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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Preußen und die Handelskrisis.

Das Ende deS Jahres 18S7 wird noch der nächsten Generation als eine
Zeit deS Leidens und der Aufregung in Erinnerung sein. Ein Orkan wirft
in der Welt des Handels die ältesten und sichersten Häuser wie dürre Blätter
zu Boden, das Glück ungezählter Familien, welches festgewurzelt schien, wie
die Stämme des Waldes, wird durch ein Ungewitter zerschmettert, wie nicht
jedes Jahrhundert eines erlebt. Daß eine Geldkrisis bevorstehe, war seit
anderthalb Jahren vorauszusehn, und es gehörte keine große Weisheit dazu,
daS Unheil zu prophezeien. Wie sehr auch politische Ereignisse -- der massen¬
hafte Abfluß deS Silbers nach dem Orient, Unregelmäßigkeit in der Geld¬
strömung der europäischen Staaten als' Folge des türkischen Krieges -- das
Uebel vergrößert haben mögen, die Hauptursache der Kalamität lag nach all-
gemeiner-^ Annahme in! den gewaltigen und plötzlichen Schöpfungen der Spe-
culation> und in der dadurch hervorgerufenen übermäßigen Anspannung des
kaufmännischen Credits. Doch wie in dem Umlauf deS Blutes durch den
menschlichen Körper noch Manches geheimnißvoll ist, so sind auch die Erschei¬
nungen in der großen Strömung des Geldes nicht ohne Mysterien, welche
der Nationalökonom nicht vollständig zu erklären vermag.

Auch die Geldkrisis dieses JahreS bietet mehre eigenihümliche Er¬
scheinungen. Man durste erwarte", daß bei ihrem Eintreten zuerst die Spe¬
kulanten der Börse, daS verächtlichste Geschlecht der Industriellen, fallen
müßten, daß ihnen die unsolidesten der neugegründeten Banken und Kredit¬
anstalten in'schnellem Sturz folgen würden und . daß eine allgemeine Geld¬
klemme sich zunächst in den untern Kreisen des Berkehrslebens, unter den
kleinen Kapitalisten, den Consumirenden und Handwerkern zeigen und von ihnen
aus allmälig den großen Waaren- und Productenhandel ergreifen würde. Grade
daS Gegentheil trat ein. Zwar eine Anzahl Börsenspieler fiel sehr bald nach dem
Welchen der Course. Aber die nächsten Wege, ausweichen das Unheil hereinbrach,
waren die alten sicheren Kanäle des Großhandels. Einige starke Handelsartikel,
Seide, mehre Colonialwaaren fielen plötzlich im Preise, nachdem sie seit fast zwei
Jahren in die Höhe gegangen waren und eine zu sehr gesteigerte Spekulation auch
bei sonst soliden Häusern hervorgerufen hatten. In Nordamerika, wo das Geld


Grenzboten. IV. 1867. , 61
Preußen und die Handelskrisis.

Das Ende deS Jahres 18S7 wird noch der nächsten Generation als eine
Zeit deS Leidens und der Aufregung in Erinnerung sein. Ein Orkan wirft
in der Welt des Handels die ältesten und sichersten Häuser wie dürre Blätter
zu Boden, das Glück ungezählter Familien, welches festgewurzelt schien, wie
die Stämme des Waldes, wird durch ein Ungewitter zerschmettert, wie nicht
jedes Jahrhundert eines erlebt. Daß eine Geldkrisis bevorstehe, war seit
anderthalb Jahren vorauszusehn, und es gehörte keine große Weisheit dazu,
daS Unheil zu prophezeien. Wie sehr auch politische Ereignisse — der massen¬
hafte Abfluß deS Silbers nach dem Orient, Unregelmäßigkeit in der Geld¬
strömung der europäischen Staaten als' Folge des türkischen Krieges — das
Uebel vergrößert haben mögen, die Hauptursache der Kalamität lag nach all-
gemeiner-^ Annahme in! den gewaltigen und plötzlichen Schöpfungen der Spe-
culation> und in der dadurch hervorgerufenen übermäßigen Anspannung des
kaufmännischen Credits. Doch wie in dem Umlauf deS Blutes durch den
menschlichen Körper noch Manches geheimnißvoll ist, so sind auch die Erschei¬
nungen in der großen Strömung des Geldes nicht ohne Mysterien, welche
der Nationalökonom nicht vollständig zu erklären vermag.

