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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ähnliche Frage" wären ein geeigneter Tummelplatz für DüntzerS Scharfsinn;
Goethes Geist zu messen, liegt weniger in seinem Horizont. S. 73 sagt er
von Charlottens Aeußerung:^ "Es gibt gewisse Dinge, die sich das Schicksal
hartnäckig vornimmt. Vergebens, daß Vernunft und Tugend, Pflicht und
alles Heilige sich ihm in den Weg stellen; es soll etwas geschehen, was ihm
recht ist, was uns nicht recht scheint, und so greift es zuletzt durch, wir
mögen uns geberden, wie wir wollen;" -- sie sei nichts weniger als die
Ansicht des Dichters selbst. Sie ist aber wirklich die Ansicht des Dichters,
ja sie ist das Grundthema seiner gesammten Dichtung, Goethe hat es nicht
einmal, sondern hundertmal gesagt. Und wol mochte er so sagen: sein Stern
schien ihm die höchsten Bahnen anzuweisen, und Christiane Vulpius wurde
seine Frau und Düntzer, der ledernste aller Pedanten, sein Apologet.


I. S.


Hamburgs geistiges Leben.
2.
Literarische Vereine. Leseinstitute und Presse. Naturwissenschaft¬
liche Institute.

Begreiflicherweise genügen die wissenschaftlichen Büchersammlungen nicht
für den Lesebedars in Hamburg. Sie bieten nicht den gesuchtesten Lese¬
vorrath, die Belletristik; und so sind schon lange verschiedene Vereinsleih¬
bibliotheken und Lesezirkel ins Leben getreten. -- Es, hat daher der Biblio¬
thekar der Stadtbibliothek nicht mehr nöthig, wie 179i Professor Giseke that,
eine Anzeige für seine Mitbürger zu veröffentlichen, um zu erklären, daß diese
Büchersammlung nicht mit einer Leihbibliothek zu verwechseln sei.

Schon um 1789 bildete sich "die Harmonie", ein Verein von Kaufleuten,
die bedacht waren, die Vortheile geselliger Vereinigung durch geistige Interessen zu
verstärken. Aus dem beständig unterhaltenen Lesevorrath erwuchs allmälig eine
nicht unbedeutende Bibliothek. Ebenso gelangte ein anderer Kreis, der Club
der Freundschaft, zu einer ansehnlichen Büchersammlung. Die erstere zählte
vor dem Brande etwa 7S00, die zweite S000 Bände. Beide wurden
damals ein Raub der Flammen. Doch haben sich diese Institute bald wieder
mit neuer Kraft gehoben, und die Harmonie hat jetzt schon wieder eine
Bibliothek von etwa 5000 Werken, über die ein von ihrem derzeitigen Biblio¬
thekar Dr. Hoffmann'angefertigter, gedruckter Katalog eristirt.

Neben diesem Institute ist mit dem Jahre 18S0 "die Lesehalle" ent¬
standen, die in vielen Städten Deutschlands ihres Gleichen suchen wird. Seit
1N8S besitzt diese Gesellschaft el" geräumiges eigenes Gebäude, das eine" großen


ähnliche Frage» wären ein geeigneter Tummelplatz für DüntzerS Scharfsinn;
Goethes Geist zu messen, liegt weniger in seinem Horizont. S. 73 sagt er
von Charlottens Aeußerung:^ „Es gibt gewisse Dinge, die sich das Schicksal
hartnäckig vornimmt. Vergebens, daß Vernunft und Tugend, Pflicht und
alles Heilige sich ihm in den Weg stellen; es soll etwas geschehen, was ihm
recht ist, was uns nicht recht scheint, und so greift es zuletzt durch, wir
mögen uns geberden, wie wir wollen;" — sie sei nichts weniger als die
Ansicht des Dichters selbst. Sie ist aber wirklich die Ansicht des Dichters,
ja sie ist das Grundthema seiner gesammten Dichtung, Goethe hat es nicht
einmal, sondern hundertmal gesagt. Und wol mochte er so sagen: sein Stern
schien ihm die höchsten Bahnen anzuweisen, und Christiane Vulpius wurde
seine Frau und Düntzer, der ledernste aller Pedanten, sein Apologet.


I. S.


Hamburgs geistiges Leben.
2.
Literarische Vereine. Leseinstitute und Presse. Naturwissenschaft¬
liche Institute.

Begreiflicherweise genügen die wissenschaftlichen Büchersammlungen nicht
für den Lesebedars in Hamburg. Sie bieten nicht den gesuchtesten Lese¬
vorrath, die Belletristik; und so sind schon lange verschiedene Vereinsleih¬
bibliotheken und Lesezirkel ins Leben getreten. — Es, hat daher der Biblio¬
thekar der Stadtbibliothek nicht mehr nöthig, wie 179i Professor Giseke that,
eine Anzeige für seine Mitbürger zu veröffentlichen, um zu erklären, daß diese
Büchersammlung nicht mit einer Leihbibliothek zu verwechseln sei.

Schon um 1789 bildete sich „die Harmonie", ein Verein von Kaufleuten,
die bedacht waren, die Vortheile geselliger Vereinigung durch geistige Interessen zu
verstärken. Aus dem beständig unterhaltenen Lesevorrath erwuchs allmälig eine
nicht unbedeutende Bibliothek. Ebenso gelangte ein anderer Kreis, der Club
der Freundschaft, zu einer ansehnlichen Büchersammlung. Die erstere zählte
vor dem Brande etwa 7S00, die zweite S000 Bände. Beide wurden
damals ein Raub der Flammen. Doch haben sich diese Institute bald wieder
mit neuer Kraft gehoben, und die Harmonie hat jetzt schon wieder eine
Bibliothek von etwa 5000 Werken, über die ein von ihrem derzeitigen Biblio¬
thekar Dr. Hoffmann'angefertigter, gedruckter Katalog eristirt.

Neben diesem Institute ist mit dem Jahre 18S0 „die Lesehalle" ent¬
standen, die in vielen Städten Deutschlands ihres Gleichen suchen wird. Seit
1N8S besitzt diese Gesellschaft el» geräumiges eigenes Gebäude, das eine» großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/426>, abgerufen am 30.04.2024.