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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die Rewlntion in China.
i.
Die Ursachen.

Zu den eigenthümlichsten Erscheinungen deS ostasiatischen Lebens und in gewis¬
sem Maße zu seinen großartigsten gehört das chinesische Reich. Es ist aber zugleich
die am wenigsten gekannte, ja vielleicht die am gründlichsten mißverstandene dieser
Erscheinungen. Wir meinen dabei nicht blos die Vorstellung des Volkes, die bei
China nur an den Zopf, nicht an den Kops seiner vierthasbhundcrt Millionen
Einwohner denkt, und für die sich der Begriff Chinas in der großen Mauer, dem
Porzellanthurm, Nanking- und Seidenfabriken, wunderlich aufgetakelten Drachen¬
dschonken, unzähligen seltsam bemalten- Theekisten, Opiumpfeifen, hochmüthigen
Mandarinen mit Pfauenfedern auf den Mützen, einem gelbgekleideten Hofstaat,
in dessen Mitte ein unnahbarer, trotzdem aber von den Zeichnern aller Pfennig-
wagazine porträtirter Kaiser thront, und einigen Erinnerungen an die Sprüche
des weisen Konfutse erschöpft. Auch Die Gebildeten irrten in ihrem Urtheil
über dieses nach der Zahl seiner Bewohner größte Reich der Welt vielfach und
am meisten grade in den wesentlichsten Dingen. Wie sie die Hindu, die jetzt
in der Weise reißender Thiere sich empört haben, in Bausch und Bogen als
ein harmloses träumerisches Blumenvolk anzusehen gewohnt waren, so war
ihnen die chinesische Welt eine in Erstarrung gerathene, zu ewiger Stabilität
verurtheilte, deren Leben sich höchstens mit dem Gange einer Uhr vergleichen
ließ. Die altmodische Staatsuhr war ein für alle Mal aufgezogen und regu-
lirt, theils Grundsatz, theils Apathie, theils Feigheit bewahrten sie vor jed¬
weder Aenderung.

Unleugbar hatte diese Vorstellung einige Berechtigung. China hat seit
Zweitausend Jahren seine Grenzen beibehalten, ist weder größer noch kleiner
geworden, hat keine Eroberungskriege geführt und andererseits fremden Er¬
oberern gegenüber eine Unsterblichkeit bewiesen, wie die Weltgeschichte keine gleiche
ö"ge. China hat endlich seit der Zeit, wo wir es genauer kennen lernten, also
seit etwa zwei Jahrhunderten, auch im Innern keine bedeutende Veränderung
erlitten. Jetzt aber sehen wir eS, scheinbar plötzlich, erwachen, in ungeheurem
Drange nach Außen pressen, die Ringe seiner Auswanderung nach Osten, Sü-


Greuzbvten. IV. 18ö7. 21
Die Rewlntion in China.
i.
Die Ursachen.

Zu den eigenthümlichsten Erscheinungen deS ostasiatischen Lebens und in gewis¬
sem Maße zu seinen großartigsten gehört das chinesische Reich. Es ist aber zugleich
die am wenigsten gekannte, ja vielleicht die am gründlichsten mißverstandene dieser
Erscheinungen. Wir meinen dabei nicht blos die Vorstellung des Volkes, die bei
China nur an den Zopf, nicht an den Kops seiner vierthasbhundcrt Millionen
Einwohner denkt, und für die sich der Begriff Chinas in der großen Mauer, dem
Porzellanthurm, Nanking- und Seidenfabriken, wunderlich aufgetakelten Drachen¬
dschonken, unzähligen seltsam bemalten- Theekisten, Opiumpfeifen, hochmüthigen
Mandarinen mit Pfauenfedern auf den Mützen, einem gelbgekleideten Hofstaat,
in dessen Mitte ein unnahbarer, trotzdem aber von den Zeichnern aller Pfennig-
wagazine porträtirter Kaiser thront, und einigen Erinnerungen an die Sprüche
des weisen Konfutse erschöpft. Auch Die Gebildeten irrten in ihrem Urtheil
über dieses nach der Zahl seiner Bewohner größte Reich der Welt vielfach und
am meisten grade in den wesentlichsten Dingen. Wie sie die Hindu, die jetzt
in der Weise reißender Thiere sich empört haben, in Bausch und Bogen als
ein harmloses träumerisches Blumenvolk anzusehen gewohnt waren, so war
ihnen die chinesische Welt eine in Erstarrung gerathene, zu ewiger Stabilität
verurtheilte, deren Leben sich höchstens mit dem Gange einer Uhr vergleichen
ließ. Die altmodische Staatsuhr war ein für alle Mal aufgezogen und regu-
lirt, theils Grundsatz, theils Apathie, theils Feigheit bewahrten sie vor jed¬
weder Aenderung.

