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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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tausend? erfüllte eine Leidenschaft, die in der That an Raserei grenzte. Je-
mehr der Lauf sich seinem Ende näherte, desto mehr steigerte sich Spannung,
Angst, Wuth, Jubel und Ausgelassenheit. Mit den Augen unablässig die
rennenden Wagen verfolgend, klatschten und schrien sie aus allen Kräften,
sprangen von den Sitzen auf, bogen sich vor, schwenkten Tücher und Ge¬
wänder, trieben die Pferde ihrer Partei mit Zurufen an, streckten die Arme
aus, als wenn sie in die Bahn hineinreichen könnten, knirschten mit den
Zähnen, drohten mit Mienen und Geberden, jubelten und triumphirten. Epiktet
erzählt, daß einer seiner Bekannten einmal, als sein Favorilpferd im Nachtheil
zu sein fehle", sich in seinen Mantel hüllte und ohnmächtig wurde und als
es wider Erwarten die Spitze gewonnen, durch kaltes Wasser wieder zum
Bewußtsein zurückgebracht werden mußte. Endlich kam der erste Wagen am
Ziele an und das donnernde Jubelgeschrei der gewinnenden Partei, in das
sich Flüche und Verwünschungen mischten, von den Wänden des Aventin und
Palatin zurückgeworfen und verdoppelt, hallte über daS verlassene Rom hin
und verkündete den Einzelnen, die aus irgeud einem Grunde zu Hause geblieben
waren, den Ausgang des Wettkampfs; es traf noch das Ohr des Reisenden,
der die Stadt schon aus dem Gesicht verloren halte. Sehr häufig dauerte
das Nennen vom früher Morgen bis zum späten Abend, und vom Morgen
bis zum Abend harrte das Volk aus trotz Sonnenglut und Regenschauer
und warb nicht müde, daS Schauspiel mit derselben Leidenschaft zu ver¬
folgen.




Die Geldnot!) in Hamburg.

Die große Krankheit der Handelswelt hat nun auch Hamburg ergriffen. Geld
ist in den Bankgewölben, viele Millionen in Silber, aber bezahlen können wir
nicht. Unsere Geschäftsfreunde mochten, schon im eigenen Interesse, uns beistehen,
aber sie können uns nicht helfen. Es ist eine sehr schwere Zeit. Jener älteste
Mann, der bei jeder außerordentlichen Gelegenheit gefragt wird, ob er sich eines
ähnlichen Vorfalls erinnere, hat mit tonloser Stimme geantwortet: nein, das habe
er noch nicht erlebt!

Wie ist das möglich, werden die Leser fragen, das unermeßlich reiche Ham¬
burg mit seinen gediegenen Kaufleuten, seinem soliden Geschäftsgang, seinem un¬
geheuren Credit, es kann nicht bezahlen? Haben alle seine Geschäftsleute Bankrott
gemacht? Pfui des häßlichen Wortes, es heißt jetzt höflicher Suspension. Noch
kaum ein Dutzend und noch lange nicht die ersten Firmen haben suspendirt, aber,
und damit kommt man der Sache schon näher, von den mehren tausend Kauf¬
leuten, welche alltäglich die Börse besuchen,' könne" nicht fünfzig im Voraus sagen,
ob sie in den nächsten Wochen all ihren Verpflichtungen nachzukommen vermögen.
Wir haben die Börse zu einer Volksversammlung gemacht und Reden gehalten,


tausend? erfüllte eine Leidenschaft, die in der That an Raserei grenzte. Je-
mehr der Lauf sich seinem Ende näherte, desto mehr steigerte sich Spannung,
Angst, Wuth, Jubel und Ausgelassenheit. Mit den Augen unablässig die
rennenden Wagen verfolgend, klatschten und schrien sie aus allen Kräften,
sprangen von den Sitzen auf, bogen sich vor, schwenkten Tücher und Ge¬
wänder, trieben die Pferde ihrer Partei mit Zurufen an, streckten die Arme
aus, als wenn sie in die Bahn hineinreichen könnten, knirschten mit den
Zähnen, drohten mit Mienen und Geberden, jubelten und triumphirten. Epiktet
erzählt, daß einer seiner Bekannten einmal, als sein Favorilpferd im Nachtheil
zu sein fehle», sich in seinen Mantel hüllte und ohnmächtig wurde und als
es wider Erwarten die Spitze gewonnen, durch kaltes Wasser wieder zum
Bewußtsein zurückgebracht werden mußte. Endlich kam der erste Wagen am
Ziele an und das donnernde Jubelgeschrei der gewinnenden Partei, in das
sich Flüche und Verwünschungen mischten, von den Wänden des Aventin und
Palatin zurückgeworfen und verdoppelt, hallte über daS verlassene Rom hin
und verkündete den Einzelnen, die aus irgeud einem Grunde zu Hause geblieben
waren, den Ausgang des Wettkampfs; es traf noch das Ohr des Reisenden,
der die Stadt schon aus dem Gesicht verloren halte. Sehr häufig dauerte
das Nennen vom früher Morgen bis zum späten Abend, und vom Morgen
bis zum Abend harrte das Volk aus trotz Sonnenglut und Regenschauer
und warb nicht müde, daS Schauspiel mit derselben Leidenschaft zu ver¬
folgen.




