Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Handelsstaaten bewahrt, allmälig mehr auf fremde gemiethete, als auf eigne
Truppen zu vertrauen; sie hat ihm in den Augen der Völker jenen Nimbus
wieder gegeben, von dem der orientalische Krieg ihm einen Theil genommen
!atte; sie hat endlich die politische Stellung Englands wieder befestigt. Die
ausgesprochene Schadenfreude seiner Feinde in Nußland und die schlecht ver¬
hehlte seiner angeblichen Freunde in Frankreich werden dadurch zum Still¬
schweigen gebracht. Uno mehr als dies. Während in den ersten Zeiten des
Aufstandes der englischen Regierung Concessionen in einer wichtigen politischen
Frage gewissermaßen abgezwungen wurden, konnte zu Anfang des November
Lord Palmerston der Welt verkünden, die alte Zeit sei wieder da, in der Eng¬
land sich nichts mehr abtrotzen lasse. Gewiß ein großer Tag im Leben des
vielerfahrener und vielgescholtenen alten Diplomaten, und ein noch größerer
in dem des herrschaftmächtigen, immer wieder sich verjüngenden englischen
Volkes!




Literatur.

F. v. Gentz Briefe an Christ. Garvc -1789--98, herausgegeben von
". sah ö n horn. Breslau, 1857. -- Die Materialien zur Beurtheilung von Gcntzs
Charakter haben in diesem Jahre zwei interessante Bereicherungen erfahren, den
Briefwechsel mit Adam Müller, welcher in diesen Blättern schon besprochen wurde,
und die genannte Korrespondenz mit Garve. Beide zeigen denselben Mann in
höchst verschiedenen Lagen; wen" die Briefe an und von Müller in eine Zeit
fallen, wo Gentz bereits eine bedeutende Stellung einnahm, und daher politisch
wichtiger sind, so sehen wir in seinen Schreiben an Garve die Anfänge eines
geistigen Lebens, das für Deutschland von großer Bedeutung geworden ist. Gentz
war keine frühreife Natur, er entwickelt sich langsam, aber sicher. Die Philosophie
war für ihn wie für so viele seiner Zeitgenossen der Wecker zu einer neuen Thätig¬
keit, sie rüttelte ihn auf. arbeitete seinen Geist durch, aber nahm ihn nicht gefan¬
gen. Wie Schiller auf die Länge von der kantischen Philosophie nicht befriedigt werden
konnte, sondern mit gereifter und verjüngter Kraft zur Poesie zurückkehrte, so ge¬
fügte auch Gentz für seine dem realen Leben zugewandten Interessen der kategori¬
sche Imperativ nicht und er ging bald von der Betrachtung der Dinge, wie sie sein
sollen, über auf die Verhältnisse, wie sie sind. Eine ähnliche Erscheinung haben
K>ir in unsern Tagen bei so manchen bedeutenden Köpfen der hegelschen Philosophie
gegenüber gesehen, und wir werden es fast bei allen epochemachenden Ereignissen
des geistigen und materiellen Lebens verfolgen können, daß die gewöhnlichen Talente
darin die Lösung aller Räthsel und das Heilmittel sür alle Uebel sehen, während
größer angelegte Naturen sich zwar der Einwirkung nicht entziehen, ihre Spuren
' vielleicht nachhaltig tragen, aber darüber hinauskommen.

Die ersten Briefe der Sammlung, welche -1789 beginnt, zeigen Gentz noch


Handelsstaaten bewahrt, allmälig mehr auf fremde gemiethete, als auf eigne
Truppen zu vertrauen; sie hat ihm in den Augen der Völker jenen Nimbus
wieder gegeben, von dem der orientalische Krieg ihm einen Theil genommen
!atte; sie hat endlich die politische Stellung Englands wieder befestigt. Die
ausgesprochene Schadenfreude seiner Feinde in Nußland und die schlecht ver¬
hehlte seiner angeblichen Freunde in Frankreich werden dadurch zum Still¬
schweigen gebracht. Uno mehr als dies. Während in den ersten Zeiten des
Aufstandes der englischen Regierung Concessionen in einer wichtigen politischen
Frage gewissermaßen abgezwungen wurden, konnte zu Anfang des November
Lord Palmerston der Welt verkünden, die alte Zeit sei wieder da, in der Eng¬
land sich nichts mehr abtrotzen lasse. Gewiß ein großer Tag im Leben des
vielerfahrener und vielgescholtenen alten Diplomaten, und ein noch größerer
in dem des herrschaftmächtigen, immer wieder sich verjüngenden englischen
Volkes!




Literatur.

