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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mers durch ähnliches Anklingen. Es war so viel vom Tannhänsercharaktcr "hin-
cingeheimnißt", daß man auf den Verdacht kommen konnte, Liszt habe diesen
Weg benutzt, um die bekannte Sprache seines Freundes einmal wieder aus einer
Bühne ertönen zu lassen, von der sie durch hohen Widerwillen schon seit Langem
verbannt worden ist. Vielleicht ist hier die Lösung des genialen Räthsels, von
welchem das Extrablatt spricht.

Was die Seele des Hörers bewegen, erheben, befreien könnte, fehlt der liszt-
schen Musik durchaus. Nicht zehn Takte lang hebt er uns über die Erde. Immer
stoßen wir wieder aus den steinichten Boden; und während der echte Künstler uns
mit sich in die Lüfte nimmt, uns neue Fernen erblicken und aller Gefahren spotten
läßt, die unsere luftige Reise bedrohen könnten, sehen wir hier einen ungeheuren
Apparat zu einer Flugmaschine in Bewegung gesetzt, die uns -- denn sie tyran-
nisirt unsere Nerven -- nöthigt, die verzweifeltsten aller Flugversuche mitzumachen,
um endlich halb zerschellt uns ins Freie zu retten. Nichts als Anläufe, nichts als
vergebliche Anstrengungen, und das in einer Kunst, bei welcher wir vor allem die
Arbeit des Künstlers vergessen müssen, soll sie uns wohlthun!

Die wunderbare Erscheinung, daß Liszt während zehn Jahren Dirigirens noch
nicht des Taktirstocks Herr geworden ist, ward schon von andern Seiten gerügt.
Da nichts leichter ist, als mit wagrechten Schlägen senkrechte in solcher Weise
wechseln zu lassen, daß die Musiker wissen, ob ein Takt anhebt oder ob mittlere
Taktglicder gemeint sind, so ist eine Caprice allein die Erklärung für die Ver-
schmähung dieses einfachsten Dirigentcnhandgriffs. Die Fuge im letzten Theil
brachte denn auch die tüchtige dresdner Kapelle in eine Gefahr, die ihr nicht oft
begegnet; und gäbe es in lisztschen Kompositionen nicht eine so undeutliche Anzahl
von Ruhepunkten, wo sich Versprengte wieder sammeln können, so hätte alle G^
Schicklichkeit der einzelnen Musiker das Umwerfen nicht verhindert.

Wir sprachen schon den Wunsch aus, daß Liszt zum Flügel zurückkehren und
dadurch der Kritik die immer neue Veranlassung nehmen möge, zu tadeln und
ewig wieder zu tadeln. Wozu ein Künstler Beruf hat, darin allein kann er Be-
friedigendes leisten. Aller Schweiß bringt ihn in andern Dingen nicht vorwärts-
"Laßt uus hier schließen" , sagt Dante am Schluß seiner göttlichen Komödie, und
Liszt möge die Nutzanwendung in Bezug auf seiue musikalischen Versuche selbst
machen -- "laßt uns hier schließen, wie ein kundiger Schneider, der das Gewand
macht, je nachdem er Zeug hat."




Literatur.
Historische Literatur.

-- Die Osmanen und die spanische Monarch"
im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Von Leopold Ranke. Dulde
Auflage (Fürsten und Völker von Südeuropa. Erster Band). -- Berlin, Duncker ".
Humblot. -- Es sind jetzt gerade dreißig Jahre her. daß dieses Werk zum ersten


mers durch ähnliches Anklingen. Es war so viel vom Tannhänsercharaktcr „hin-
cingeheimnißt", daß man auf den Verdacht kommen konnte, Liszt habe diesen
Weg benutzt, um die bekannte Sprache seines Freundes einmal wieder aus einer
Bühne ertönen zu lassen, von der sie durch hohen Widerwillen schon seit Langem
verbannt worden ist. Vielleicht ist hier die Lösung des genialen Räthsels, von
welchem das Extrablatt spricht.

Was die Seele des Hörers bewegen, erheben, befreien könnte, fehlt der liszt-
schen Musik durchaus. Nicht zehn Takte lang hebt er uns über die Erde. Immer
stoßen wir wieder aus den steinichten Boden; und während der echte Künstler uns
mit sich in die Lüfte nimmt, uns neue Fernen erblicken und aller Gefahren spotten
läßt, die unsere luftige Reise bedrohen könnten, sehen wir hier einen ungeheuren
Apparat zu einer Flugmaschine in Bewegung gesetzt, die uns — denn sie tyran-
nisirt unsere Nerven — nöthigt, die verzweifeltsten aller Flugversuche mitzumachen,
um endlich halb zerschellt uns ins Freie zu retten. Nichts als Anläufe, nichts als
vergebliche Anstrengungen, und das in einer Kunst, bei welcher wir vor allem die
Arbeit des Künstlers vergessen müssen, soll sie uns wohlthun!

