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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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fand in der Nähe von Neapel kleine, den pompejanischen sehr ähnliche Häuser;
im Innern sah man "nett geflochtene Rohrstühle, eine Kommode ganz vergol¬
det, mit bunten Blumen staffirt und lackirt, so daß nach so vielen Jahrhun¬
derten, nach unzähligen Veränderungen, diese Gegend ihren Bewohnern ähn¬
liche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt." Aus Ita¬
lien hat sich diese Bilderlust und mit ihr die zu ihrer Befriedigung nothwendige
künstlerische Thätigkeit über alle Länder der alten Welt verbreitet, denen die
Römer den gleichförmigen Charakter ihrer Cultur aufgeprägt haben.

Wäre aus der römischen Welt nichts auf uns gekommen, als die uner¬
meßlichen Reste des künstlerischen Schmucks, von dem sie erfüllt war, so würden
wir wahrscheinlich bei den Römern allgemeine Verbreitung einer Kunstliebe
voraussetzen, die in der Geschichte der Menschheit ihres Gleichen nicht hätte.
Wäre dagegen nichts erhalten als die Ueberbleibsel ihrer Literatur, wie wir
sie jetzt besitzen, so würden wir keine Ahnung davon haben, daß der künstlerische
Schmuck in jenen Jahrhunderten ein allgemeines Bedürfniß war, überhaupt
Von der damaligen Kunst fast nichts wissen, als daß sie in allen Theilen des Reichs
in großer Ausdehnung zu monumentalen Zwecken verwendet wurde, ohne daß
man ihren Schöpfungen einen selbstständigen, innern Werth beilegte. Die
richtige Ansicht gewinnen wir erst aus dem Zusammenhalten der schriftlichen
mit den Kunstdenkmälern. Die Gewohnheit, die Kunst als Genußmittel zu
benutzen, durch sie das Leben zu verschönern und zu erheitern, hat bei den Römern
>n einem staunenswürdigen Grade alle Schichten der Gesellschaft durchdrungen;
die dadurch hervorgerufene Thätigkeit der Kunst in der ganzen römischen Welt
ist eine großartig imposante gewesen. Aber anders als äußerlich haben die
Römer die griechische Kunst sich niemals anzueignen vermocht, Einfluß auf ihre
Bildung hat sie niemals geübt/und der Gebrauch, den sie von ihr gemacht
haben, hat am meisten zu ihrem Verfall beigetragen.

Mit dieser Auffassung stimmt eS sehr wohl überein, daß von einem aus¬
übenden Dilettantismus in der Malerei und Sculptur sich nur sehr vereinzelte
Spuren finden, dies ist um so auffallender, da der Dilettantismus in den
übrigen Künsten sich so äußerst breit macht, auch in denen, deren Ausübung
Römern lange für unschicklich, selbst beschimpfend gegolten hatte, als Musik,
Tanz und selbst Schauspielkunst, während doch die Beschäftigung mit Pinsel
und Meißel keineswegs durch die nationale Ansicht in gleicher Weise verpönt
war. Allerdings werden vier Kaiser als Dilettanten in den zeichnenden Künsten
genannt (Nero, Hadrian, Alerander Severus und Valentinian); und diese
Zahl ist auffallend groß, Aber eS muß Zufall gewesen sein, daß grade unter
de" Kaisern so viele ausübende Liebhaber waren; denn dies sind eben auch
beinahe die einzigen Fälle, die wir aus einer Literatur von vier bis fünfhun¬
dert Jahren kennen. Nirgend zeigt sich, daß diese Beispiele auf diesem Gebiet


fand in der Nähe von Neapel kleine, den pompejanischen sehr ähnliche Häuser;
im Innern sah man „nett geflochtene Rohrstühle, eine Kommode ganz vergol¬
det, mit bunten Blumen staffirt und lackirt, so daß nach so vielen Jahrhun¬
derten, nach unzähligen Veränderungen, diese Gegend ihren Bewohnern ähn¬
liche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt." Aus Ita¬
lien hat sich diese Bilderlust und mit ihr die zu ihrer Befriedigung nothwendige
künstlerische Thätigkeit über alle Länder der alten Welt verbreitet, denen die
Römer den gleichförmigen Charakter ihrer Cultur aufgeprägt haben.

Wäre aus der römischen Welt nichts auf uns gekommen, als die uner¬
meßlichen Reste des künstlerischen Schmucks, von dem sie erfüllt war, so würden
wir wahrscheinlich bei den Römern allgemeine Verbreitung einer Kunstliebe
voraussetzen, die in der Geschichte der Menschheit ihres Gleichen nicht hätte.
Wäre dagegen nichts erhalten als die Ueberbleibsel ihrer Literatur, wie wir
sie jetzt besitzen, so würden wir keine Ahnung davon haben, daß der künstlerische
Schmuck in jenen Jahrhunderten ein allgemeines Bedürfniß war, überhaupt
Von der damaligen Kunst fast nichts wissen, als daß sie in allen Theilen des Reichs
in großer Ausdehnung zu monumentalen Zwecken verwendet wurde, ohne daß
man ihren Schöpfungen einen selbstständigen, innern Werth beilegte. Die
richtige Ansicht gewinnen wir erst aus dem Zusammenhalten der schriftlichen
mit den Kunstdenkmälern. Die Gewohnheit, die Kunst als Genußmittel zu
benutzen, durch sie das Leben zu verschönern und zu erheitern, hat bei den Römern
>n einem staunenswürdigen Grade alle Schichten der Gesellschaft durchdrungen;
die dadurch hervorgerufene Thätigkeit der Kunst in der ganzen römischen Welt
ist eine großartig imposante gewesen. Aber anders als äußerlich haben die
Römer die griechische Kunst sich niemals anzueignen vermocht, Einfluß auf ihre
Bildung hat sie niemals geübt/und der Gebrauch, den sie von ihr gemacht
haben, hat am meisten zu ihrem Verfall beigetragen.

