Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine ähnliche Nachahmung ins Leben gerufen haben, wie auf allen übrigen.
So umfassende Beschäftigung die Römer den bildenden Künsten auch gaben,
sie gestanden ihnen doch nie denselben Platz unter den Interessen der gebildeten
Welt zu, den sich die übrigen zum Theil trotz der stärksten Antipathien er-
rungen haben.




Kleine ästhetische Streisziige.
njWk

Von Jahr zu Jahr vermindert sich die Zahl der poetischen Schöpfungen,
die etwas Eigenthümliches und Bedeutendes enthalten und deshalb die Kritik
zu eingehender Besprechung bestimmen. Die Thatsache ist so allgemein be¬
kannt und über die Gründe hat man sich so vielfach ausgesprochen, daß eS
nicht nöthig ist, alte Klagen von Neuem wieder aufzuregen. Statt dessen be¬
gnügen wir uns damit, auf diejenigen neuen Schriften hinzuweisen, in denen
wenigstens ein beachtenswerthes Talent sich zeigt. Für heute haben wir es
mit dem Fvrmtalent zu thun; auch dies ist seit den letzten Jahren sehr im
Sinken und wenn mau von den höhern Anforderungen an die Poesie ganz
abstrahirt, wenn man seinen Wunsch darauf beschränkt, für den gegebenen
Stoff die angemessene poetische Sprache in Anspruch zu nehmen, so wird auch
dieser Wunsch nur ausnahmsweise befriedigt. Zu diesen Ausnahmen gehören
drei uns vorliegende Dichtungen: Gunhilde, eine Mähr von Hegener
(Berlin, Decker); Ruth, lyrisches Drama in zwei Handlungen von Löwe
(Schwerin, Oertzen); und Nimrod, ein Trauerspiel vou G. Kinkel (Han¬
nover, Nümpler). In allen dreien finden wir eine zugleich edle und gefällige
Sprache, die freilich überwiegend lyrisch ist, ein sehr schwaches episches oder
dramatisches Talent, aber ein aufrichtiges Streben nach poetischer Schönheit.
Am angenehmsten liest sich Gunhilde, wo, allerdings nur in einem kleinen Nahmen,
die Nibelungensprache sehr geschickt copirt ist. Der Dichter der Ruth hat
der modernen Empfindungsweise einen gar zu großen Raum verstattet, von
dem einfachen plastischen Ton der Bibel bleibt keine Spur, und man versteht
nicht recht, warum man die weite Reise nach dem Orient machen ioll, um
doch nur den Wiederhall romantischer Sonette zu vernehmen. Allein läßt
man dieses Mißverhältniß aus dem Sinn, so entdeckt man in der Empfindung
und Anschauung nicht unbedeutende Schönheiten. Das zuletzt genannte
Drama interessirr uns zunächst durch den Namen seines Verfassers, der in
einem einleitenden Gedicht mit stolzer Resignation auf seine frühere politische Thä¬
tigkeit hindeutet, und in dem Stück selbst, welches nicht nur alle theatralischen, son-


eine ähnliche Nachahmung ins Leben gerufen haben, wie auf allen übrigen.
So umfassende Beschäftigung die Römer den bildenden Künsten auch gaben,
sie gestanden ihnen doch nie denselben Platz unter den Interessen der gebildeten
Welt zu, den sich die übrigen zum Theil trotz der stärksten Antipathien er-
rungen haben.