Die wunderbare Erscheinung, daß Liszt während zehn Jahren Dirigirens noch
nicht des Taktirstocks Herr geworden ist, ward schon von andern Seiten gerügt.
Da nichts leichter ist, als mit wagrechten Schlägen senkrechte in solcher Weise
wechseln zu lassen, daß die Musiker wissen, ob ein Takt anhebt oder ob mittlere
Taktglicder gemeint sind, so ist eine Caprice allein die Erklärung für die Ver-
schmähung dieses einfachsten Dirigentcnhandgriffs. Die Fuge im letzten Theil
brachte denn auch die tüchtige dresdner Kapelle in eine Gefahr, die ihr nicht oft
begegnet; und gäbe es in lisztschen Kompositionen nicht eine so undeutliche Anzahl
von Ruhepunkten, wo sich Versprengte wieder sammeln können, so hätte alle G^
Schicklichkeit der einzelnen Musiker das Umwerfen nicht verhindert.

Wir sprachen schon den Wunsch aus, daß Liszt zum Flügel zurückkehren und
dadurch der Kritik die immer neue Veranlassung nehmen möge, zu tadeln und
ewig wieder zu tadeln. Wozu ein Künstler Beruf hat, darin allein kann er Be-
friedigendes leisten. Aller Schweiß bringt ihn in andern Dingen nicht vorwärts-
„Laßt uus hier schließen" , sagt Dante am Schluß seiner göttlichen Komödie, und
Liszt möge die Nutzanwendung in Bezug auf seiue musikalischen Versuche selbst
machen — „laßt uns hier schließen, wie ein kundiger Schneider, der das Gewand
macht, je nachdem er Zeug hat."




Literatur.
Historische Literatur.

— Die Osmanen und die spanische Monarch"
im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Von Leopold Ranke. Dulde
Auflage (Fürsten und Völker von Südeuropa. Erster Band). — Berlin, Duncker ».
Humblot. — Es sind jetzt gerade dreißig Jahre her. daß dieses Werk zum ersten


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[0324] mers durch ähnliches Anklingen. Es war so viel vom Tannhänsercharaktcr „hin- cingeheimnißt", daß man auf den Verdacht kommen konnte, Liszt habe diesen Weg benutzt, um die bekannte Sprache seines Freundes einmal wieder aus einer Bühne ertönen zu lassen, von der sie durch hohen Widerwillen schon seit Langem verbannt worden ist. Vielleicht ist hier die Lösung des genialen Räthsels, von welchem das Extrablatt spricht. Was die Seele des Hörers bewegen, erheben, befreien könnte, fehlt der liszt- schen Musik durchaus. Nicht zehn Takte lang hebt er uns über die Erde. Immer stoßen wir wieder aus den steinichten Boden; und während der echte Künstler uns mit sich in die Lüfte nimmt, uns neue Fernen erblicken und aller Gefahren spotten läßt, die unsere luftige Reise bedrohen könnten, sehen wir hier einen ungeheuren Apparat zu einer Flugmaschine in Bewegung gesetzt, die uns — denn sie tyran- nisirt unsere Nerven — nöthigt, die verzweifeltsten aller Flugversuche mitzumachen, um endlich halb zerschellt uns ins Freie zu retten. Nichts als Anläufe, nichts als vergebliche Anstrengungen, und das in einer Kunst, bei welcher wir vor allem die Arbeit des Künstlers vergessen müssen, soll sie uns wohlthun! Die wunderbare Erscheinung, daß Liszt während zehn Jahren Dirigirens noch nicht des Taktirstocks Herr geworden ist, ward schon von andern Seiten gerügt. Da nichts leichter ist, als mit wagrechten Schlägen senkrechte in solcher Weise wechseln zu lassen, daß die Musiker wissen, ob ein Takt anhebt oder ob mittlere Taktglicder gemeint sind, so ist eine Caprice allein die Erklärung für die Ver- schmähung dieses einfachsten Dirigentcnhandgriffs. Die Fuge im letzten Theil brachte denn auch die tüchtige dresdner Kapelle in eine Gefahr, die ihr nicht oft begegnet; und gäbe es in lisztschen Kompositionen nicht eine so undeutliche Anzahl von Ruhepunkten, wo sich Versprengte wieder sammeln können, so hätte alle G^ Schicklichkeit der einzelnen Musiker das Umwerfen nicht verhindert. Wir sprachen schon den Wunsch aus, daß Liszt zum Flügel zurückkehren und dadurch der Kritik die immer neue Veranlassung nehmen möge, zu tadeln und ewig wieder zu tadeln. Wozu ein Künstler Beruf hat, darin allein kann er Be- friedigendes leisten. Aller Schweiß bringt ihn in andern Dingen nicht vorwärts- „Laßt uus hier schließen" , sagt Dante am Schluß seiner göttlichen Komödie, und Liszt möge die Nutzanwendung in Bezug auf seiue musikalischen Versuche selbst machen — „laßt uns hier schließen, wie ein kundiger Schneider, der das Gewand macht, je nachdem er Zeug hat." Literatur. Historische Literatur. — Die Osmanen und die spanische Monarch" im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Von Leopold Ranke. Dulde Auflage (Fürsten und Völker von Südeuropa. Erster Band). — Berlin, Duncker ». Humblot. — Es sind jetzt gerade dreißig Jahre her. daß dieses Werk zum ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/324>, abgerufen am 30.04.2024.