Die Geldnot!) in Hamburg.

Die große Krankheit der Handelswelt hat nun auch Hamburg ergriffen. Geld
ist in den Bankgewölben, viele Millionen in Silber, aber bezahlen können wir
nicht. Unsere Geschäftsfreunde mochten, schon im eigenen Interesse, uns beistehen,
aber sie können uns nicht helfen. Es ist eine sehr schwere Zeit. Jener älteste
Mann, der bei jeder außerordentlichen Gelegenheit gefragt wird, ob er sich eines
ähnlichen Vorfalls erinnere, hat mit tonloser Stimme geantwortet: nein, das habe
er noch nicht erlebt!

Wie ist das möglich, werden die Leser fragen, das unermeßlich reiche Ham¬
burg mit seinen gediegenen Kaufleuten, seinem soliden Geschäftsgang, seinem un¬
geheuren Credit, es kann nicht bezahlen? Haben alle seine Geschäftsleute Bankrott
gemacht? Pfui des häßlichen Wortes, es heißt jetzt höflicher Suspension. Noch
kaum ein Dutzend und noch lange nicht die ersten Firmen haben suspendirt, aber,
und damit kommt man der Sache schon näher, von den mehren tausend Kauf¬
leuten, welche alltäglich die Börse besuchen,' könne» nicht fünfzig im Voraus sagen,
ob sie in den nächsten Wochen all ihren Verpflichtungen nachzukommen vermögen.
Wir haben die Börse zu einer Volksversammlung gemacht und Reden gehalten,


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[0399] tausend? erfüllte eine Leidenschaft, die in der That an Raserei grenzte. Je- mehr der Lauf sich seinem Ende näherte, desto mehr steigerte sich Spannung, Angst, Wuth, Jubel und Ausgelassenheit. Mit den Augen unablässig die rennenden Wagen verfolgend, klatschten und schrien sie aus allen Kräften, sprangen von den Sitzen auf, bogen sich vor, schwenkten Tücher und Ge¬ wänder, trieben die Pferde ihrer Partei mit Zurufen an, streckten die Arme aus, als wenn sie in die Bahn hineinreichen könnten, knirschten mit den Zähnen, drohten mit Mienen und Geberden, jubelten und triumphirten. Epiktet erzählt, daß einer seiner Bekannten einmal, als sein Favorilpferd im Nachtheil zu sein fehle», sich in seinen Mantel hüllte und ohnmächtig wurde und als es wider Erwarten die Spitze gewonnen, durch kaltes Wasser wieder zum Bewußtsein zurückgebracht werden mußte. Endlich kam der erste Wagen am Ziele an und das donnernde Jubelgeschrei der gewinnenden Partei, in das sich Flüche und Verwünschungen mischten, von den Wänden des Aventin und Palatin zurückgeworfen und verdoppelt, hallte über daS verlassene Rom hin und verkündete den Einzelnen, die aus irgeud einem Grunde zu Hause geblieben waren, den Ausgang des Wettkampfs; es traf noch das Ohr des Reisenden, der die Stadt schon aus dem Gesicht verloren halte. Sehr häufig dauerte das Nennen vom früher Morgen bis zum späten Abend, und vom Morgen bis zum Abend harrte das Volk aus trotz Sonnenglut und Regenschauer und warb nicht müde, daS Schauspiel mit derselben Leidenschaft zu ver¬ folgen. Die Geldnot!) in Hamburg. Die große Krankheit der Handelswelt hat nun auch Hamburg ergriffen. Geld ist in den Bankgewölben, viele Millionen in Silber, aber bezahlen können wir nicht. Unsere Geschäftsfreunde mochten, schon im eigenen Interesse, uns beistehen, aber sie können uns nicht helfen. Es ist eine sehr schwere Zeit. Jener älteste Mann, der bei jeder außerordentlichen Gelegenheit gefragt wird, ob er sich eines ähnlichen Vorfalls erinnere, hat mit tonloser Stimme geantwortet: nein, das habe er noch nicht erlebt! Wie ist das möglich, werden die Leser fragen, das unermeßlich reiche Ham¬ burg mit seinen gediegenen Kaufleuten, seinem soliden Geschäftsgang, seinem un¬ geheuren Credit, es kann nicht bezahlen? Haben alle seine Geschäftsleute Bankrott gemacht? Pfui des häßlichen Wortes, es heißt jetzt höflicher Suspension. Noch kaum ein Dutzend und noch lange nicht die ersten Firmen haben suspendirt, aber, und damit kommt man der Sache schon näher, von den mehren tausend Kauf¬ leuten, welche alltäglich die Börse besuchen,' könne» nicht fünfzig im Voraus sagen, ob sie in den nächsten Wochen all ihren Verpflichtungen nachzukommen vermögen. Wir haben die Börse zu einer Volksversammlung gemacht und Reden gehalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/399>, abgerufen am 30.04.2024.