Kleine ästhetische Streisziige.
njWk

Von Jahr zu Jahr vermindert sich die Zahl der poetischen Schöpfungen,
die etwas Eigenthümliches und Bedeutendes enthalten und deshalb die Kritik
zu eingehender Besprechung bestimmen. Die Thatsache ist so allgemein be¬
kannt und über die Gründe hat man sich so vielfach ausgesprochen, daß eS
nicht nöthig ist, alte Klagen von Neuem wieder aufzuregen. Statt dessen be¬
gnügen wir uns damit, auf diejenigen neuen Schriften hinzuweisen, in denen
wenigstens ein beachtenswerthes Talent sich zeigt. Für heute haben wir es
mit dem Fvrmtalent zu thun; auch dies ist seit den letzten Jahren sehr im
Sinken und wenn mau von den höhern Anforderungen an die Poesie ganz
abstrahirt, wenn man seinen Wunsch darauf beschränkt, für den gegebenen
Stoff die angemessene poetische Sprache in Anspruch zu nehmen, so wird auch
dieser Wunsch nur ausnahmsweise befriedigt. Zu diesen Ausnahmen gehören
drei uns vorliegende Dichtungen: Gunhilde, eine Mähr von Hegener
(Berlin, Decker); Ruth, lyrisches Drama in zwei Handlungen von Löwe
(Schwerin, Oertzen); und Nimrod, ein Trauerspiel vou G. Kinkel (Han¬
nover, Nümpler). In allen dreien finden wir eine zugleich edle und gefällige
Sprache, die freilich überwiegend lyrisch ist, ein sehr schwaches episches oder
dramatisches Talent, aber ein aufrichtiges Streben nach poetischer Schönheit.
Am angenehmsten liest sich Gunhilde, wo, allerdings nur in einem kleinen Nahmen,
die Nibelungensprache sehr geschickt copirt ist. Der Dichter der Ruth hat
der modernen Empfindungsweise einen gar zu großen Raum verstattet, von
dem einfachen plastischen Ton der Bibel bleibt keine Spur, und man versteht
nicht recht, warum man die weite Reise nach dem Orient machen ioll, um
doch nur den Wiederhall romantischer Sonette zu vernehmen. Allein läßt
man dieses Mißverhältniß aus dem Sinn, so entdeckt man in der Empfindung
und Anschauung nicht unbedeutende Schönheiten. Das zuletzt genannte
Drama interessirr uns zunächst durch den Namen seines Verfassers, der in
einem einleitenden Gedicht mit stolzer Resignation auf seine frühere politische Thä¬
tigkeit hindeutet, und in dem Stück selbst, welches nicht nur alle theatralischen, son-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105085"/>
            <p xml:id="ID_980" prev="#ID_979"> eine ähnliche Nachahmung ins Leben gerufen haben, wie auf allen übrigen.<lb/>
So umfassende Beschäftigung die Römer den bildenden Künsten auch gaben,<lb/>
sie gestanden ihnen doch nie denselben Platz unter den Interessen der gebildeten<lb/>
Welt zu, den sich die übrigen zum Theil trotz der stärksten Antipathien er-<lb/>
rungen haben.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kleine ästhetische Streisziige.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> njWk</head><lb/>
            <p xml:id="ID_981" next="#ID_982"> Von Jahr zu Jahr vermindert sich die Zahl der poetischen Schöpfungen,<lb/>
die etwas Eigenthümliches und Bedeutendes enthalten und deshalb die Kritik<lb/>
zu eingehender Besprechung bestimmen. Die Thatsache ist so allgemein be¬<lb/>
kannt und über die Gründe hat man sich so vielfach ausgesprochen, daß eS<lb/>
nicht nöthig ist, alte Klagen von Neuem wieder aufzuregen. Statt dessen be¬<lb/>
gnügen wir uns damit, auf diejenigen neuen Schriften hinzuweisen, in denen<lb/>
wenigstens ein beachtenswerthes Talent sich zeigt. Für heute haben wir es<lb/>
mit dem Fvrmtalent zu thun; auch dies ist seit den letzten Jahren sehr im<lb/>
Sinken und wenn mau von den höhern Anforderungen an die Poesie ganz<lb/>
abstrahirt, wenn man seinen Wunsch darauf beschränkt, für den gegebenen<lb/>
Stoff die angemessene poetische Sprache in Anspruch zu nehmen, so wird auch<lb/>
dieser Wunsch nur ausnahmsweise befriedigt. Zu diesen Ausnahmen gehören<lb/>
drei uns vorliegende Dichtungen: Gunhilde, eine Mähr von Hegener<lb/>
(Berlin, Decker); Ruth, lyrisches Drama in zwei Handlungen von Löwe<lb/>
