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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Schäfte ist nicht zu denken. Das Schlimmste aber freilich ist die allgemeine Muth.
losigkeit. Wir kennen uns und die Welt gar nicht wieder, wir, die credit- und
mittellosen, sie draußen, die von uns Geld haben wollen! Es ist eine sonderbare,
verkehrte Welt! Am vergangenen Montag ward der erste größere Versuch gemacht,-
den eingesrorencn Credit wieder zum Aufthauen zu bringen. Weil keiner dem andern
mehr traute, keiner mehr den Wechsel des andern annehmen wollte, und so der
gesammte Verkehr vollständig ins Stocken gerathen war, so daß die Insolvenz immer
weiter um sich greifen mußte, ward von der Börse mit Acclamation der Vorschlag
zur Gründung einer Discontohilfskassc angenommen und sofort dnrch Unterschriften
ins Werk gesetzt. Mau hoffte dadurch mindestens wieder einige Wechselconlanz
herbeizuführen, aber schon am Tage daraus kamen neue Hiobsbotschaften aus Lon-
don mit neuen, für den Augenblick uoch nicht zu ermessenden Rückwirkungen auf
Hamburg; das Mißtrauen, die Leblosigkeit der Börse stieg weiter. Am gestrigen
Tage hat Carl Heine, Sohn des bekannten Salomon Heine,'für einige Millionen
Mark Banco in Disconto genommen, um seinerseits zur Beseitigung und Flüssig¬
machung der fürchterlichen Wechselest, welche ans unsere Börse drückt, beizutragen,
man hat ihm dafür auf offener Börse ein Hoch gebracht, etwas Unerhörtes in
Hamburgs Annalen, und ich habe Männer gesehen, denen darüber die Thränen in
die Augen kamen, ob aus Rührung über die edle That, oder ans Scham über den
Zustand der Börse, ich mag es wahrhaftig nicht entscheiden.

Das ist unser Zustand, aber er wird vorübergehen und verhältnißmäßig rasch
vorübergehen. Die großen Verluste werden nicht ausbleiben, die Zahl der bankrot¬
ten Häuser wird sich vermehren, aber das gedemüthigte und doch nicht verlorene
Hamburg wird sich nach mehr oder minder schmerzlichen Wehen wieder erheben, es
wird wieder das alte Hamburg werden, das alte Hamburg für das nächste Jahr¬
zehnt mindestens mit neuen Erfahrungen bereichert.

Aber, wenn eine Stadt wie Hamburg auch alle Ursache zum Glauben hat,
daß es sich mit seiner zähen Lebenskraft wieder erhole, das jetzige Unglück wird
noch weite Peripherien ziehen. Wir können die Fabriken nicht mehr beschäftigen
zum überseeische,, Satz und die, welche an uns verlieren, nicht mehr zum inlän¬
dischen. Wir müssen uns einschränken und so wird ans die arbeitenden Classen
die ganze Schwere des Unglücks fallen uUd nicht blos von hier allein. In Nord¬
amerika, in England, in Belgien haben bereits massenhafte Arbcitcreutlassnngen
wegen der Handelskrisis stattgefunden, in Deutschland wird man folgen, und ganz
G. C. gewiß auch Frankreich. Was aber soll daraus werden? --




Zur Schleswig-holfteunschell Frage.

Mehr als drei Jahre haben die deutschen Mächte der systematischen Mißhand¬
lung Schleswig-Holsteins zugesehen, der orientalische Krieg brachte die europäischen
Verhältnisse in Fluß, mau ließ die Gelegenheit vorübergehen, die Fesseln des lon-
doner Protokolls und der Verträge von 1852 abzuschütteln, so geneigt auch Anfang
">85i die Westmächte waren, Preußen Concessionen in dieser Frage zu machen,


Schäfte ist nicht zu denken. Das Schlimmste aber freilich ist die allgemeine Muth.
losigkeit. Wir kennen uns und die Welt gar nicht wieder, wir, die credit- und
mittellosen, sie draußen, die von uns Geld haben wollen! Es ist eine sonderbare,
verkehrte Welt! Am vergangenen Montag ward der erste größere Versuch gemacht,-
den eingesrorencn Credit wieder zum Aufthauen zu bringen. Weil keiner dem andern
mehr traute, keiner mehr den Wechsel des andern annehmen wollte, und so der
gesammte Verkehr vollständig ins Stocken gerathen war, so daß die Insolvenz immer
weiter um sich greifen mußte, ward von der Börse mit Acclamation der Vorschlag
zur Gründung einer Discontohilfskassc angenommen und sofort dnrch Unterschriften
ins Werk gesetzt. Mau hoffte dadurch mindestens wieder einige Wechselconlanz
herbeizuführen, aber schon am Tage daraus kamen neue Hiobsbotschaften aus Lon-
don mit neuen, für den Augenblick uoch nicht zu ermessenden Rückwirkungen auf
Hamburg; das Mißtrauen, die Leblosigkeit der Börse stieg weiter. Am gestrigen
Tage hat Carl Heine, Sohn des bekannten Salomon Heine,'für einige Millionen
Mark Banco in Disconto genommen, um seinerseits zur Beseitigung und Flüssig¬
machung der fürchterlichen Wechselest, welche ans unsere Börse drückt, beizutragen,
man hat ihm dafür auf offener Börse ein Hoch gebracht, etwas Unerhörtes in
Hamburgs Annalen, und ich habe Männer gesehen, denen darüber die Thränen in
die Augen kamen, ob aus Rührung über die edle That, oder ans Scham über den
Zustand der Börse, ich mag es wahrhaftig nicht entscheiden.

Das ist unser Zustand, aber er wird vorübergehen und verhältnißmäßig rasch
vorübergehen. Die großen Verluste werden nicht ausbleiben, die Zahl der bankrot¬
ten Häuser wird sich vermehren, aber das gedemüthigte und doch nicht verlorene
Hamburg wird sich nach mehr oder minder schmerzlichen Wehen wieder erheben, es
wird wieder das alte Hamburg werden, das alte Hamburg für das nächste Jahr¬
zehnt mindestens mit neuen Erfahrungen bereichert.

Aber, wenn eine Stadt wie Hamburg auch alle Ursache zum Glauben hat,
daß es sich mit seiner zähen Lebenskraft wieder erhole, das jetzige Unglück wird
noch weite Peripherien ziehen. Wir können die Fabriken nicht mehr beschäftigen
zum überseeische,, Satz und die, welche an uns verlieren, nicht mehr zum inlän¬
dischen. Wir müssen uns einschränken und so wird ans die arbeitenden Classen
die ganze Schwere des Unglücks fallen uUd nicht blos von hier allein. In Nord¬
amerika, in England, in Belgien haben bereits massenhafte Arbcitcreutlassnngen
wegen der Handelskrisis stattgefunden, in Deutschland wird man folgen, und ganz
G. C. gewiß auch Frankreich. Was aber soll daraus werden? —




Zur Schleswig-holfteunschell Frage.

Mehr als drei Jahre haben die deutschen Mächte der systematischen Mißhand¬
lung Schleswig-Holsteins zugesehen, der orientalische Krieg brachte die europäischen
Verhältnisse in Fluß, mau ließ die Gelegenheit vorübergehen, die Fesseln des lon-
doner Protokolls und der Verträge von 1852 abzuschütteln, so geneigt auch Anfang
">85i die Westmächte waren, Preußen Concessionen in dieser Frage zu machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/405>, abgerufen am 30.04.2024.