Unleugbar hatte diese Vorstellung einige Berechtigung. China hat seit
Zweitausend Jahren seine Grenzen beibehalten, ist weder größer noch kleiner
geworden, hat keine Eroberungskriege geführt und andererseits fremden Er¬
oberern gegenüber eine Unsterblichkeit bewiesen, wie die Weltgeschichte keine gleiche
ö"ge. China hat endlich seit der Zeit, wo wir es genauer kennen lernten, also
seit etwa zwei Jahrhunderten, auch im Innern keine bedeutende Veränderung
erlitten. Jetzt aber sehen wir eS, scheinbar plötzlich, erwachen, in ungeheurem
Drange nach Außen pressen, die Ringe seiner Auswanderung nach Osten, Sü-


Greuzbvten. IV. 18ö7. 21
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[0169] Die Rewlntion in China. i. Die Ursachen. Zu den eigenthümlichsten Erscheinungen deS ostasiatischen Lebens und in gewis¬ sem Maße zu seinen großartigsten gehört das chinesische Reich. Es ist aber zugleich die am wenigsten gekannte, ja vielleicht die am gründlichsten mißverstandene dieser Erscheinungen. Wir meinen dabei nicht blos die Vorstellung des Volkes, die bei China nur an den Zopf, nicht an den Kops seiner vierthasbhundcrt Millionen Einwohner denkt, und für die sich der Begriff Chinas in der großen Mauer, dem Porzellanthurm, Nanking- und Seidenfabriken, wunderlich aufgetakelten Drachen¬ dschonken, unzähligen seltsam bemalten- Theekisten, Opiumpfeifen, hochmüthigen Mandarinen mit Pfauenfedern auf den Mützen, einem gelbgekleideten Hofstaat, in dessen Mitte ein unnahbarer, trotzdem aber von den Zeichnern aller Pfennig- wagazine porträtirter Kaiser thront, und einigen Erinnerungen an die Sprüche des weisen Konfutse erschöpft. Auch Die Gebildeten irrten in ihrem Urtheil über dieses nach der Zahl seiner Bewohner größte Reich der Welt vielfach und am meisten grade in den wesentlichsten Dingen. Wie sie die Hindu, die jetzt in der Weise reißender Thiere sich empört haben, in Bausch und Bogen als ein harmloses träumerisches Blumenvolk anzusehen gewohnt waren, so war ihnen die chinesische Welt eine in Erstarrung gerathene, zu ewiger Stabilität verurtheilte, deren Leben sich höchstens mit dem Gange einer Uhr vergleichen ließ. Die altmodische Staatsuhr war ein für alle Mal aufgezogen und regu- lirt, theils Grundsatz, theils Apathie, theils Feigheit bewahrten sie vor jed¬ weder Aenderung. Unleugbar hatte diese Vorstellung einige Berechtigung. China hat seit Zweitausend Jahren seine Grenzen beibehalten, ist weder größer noch kleiner geworden, hat keine Eroberungskriege geführt und andererseits fremden Er¬ oberern gegenüber eine Unsterblichkeit bewiesen, wie die Weltgeschichte keine gleiche ö"ge. China hat endlich seit der Zeit, wo wir es genauer kennen lernten, also seit etwa zwei Jahrhunderten, auch im Innern keine bedeutende Veränderung erlitten. Jetzt aber sehen wir eS, scheinbar plötzlich, erwachen, in ungeheurem Drange nach Außen pressen, die Ringe seiner Auswanderung nach Osten, Sü- Greuzbvten. IV. 18ö7. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/169>, abgerufen am 30.04.2024.