Mit dieser Auffassung stimmt eS sehr wohl überein, daß von einem aus¬
übenden Dilettantismus in der Malerei und Sculptur sich nur sehr vereinzelte
Spuren finden, dies ist um so auffallender, da der Dilettantismus in den
übrigen Künsten sich so äußerst breit macht, auch in denen, deren Ausübung
Römern lange für unschicklich, selbst beschimpfend gegolten hatte, als Musik,
Tanz und selbst Schauspielkunst, während doch die Beschäftigung mit Pinsel
und Meißel keineswegs durch die nationale Ansicht in gleicher Weise verpönt
war. Allerdings werden vier Kaiser als Dilettanten in den zeichnenden Künsten
genannt (Nero, Hadrian, Alerander Severus und Valentinian); und diese
Zahl ist auffallend groß, Aber eS muß Zufall gewesen sein, daß grade unter
de» Kaisern so viele ausübende Liebhaber waren; denn dies sind eben auch
beinahe die einzigen Fälle, die wir aus einer Literatur von vier bis fünfhun¬
dert Jahren kennen. Nirgend zeigt sich, daß diese Beispiele auf diesem Gebiet


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[0349] fand in der Nähe von Neapel kleine, den pompejanischen sehr ähnliche Häuser; im Innern sah man „nett geflochtene Rohrstühle, eine Kommode ganz vergol¬ det, mit bunten Blumen staffirt und lackirt, so daß nach so vielen Jahrhun¬ derten, nach unzähligen Veränderungen, diese Gegend ihren Bewohnern ähn¬ liche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt." Aus Ita¬ lien hat sich diese Bilderlust und mit ihr die zu ihrer Befriedigung nothwendige künstlerische Thätigkeit über alle Länder der alten Welt verbreitet, denen die Römer den gleichförmigen Charakter ihrer Cultur aufgeprägt haben. Wäre aus der römischen Welt nichts auf uns gekommen, als die uner¬ meßlichen Reste des künstlerischen Schmucks, von dem sie erfüllt war, so würden wir wahrscheinlich bei den Römern allgemeine Verbreitung einer Kunstliebe voraussetzen, die in der Geschichte der Menschheit ihres Gleichen nicht hätte. Wäre dagegen nichts erhalten als die Ueberbleibsel ihrer Literatur, wie wir sie jetzt besitzen, so würden wir keine Ahnung davon haben, daß der künstlerische Schmuck in jenen Jahrhunderten ein allgemeines Bedürfniß war, überhaupt Von der damaligen Kunst fast nichts wissen, als daß sie in allen Theilen des Reichs in großer Ausdehnung zu monumentalen Zwecken verwendet wurde, ohne daß man ihren Schöpfungen einen selbstständigen, innern Werth beilegte. Die richtige Ansicht gewinnen wir erst aus dem Zusammenhalten der schriftlichen mit den Kunstdenkmälern. Die Gewohnheit, die Kunst als Genußmittel zu benutzen, durch sie das Leben zu verschönern und zu erheitern, hat bei den Römern >n einem staunenswürdigen Grade alle Schichten der Gesellschaft durchdrungen; die dadurch hervorgerufene Thätigkeit der Kunst in der ganzen römischen Welt ist eine großartig imposante gewesen. Aber anders als äußerlich haben die Römer die griechische Kunst sich niemals anzueignen vermocht, Einfluß auf ihre Bildung hat sie niemals geübt/und der Gebrauch, den sie von ihr gemacht haben, hat am meisten zu ihrem Verfall beigetragen. Mit dieser Auffassung stimmt eS sehr wohl überein, daß von einem aus¬ übenden Dilettantismus in der Malerei und Sculptur sich nur sehr vereinzelte Spuren finden, dies ist um so auffallender, da der Dilettantismus in den übrigen Künsten sich so äußerst breit macht, auch in denen, deren Ausübung Römern lange für unschicklich, selbst beschimpfend gegolten hatte, als Musik, Tanz und selbst Schauspielkunst, während doch die Beschäftigung mit Pinsel und Meißel keineswegs durch die nationale Ansicht in gleicher Weise verpönt war. Allerdings werden vier Kaiser als Dilettanten in den zeichnenden Künsten genannt (Nero, Hadrian, Alerander Severus und Valentinian); und diese Zahl ist auffallend groß, Aber eS muß Zufall gewesen sein, daß grade unter de» Kaisern so viele ausübende Liebhaber waren; denn dies sind eben auch beinahe die einzigen Fälle, die wir aus einer Literatur von vier bis fünfhun¬ dert Jahren kennen. Nirgend zeigt sich, daß diese Beispiele auf diesem Gebiet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/349>, abgerufen am 21.05.2024.