F. v. Gentz Briefe an Christ. Garvc -1789—98, herausgegeben von
». sah ö n horn. Breslau, 1857. — Die Materialien zur Beurtheilung von Gcntzs
Charakter haben in diesem Jahre zwei interessante Bereicherungen erfahren, den
Briefwechsel mit Adam Müller, welcher in diesen Blättern schon besprochen wurde,
und die genannte Korrespondenz mit Garve. Beide zeigen denselben Mann in
höchst verschiedenen Lagen; wen» die Briefe an und von Müller in eine Zeit
fallen, wo Gentz bereits eine bedeutende Stellung einnahm, und daher politisch
wichtiger sind, so sehen wir in seinen Schreiben an Garve die Anfänge eines
geistigen Lebens, das für Deutschland von großer Bedeutung geworden ist. Gentz
war keine frühreife Natur, er entwickelt sich langsam, aber sicher. Die Philosophie
war für ihn wie für so viele seiner Zeitgenossen der Wecker zu einer neuen Thätig¬
keit, sie rüttelte ihn auf. arbeitete seinen Geist durch, aber nahm ihn nicht gefan¬
gen. Wie Schiller auf die Länge von der kantischen Philosophie nicht befriedigt werden
konnte, sondern mit gereifter und verjüngter Kraft zur Poesie zurückkehrte, so ge¬
fügte auch Gentz für seine dem realen Leben zugewandten Interessen der kategori¬
sche Imperativ nicht und er ging bald von der Betrachtung der Dinge, wie sie sein
sollen, über auf die Verhältnisse, wie sie sind. Eine ähnliche Erscheinung haben
K>ir in unsern Tagen bei so manchen bedeutenden Köpfen der hegelschen Philosophie
gegenüber gesehen, und wir werden es fast bei allen epochemachenden Ereignissen
des geistigen und materiellen Lebens verfolgen können, daß die gewöhnlichen Talente
darin die Lösung aller Räthsel und das Heilmittel sür alle Uebel sehen, während
größer angelegte Naturen sich zwar der Einwirkung nicht entziehen, ihre Spuren
' vielleicht nachhaltig tragen, aber darüber hinauskommen.

