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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die GMrisis.

"Alles hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit,"
so sagte schon Salomo, und es hat nicht grade salomonische Weisheit dazu
gehört, um zu dieser Erkenntniß zu gelangen. Dennoch schien die hohe Börse
und schienen noch mehr die, welche an die Börse glauben, jene Wahrheit
vergessen zu haben. Sie lachten über die schönen Banken, welche ihnen so
herrliche Procente gaben, und sie lachten über daS edle Börsenspiel, wo eS
nur Treffer und keine nieder zu geben schien. Sie lachten und verspotteten
die Propheten des Unglücks, welche das Ende deS Schwindels voraussagten:
Pereire ist klug, er wird schon Mittel finden, und Louis Napoleon kann
Pereire nicht fallen lassen. Zwar ist das Lachen schon einige Zeit vorüber,
aber die Zuversicht, daß es wiederkehren werde, hatte bei vielen nicht nach¬
gelassen; jetzt aber ist die Zeit des Weinens gekommen, wo die Course in ein
unendliches Weichen geriethen und der Disconto auf eine schwindelnde Höhe
stieg. Kein Papier, das noch Sicherheit gab, keine Operation, die nicht Ver¬
luste herbeiführte. Als zuerst die Course an den großen Börsen fielen, waS
von dem Tage an geschah, wo die zeitweiligen Inhaber der Papiere, die nicht
regelmäßig an der Börse "machten", kein weiteres Steigen derselben und nur
noch problematische Zinsen und Dividenden sahen, also etwa gegen Schluß
des Sommers, damals sagten die Hellseher an der Börse, die Papiere werden
bis zu einem Punkte an Werth verlieren, der dem wirklichen Ertrag
der Uincrnehmungen entspricht. Sie vergaßen nur daS Naturgesetz, nach
welchem der bewegte Pendel nicht auf der senkrechten Linie stehen bleibt,
sondern im Verhältniß zur frühern Bewegung auf die andere Seite hinüber¬
schlägt. Und sie vergaßen, daß Mißtrauen und Angst diese Gegenwirkung
verstärken, während sie in der physischen Welt durch die Reibung vermindert
wird. Die Papiere gingen zum starren Entsetzen der Börsenmänner hinunter,
hinunter, und hielten nur einen Augenblick an, als die großen Bankiers einige
hundert Tausende daran setzten, um einige Millionen zu retten. Sie hielten
"ber nur einen Augenblick an, um weiter zu fallen und fallen noch immer. '

Da steht sie nun diese große neue segensreiche Erfindung, der Credit
Mobilier, der Alles, uaS er berührte, zu Gold machen wollte, da steht sie.


Grexzboten IV. <8ö7. 26
Die GMrisis.

„Alles hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit,"
so sagte schon Salomo, und es hat nicht grade salomonische Weisheit dazu
gehört, um zu dieser Erkenntniß zu gelangen. Dennoch schien die hohe Börse
und schienen noch mehr die, welche an die Börse glauben, jene Wahrheit
vergessen zu haben. Sie lachten über die schönen Banken, welche ihnen so
herrliche Procente gaben, und sie lachten über daS edle Börsenspiel, wo eS
nur Treffer und keine nieder zu geben schien. Sie lachten und verspotteten
die Propheten des Unglücks, welche das Ende deS Schwindels voraussagten:
Pereire ist klug, er wird schon Mittel finden, und Louis Napoleon kann
Pereire nicht fallen lassen. Zwar ist das Lachen schon einige Zeit vorüber,
aber die Zuversicht, daß es wiederkehren werde, hatte bei vielen nicht nach¬
gelassen; jetzt aber ist die Zeit des Weinens gekommen, wo die Course in ein
unendliches Weichen geriethen und der Disconto auf eine schwindelnde Höhe
stieg. Kein Papier, das noch Sicherheit gab, keine Operation, die nicht Ver¬
luste herbeiführte. Als zuerst die Course an den großen Börsen fielen, waS
von dem Tage an geschah, wo die zeitweiligen Inhaber der Papiere, die nicht
regelmäßig an der Börse „machten", kein weiteres Steigen derselben und nur
noch problematische Zinsen und Dividenden sahen, also etwa gegen Schluß
des Sommers, damals sagten die Hellseher an der Börse, die Papiere werden
bis zu einem Punkte an Werth verlieren, der dem wirklichen Ertrag
der Uincrnehmungen entspricht. Sie vergaßen nur daS Naturgesetz, nach
welchem der bewegte Pendel nicht auf der senkrechten Linie stehen bleibt,
sondern im Verhältniß zur frühern Bewegung auf die andere Seite hinüber¬
schlägt. Und sie vergaßen, daß Mißtrauen und Angst diese Gegenwirkung
verstärken, während sie in der physischen Welt durch die Reibung vermindert
wird. Die Papiere gingen zum starren Entsetzen der Börsenmänner hinunter,
hinunter, und hielten nur einen Augenblick an, als die großen Bankiers einige
hundert Tausende daran setzten, um einige Millionen zu retten. Sie hielten
"ber nur einen Augenblick an, um weiter zu fallen und fallen noch immer. '

