt, welcher einen Armen bedeutet -- arm zunächst im
weltlichen Sinne, dann in dem, welchen die Bergpredigt meint, wenn sie die
Armen selig preist. Die Schechs und einige andere mögen noch an den Ur-
lehren festhalten, deren Grundgedanke die unio eum veo mystica, das Ver¬
nichten des Ich, das Zusammenlodern desselben mit der göttlichen Lebensflamme
in Liebe war. Die große Masse hat sicher kein Bewußtsein darüber und legt
weit mehr Werth auf die Uebungen und Vorstellungen, die als Nachklänge
des Heidenthums der Länder, über welche sich das Derwischthum allmälig aus¬
breitete, zu betrachten sind, ja sehr viele unterscheiden sich fast in nichts von
der Gauklerzunft der Seiltänzer- und Taschenspielerduden unsrer Jahrmärkte
und Schützenseste.

Ihre Orden werden Tarich, ihre Klöster oder Collegien Tagiah genannt.
Von den erstem gibt eS in Aegypten sechs oder sieben, darunter vier große,
die wieder in mehre Nebenzweige oder selten zerfallen und einen gemeinsamen
OrdenSgeneral im Schech El Bekri haben. Dieser ist ein Nachkomme des ersten
Kalifen Abubekr (woher der Titel) und hat seinen Wohnsitz in Kairo an dem
großen Platz, welcher Esbekieh heißt. Die ägyptischen Hauptorten aber sind:

1) Die Nifayeh, welche schwarze Fahnen haben und schwarze ober wenig¬
stens dunkelblaue Turbane um den rothen Tarbusch tragen. Sie besitzen ein
Kloster in der Nähe der berühmten Moschee Sultan Hassans in Kairo und
zerfallen in mehre Sekten, von denen die Elwanijeh und die Saadijeh die
bekanntesten sind. Jene zeichnen sich durch allerlei seltsame Gauklerkunststücke
aus, die sie bei Festlichkeiten zu produciren pflegen, stechen sich unter dem Vor¬
geben, keinen Schmerz zu fühlen, Messer und Nägel in Brust und Arme,
zerschlagen sich, auf dem Rücken liegend, Steine auf dem Leibe, verspeisen, an¬
scheinend mit Behagen, glühende Kohlen -- ob zur Ehre Gottes, ist uns nicht
bekannt, jedenfalls aber in der Hoffnung auf eine Belohnung in Baarem.
Diese, die Saadijeh, sind Schlangenbändiger und Schlangenfresser, also Zunft-
genossen der altägyptischen Psyllen. Auch sind sie die Classe der Derwische, zu
deren Ceremonien das vermuthlich aus Indien stammende, später zu schildernde
"Dosch" gehört.

2) Die Kaderijeh, von dem berühmten Abdelkader El Gilani gestiftet, mit
weißen Bannern und Turbanen. Sie sind großentheils Fischer und tragen
als Zeichen dieses Handwerks bei ihren Processtonen Angelruthen, Neusten
und buntgefärbte Netze auf Stangen einher.

3) Die Said Bidaui, ein Orden, dessen Stifter der größte Heilige der ägyp¬
tischen Moslemin, Said Achmed El Bidaui von Tarda (in Gebeten auch Abu


wenn man nach ihrer strengen Beobachtung der Vorschriften in Betreff der
Gebetszeit, des Weingenusses u. a. in. urtheilen darf, so gehören sie vielmehr
zu den Orthodoxen. Entstanden sind sie, wie bekannt, in Persien, von wo
auch der Name stammt, welcher einen Armen bedeutet — arm zunächst im
weltlichen Sinne, dann in dem, welchen die Bergpredigt meint, wenn sie die
Armen selig preist. Die Schechs und einige andere mögen noch an den Ur-
lehren festhalten, deren Grundgedanke die unio eum veo mystica, das Ver¬
nichten des Ich, das Zusammenlodern desselben mit der göttlichen Lebensflamme
in Liebe war. Die große Masse hat sicher kein Bewußtsein darüber und legt
weit mehr Werth auf die Uebungen und Vorstellungen, die als Nachklänge
des Heidenthums der Länder, über welche sich das Derwischthum allmälig aus¬
breitete, zu betrachten sind, ja sehr viele unterscheiden sich fast in nichts von
der Gauklerzunft der Seiltänzer- und Taschenspielerduden unsrer Jahrmärkte
und Schützenseste.

Ihre Orden werden Tarich, ihre Klöster oder Collegien Tagiah genannt.
Von den erstem gibt eS in Aegypten sechs oder sieben, darunter vier große,
die wieder in mehre Nebenzweige oder selten zerfallen und einen gemeinsamen
OrdenSgeneral im Schech El Bekri haben. Dieser ist ein Nachkomme des ersten
Kalifen Abubekr (woher der Titel) und hat seinen Wohnsitz in Kairo an dem
großen Platz, welcher Esbekieh heißt. Die ägyptischen Hauptorten aber sind:

1) Die Nifayeh, welche schwarze Fahnen haben und schwarze ober wenig¬
stens dunkelblaue Turbane um den rothen Tarbusch tragen. Sie besitzen ein
Kloster in der Nähe der berühmten Moschee Sultan Hassans in Kairo und
zerfallen in mehre Sekten, von denen die Elwanijeh und die Saadijeh die
bekanntesten sind. Jene zeichnen sich durch allerlei seltsame Gauklerkunststücke
aus, die sie bei Festlichkeiten zu produciren pflegen, stechen sich unter dem Vor¬
geben, keinen Schmerz zu fühlen, Messer und Nägel in Brust und Arme,
zerschlagen sich, auf dem Rücken liegend, Steine auf dem Leibe, verspeisen, an¬
scheinend mit Behagen, glühende Kohlen — ob zur Ehre Gottes, ist uns nicht
bekannt, jedenfalls aber in der Hoffnung auf eine Belohnung in Baarem.
Diese, die Saadijeh, sind Schlangenbändiger und Schlangenfresser, also Zunft-
genossen der altägyptischen Psyllen. Auch sind sie die Classe der Derwische, zu
deren Ceremonien das vermuthlich aus Indien stammende, später zu schildernde
„Dosch" gehört.

2) Die Kaderijeh, von dem berühmten Abdelkader El Gilani gestiftet, mit
weißen Bannern und Turbanen. Sie sind großentheils Fischer und tragen
als Zeichen dieses Handwerks bei ihren Processtonen Angelruthen, Neusten
und buntgefärbte Netze auf Stangen einher.

3) Die Said Bidaui, ein Orden, dessen Stifter der größte Heilige der ägyp¬
tischen Moslemin, Said Achmed El Bidaui von Tarda (in Gebeten auch Abu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/501>, abgerufen am 19.05.2024.