Die ersten Briefe der Sammlung, welche -1789 beginnt, zeigen Gentz noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105100"/>
          <p xml:id="ID_1015" prev="#ID_1014"> Handelsstaaten bewahrt, allmälig mehr auf fremde gemiethete, als auf eigne<lb/>
Truppen zu vertrauen; sie hat ihm in den Augen der Völker jenen Nimbus<lb/>
wieder gegeben, von dem der orientalische Krieg ihm einen Theil genommen<lb/>
!atte; sie hat endlich die politische Stellung Englands wieder befestigt. Die<lb/>
ausgesprochene Schadenfreude seiner Feinde in Nußland und die schlecht ver¬<lb/>
hehlte seiner angeblichen Freunde in Frankreich werden dadurch zum Still¬<lb/>
schweigen gebracht. Uno mehr als dies. Während in den ersten Zeiten des<lb/>
Aufstandes der englischen Regierung Concessionen in einer wichtigen politischen<lb/>
Frage gewissermaßen abgezwungen wurden, konnte zu Anfang des November<lb/>
Lord Palmerston der Welt verkünden, die alte Zeit sei wieder da, in der Eng¬<lb/>
land sich nichts mehr abtrotzen lasse. Gewiß ein großer Tag im Leben des<lb/>
vielerfahrener und vielgescholtenen alten Diplomaten, und ein noch größerer<lb/>
in dem des herrschaftmächtigen, immer wieder sich verjüngenden englischen<lb/>
Volkes!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1016"> F. v. Gentz Briefe an Christ. Garvc -1789&#x2014;98, herausgegeben von<lb/>
». sah ö n horn. Breslau, 1857. &#x2014; Die Materialien zur Beurtheilung von Gcntzs<lb/>
Charakter haben in diesem Jahre zwei interessante Bereicherungen erfahren, den<lb/>
Briefwechsel mit Adam Müller, welcher in diesen Blättern schon besprochen wurde,<lb/>
und die genannte Korrespondenz mit Garve. Beide zeigen denselben Mann in<lb/>
höchst verschiedenen Lagen; wen» die Briefe an und von Müller in eine Zeit<lb/>
fallen, wo Gentz bereits eine bedeutende Stellung einnahm, und daher politisch<lb/>
wichtiger sind, so sehen wir in seinen Schreiben an Garve die Anfänge eines<lb/>
geistigen Lebens, das für Deutschland von großer Bedeutung geworden ist. Gentz<lb/>
war keine frühreife Natur, er entwickelt sich langsam, aber sicher. Die Philosophie<lb/>
war für ihn wie für so viele seiner Zeitgenossen der Wecker zu einer neuen Thätig¬<lb/>
keit, sie rüttelte ihn auf. arbeitete seinen Geist durch, aber nahm ihn nicht gefan¬<lb/>
gen. Wie Schiller auf die Länge von der kantischen Philosophie nicht befriedigt werden<lb/>
konnte, sondern mit gereifter und verjüngter Kraft zur Poesie zurückkehrte, so ge¬<lb/>
fügte auch Gentz für seine dem realen Leben zugewandten Interessen der kategori¬<lb/>
sche Imperativ nicht und er ging bald von der Betrachtung der Dinge, wie sie sein<lb/>
sollen, über auf die Verhältnisse, wie sie sind. Eine ähnliche Erscheinung haben<lb/>
K&gt;ir in unsern Tagen bei so manchen bedeutenden Köpfen der hegelschen Philosophie<lb/>
gegenüber gesehen, und wir werden es fast bei allen epochemachenden Ereignissen<lb/>
des geistigen und materiellen Lebens verfolgen können, daß die gewöhnlichen Talente<lb/>
darin die Lösung aller Räthsel und das Heilmittel sür alle Uebel sehen, während<lb/>
größer angelegte Naturen sich zwar der Einwirkung nicht entziehen, ihre Spuren<lb/>
' vielleicht nachhaltig tragen, aber darüber hinauskommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Die ersten Briefe der Sammlung, welche -1789 beginnt, zeigen Gentz noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Handelsstaaten bewahrt, allmälig mehr auf fremde gemiethete, als auf eigne Truppen zu vertrauen; sie hat ihm in den Augen der Völker jenen Nimbus wieder gegeben, von dem der orientalische Krieg ihm einen Theil genommen !atte; sie hat endlich die politische Stellung Englands wieder befestigt. Die ausgesprochene Schadenfreude seiner Feinde in Nußland und die schlecht ver¬ hehlte seiner angeblichen Freunde in Frankreich werden dadurch zum Still¬ schweigen gebracht. Uno mehr als dies. Während in den ersten Zeiten des Aufstandes der englischen Regierung Concessionen in einer wichtigen politischen Frage gewissermaßen abgezwungen wurden, konnte zu Anfang des November Lord Palmerston der Welt verkünden, die alte Zeit sei wieder da, in der Eng¬ land sich nichts mehr abtrotzen lasse. Gewiß ein großer Tag im Leben des vielerfahrener und vielgescholtenen alten Diplomaten, und ein noch größerer in dem des herrschaftmächtigen, immer wieder sich verjüngenden englischen Volkes! Literatur. F. v. Gentz Briefe an Christ. Garvc -1789—98, herausgegeben von ». sah ö n horn. Breslau, 1857. — Die Materialien zur Beurtheilung von Gcntzs Charakter haben in diesem Jahre zwei interessante Bereicherungen erfahren, den Briefwechsel mit Adam Müller, welcher in diesen Blättern schon besprochen wurde, und die genannte Korrespondenz mit Garve. Beide zeigen denselben Mann in höchst verschiedenen Lagen; wen» die Briefe an und von Müller in eine Zeit fallen, wo Gentz bereits eine bedeutende Stellung einnahm, und daher politisch wichtiger sind, so sehen wir in seinen Schreiben an Garve die Anfänge eines geistigen Lebens, das für Deutschland von großer Bedeutung geworden ist. Gentz war keine frühreife Natur, er entwickelt sich langsam, aber sicher. Die Philosophie war für ihn wie für so viele seiner Zeitgenossen der Wecker zu einer neuen Thätig¬ keit, sie rüttelte ihn auf. arbeitete seinen Geist durch, aber nahm ihn nicht gefan¬ gen. Wie Schiller auf die Länge von der kantischen Philosophie nicht befriedigt werden konnte, sondern mit gereifter und verjüngter Kraft zur Poesie zurückkehrte, so ge¬ fügte auch Gentz für seine dem realen Leben zugewandten Interessen der kategori¬ sche Imperativ nicht und er ging bald von der Betrachtung der Dinge, wie sie sein sollen, über auf die Verhältnisse, wie sie sind. Eine ähnliche Erscheinung haben K>ir in unsern Tagen bei so manchen bedeutenden Köpfen der hegelschen Philosophie gegenüber gesehen, und wir werden es fast bei allen epochemachenden Ereignissen des geistigen und materiellen Lebens verfolgen können, daß die gewöhnlichen Talente darin die Lösung aller Räthsel und das Heilmittel sür alle Uebel sehen, während größer angelegte Naturen sich zwar der Einwirkung nicht entziehen, ihre Spuren ' vielleicht nachhaltig tragen, aber darüber hinauskommen. Die ersten Briefe der Sammlung, welche -1789 beginnt, zeigen Gentz noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/365>, abgerufen am 30.04.2024.