Auch die Geldkrisis dieses JahreS bietet mehre eigenihümliche Er¬
scheinungen. Man durste erwarte», daß bei ihrem Eintreten zuerst die Spe¬
kulanten der Börse, daS verächtlichste Geschlecht der Industriellen, fallen
müßten, daß ihnen die unsolidesten der neugegründeten Banken und Kredit¬
anstalten in'schnellem Sturz folgen würden und . daß eine allgemeine Geld¬
klemme sich zunächst in den untern Kreisen des Berkehrslebens, unter den
kleinen Kapitalisten, den Consumirenden und Handwerkern zeigen und von ihnen
aus allmälig den großen Waaren- und Productenhandel ergreifen würde. Grade
daS Gegentheil trat ein. Zwar eine Anzahl Börsenspieler fiel sehr bald nach dem
Welchen der Course. Aber die nächsten Wege, ausweichen das Unheil hereinbrach,
waren die alten sicheren Kanäle des Großhandels. Einige starke Handelsartikel,
Seide, mehre Colonialwaaren fielen plötzlich im Preise, nachdem sie seit fast zwei
Jahren in die Höhe gegangen waren und eine zu sehr gesteigerte Spekulation auch
bei sonst soliden Häusern hervorgerufen hatten. In Nordamerika, wo das Geld


Grenzboten. IV. 1867. , 61
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[0489] Preußen und die Handelskrisis. Das Ende deS Jahres 18S7 wird noch der nächsten Generation als eine Zeit deS Leidens und der Aufregung in Erinnerung sein. Ein Orkan wirft in der Welt des Handels die ältesten und sichersten Häuser wie dürre Blätter zu Boden, das Glück ungezählter Familien, welches festgewurzelt schien, wie die Stämme des Waldes, wird durch ein Ungewitter zerschmettert, wie nicht jedes Jahrhundert eines erlebt. Daß eine Geldkrisis bevorstehe, war seit anderthalb Jahren vorauszusehn, und es gehörte keine große Weisheit dazu, daS Unheil zu prophezeien. Wie sehr auch politische Ereignisse — der massen¬ hafte Abfluß deS Silbers nach dem Orient, Unregelmäßigkeit in der Geld¬ strömung der europäischen Staaten als' Folge des türkischen Krieges — das Uebel vergrößert haben mögen, die Hauptursache der Kalamität lag nach all- gemeiner-^ Annahme in! den gewaltigen und plötzlichen Schöpfungen der Spe- culation> und in der dadurch hervorgerufenen übermäßigen Anspannung des kaufmännischen Credits. Doch wie in dem Umlauf deS Blutes durch den menschlichen Körper noch Manches geheimnißvoll ist, so sind auch die Erschei¬ nungen in der großen Strömung des Geldes nicht ohne Mysterien, welche der Nationalökonom nicht vollständig zu erklären vermag. Auch die Geldkrisis dieses JahreS bietet mehre eigenihümliche Er¬ scheinungen. Man durste erwarte», daß bei ihrem Eintreten zuerst die Spe¬ kulanten der Börse, daS verächtlichste Geschlecht der Industriellen, fallen müßten, daß ihnen die unsolidesten der neugegründeten Banken und Kredit¬ anstalten in'schnellem Sturz folgen würden und . daß eine allgemeine Geld¬ klemme sich zunächst in den untern Kreisen des Berkehrslebens, unter den kleinen Kapitalisten, den Consumirenden und Handwerkern zeigen und von ihnen aus allmälig den großen Waaren- und Productenhandel ergreifen würde. Grade daS Gegentheil trat ein. Zwar eine Anzahl Börsenspieler fiel sehr bald nach dem Welchen der Course. Aber die nächsten Wege, ausweichen das Unheil hereinbrach, waren die alten sicheren Kanäle des Großhandels. Einige starke Handelsartikel, Seide, mehre Colonialwaaren fielen plötzlich im Preise, nachdem sie seit fast zwei Jahren in die Höhe gegangen waren und eine zu sehr gesteigerte Spekulation auch bei sonst soliden Häusern hervorgerufen hatten. In Nordamerika, wo das Geld Grenzboten. IV. 1867. , 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/489>, abgerufen am 30.04.2024.