Da steht sie nun diese große neue segensreiche Erfindung, der Credit
Mobilier, der Alles, uaS er berührte, zu Gold machen wollte, da steht sie.


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[0209] Die GMrisis. „Alles hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit," so sagte schon Salomo, und es hat nicht grade salomonische Weisheit dazu gehört, um zu dieser Erkenntniß zu gelangen. Dennoch schien die hohe Börse und schienen noch mehr die, welche an die Börse glauben, jene Wahrheit vergessen zu haben. Sie lachten über die schönen Banken, welche ihnen so herrliche Procente gaben, und sie lachten über daS edle Börsenspiel, wo eS nur Treffer und keine nieder zu geben schien. Sie lachten und verspotteten die Propheten des Unglücks, welche das Ende deS Schwindels voraussagten: Pereire ist klug, er wird schon Mittel finden, und Louis Napoleon kann Pereire nicht fallen lassen. Zwar ist das Lachen schon einige Zeit vorüber, aber die Zuversicht, daß es wiederkehren werde, hatte bei vielen nicht nach¬ gelassen; jetzt aber ist die Zeit des Weinens gekommen, wo die Course in ein unendliches Weichen geriethen und der Disconto auf eine schwindelnde Höhe stieg. Kein Papier, das noch Sicherheit gab, keine Operation, die nicht Ver¬ luste herbeiführte. Als zuerst die Course an den großen Börsen fielen, waS von dem Tage an geschah, wo die zeitweiligen Inhaber der Papiere, die nicht regelmäßig an der Börse „machten", kein weiteres Steigen derselben und nur noch problematische Zinsen und Dividenden sahen, also etwa gegen Schluß des Sommers, damals sagten die Hellseher an der Börse, die Papiere werden bis zu einem Punkte an Werth verlieren, der dem wirklichen Ertrag der Uincrnehmungen entspricht. Sie vergaßen nur daS Naturgesetz, nach welchem der bewegte Pendel nicht auf der senkrechten Linie stehen bleibt, sondern im Verhältniß zur frühern Bewegung auf die andere Seite hinüber¬ schlägt. Und sie vergaßen, daß Mißtrauen und Angst diese Gegenwirkung verstärken, während sie in der physischen Welt durch die Reibung vermindert wird. Die Papiere gingen zum starren Entsetzen der Börsenmänner hinunter, hinunter, und hielten nur einen Augenblick an, als die großen Bankiers einige hundert Tausende daran setzten, um einige Millionen zu retten. Sie hielten "ber nur einen Augenblick an, um weiter zu fallen und fallen noch immer. ' Da steht sie nun diese große neue segensreiche Erfindung, der Credit Mobilier, der Alles, uaS er berührte, zu Gold machen wollte, da steht sie. Grexzboten IV. <8ö7. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/209>, abgerufen am 30.04.2024.