(Schwerin, Oertzen); und Nimrod, ein Trauerspiel vou G. Kinkel (Han¬<lb/>
nover, Nümpler). In allen dreien finden wir eine zugleich edle und gefällige<lb/>
Sprache, die freilich überwiegend lyrisch ist, ein sehr schwaches episches oder<lb/>
dramatisches Talent, aber ein aufrichtiges Streben nach poetischer Schönheit.<lb/>
Am angenehmsten liest sich Gunhilde, wo, allerdings nur in einem kleinen Nahmen,<lb/>
die Nibelungensprache sehr geschickt copirt ist. Der Dichter der Ruth hat<lb/>
der modernen Empfindungsweise einen gar zu großen Raum verstattet, von<lb/>
dem einfachen plastischen Ton der Bibel bleibt keine Spur, und man versteht<lb/>
nicht recht, warum man die weite Reise nach dem Orient machen ioll, um<lb/>
doch nur den Wiederhall romantischer Sonette zu vernehmen. Allein läßt<lb/>
man dieses Mißverhältniß aus dem Sinn, so entdeckt man in der Empfindung<lb/>
und Anschauung nicht unbedeutende Schönheiten. Das zuletzt genannte<lb/>
Drama interessirr uns zunächst durch den Namen seines Verfassers, der in<lb/>
einem einleitenden Gedicht mit stolzer Resignation auf seine frühere politische Thä¬<lb/>
tigkeit hindeutet, und in dem Stück selbst, welches nicht nur alle theatralischen, son-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] eine ähnliche Nachahmung ins Leben gerufen haben, wie auf allen übrigen. So umfassende Beschäftigung die Römer den bildenden Künsten auch gaben, sie gestanden ihnen doch nie denselben Platz unter den Interessen der gebildeten Welt zu, den sich die übrigen zum Theil trotz der stärksten Antipathien er- rungen haben. Kleine ästhetische Streisziige. njWk Von Jahr zu Jahr vermindert sich die Zahl der poetischen Schöpfungen, die etwas Eigenthümliches und Bedeutendes enthalten und deshalb die Kritik zu eingehender Besprechung bestimmen. Die Thatsache ist so allgemein be¬ kannt und über die Gründe hat man sich so vielfach ausgesprochen, daß eS nicht nöthig ist, alte Klagen von Neuem wieder aufzuregen. Statt dessen be¬ gnügen wir uns damit, auf diejenigen neuen Schriften hinzuweisen, in denen wenigstens ein beachtenswerthes Talent sich zeigt. Für heute haben wir es mit dem Fvrmtalent zu thun; auch dies ist seit den letzten Jahren sehr im Sinken und wenn mau von den höhern Anforderungen an die Poesie ganz abstrahirt, wenn man seinen Wunsch darauf beschränkt, für den gegebenen Stoff die angemessene poetische Sprache in Anspruch zu nehmen, so wird auch dieser Wunsch nur ausnahmsweise befriedigt. Zu diesen Ausnahmen gehören drei uns vorliegende Dichtungen: Gunhilde, eine Mähr von Hegener (Berlin, Decker); Ruth, lyrisches Drama in zwei Handlungen von Löwe (Schwerin, Oertzen); und Nimrod, ein Trauerspiel vou G. Kinkel (Han¬ nover, Nümpler). In allen dreien finden wir eine zugleich edle und gefällige Sprache, die freilich überwiegend lyrisch ist, ein sehr schwaches episches oder dramatisches Talent, aber ein aufrichtiges Streben nach poetischer Schönheit. Am angenehmsten liest sich Gunhilde, wo, allerdings nur in einem kleinen Nahmen, die Nibelungensprache sehr geschickt copirt ist. Der Dichter der Ruth hat der modernen Empfindungsweise einen gar zu großen Raum verstattet, von dem einfachen plastischen Ton der Bibel bleibt keine Spur, und man versteht nicht recht, warum man die weite Reise nach dem Orient machen ioll, um doch nur den Wiederhall romantischer Sonette zu vernehmen. Allein läßt man dieses Mißverhältniß aus dem Sinn, so entdeckt man in der Empfindung und Anschauung nicht unbedeutende Schönheiten. Das zuletzt genannte Drama interessirr uns zunächst durch den Namen seines Verfassers, der in einem einleitenden Gedicht mit stolzer Resignation auf seine frühere politische Thä¬ tigkeit hindeutet, und in dem Stück selbst, welches nicht nur alle theatralischen, son-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/350>, abgerufen am 30.04.2024.