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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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auf^einem ungeheuern Gebiet auch bei gesunden Handelsverhältnissen seltner
ist als in Europa, und wo jede Stockung im Umlauf desselben noch viel ver¬
derblicher wirkt, wurde die Geldnot!)' zuerst als ein nationales Unglück fühl¬
bar, die zahlreichen Banken der Staaten brachen mit lautem Getöse zusammen,
allgemeines Mißtrauen vernichtete den Credit und so erhielt die Geldkrank¬
heit dort zuerst den Charakter einer Seuche, welche viele tausend Firmen um¬
warf und die N. Staaten mit den größten socialen Gefahren bedrohte. Es
ist bekannt, wie diese Krankheit den Handel Englands und des europäischen Con-
tinents mit nicht geringerer Heftigkeit ergriff. In dieser ganzen Zeit bis
gegen Ende November tobte sie fast nur in den höheren Regionen der Handels¬
welt. Und wir erlebten die einzige Erscheinung, daß im Großhandel baar Geld
selbst gegen 10 Proc. Zinsen schwer zu haben war, während der Bauer seine
aufgesammelten kleinen Capitalien dem Nachbar gern zu L ja i> Proc. lieh und
z. B. die Vvrschußvereine der Handwerker in Mitteldeutschland gegen die herkömm¬
lichen Zinsen mehr Geld erhalten konnten als sie bedurften. In den kleineren Ver-
kchrskreisen war so noch lange rührige und gesteigerte Thätigkeit sichtbar, als der
Geldmarkt schon unter den verderblichen Wetterschlägen zuckte. Wir wußten, daß
die Geldnot!) uns kommen würde, aber nicht jeder wird vermuthet haben, daß sie
vorzugsweise so von oben nach unten ihren zerstörenden Weg machen würde. Denn
grade der kleine Capitalist hatte sich, so schien es, am verhängnißvollsten für sein
Wohl bei den neuen Speculationen betheiligt, und die Unterlage aller Pro-
ductionen, die landwirthschaftliche, mußte voraussichtlich am masse-nhaftesten
durch die Kündigung von Hupotheken-Capitalien getroffen worden. Aber es
ist immer noch ein relatives Glück für die Nation, daß der Einbruch so schnell
und gewaltig war. Zwar wird dadurch Noth und Elend aus den Kreisen
der Fabrikarbeiter und kleinen Producirenden nicht fern' gehalten werden
und die deutsche Landwirthschaft wird Jahre brauchen, um die Noth zu über¬
winden, welche ihr der Mangel an Capitalien zu bereiten anfängt, aber eS
wird allndings durch eine schmerzliche Operation jetzt eine Masse von un¬
gesunden Unternehmungen und schlecht sundirten Speculationen auf einmal
vernichtet werden. Es läßt sich annehmen, daß im Durchschnitt doch kaum die
Hälfte der Milliarden eingezahlt sind, welche nur in Deutschland für zum
Theil sehr unsolide ActieuunternehmuiisM gezeichnet sind. Es ist kein Un¬
glück, wenn ein Theil dieser Unternehmungen zu Grunde geht, bevor bethörte
Actionäre das ganze gezeichnete Geld hineingeworfen haben. Es ist ein
schmerzliches Unglück, daß viele Häuser ersten Ranges jetzt mühsam um ihr
Leben kämpfen und von den Börsen verschwinden, deren Stolz sie vielleicht
durch mehre Generationen waren, aber für den Handelsstand und für das
nationale Vermögen ist ihr Sturz eine bittre und doch heilsame Lehre.
Denn aus ihrer Noth wird nur zu klar, daß auch von den ehrenhaftesten


auf^einem ungeheuern Gebiet auch bei gesunden Handelsverhältnissen seltner
ist als in Europa, und wo jede Stockung im Umlauf desselben noch viel ver¬
derblicher wirkt, wurde die Geldnot!)' zuerst als ein nationales Unglück fühl¬
bar, die zahlreichen Banken der Staaten brachen mit lautem Getöse zusammen,
allgemeines Mißtrauen vernichtete den Credit und so erhielt die Geldkrank¬
heit dort zuerst den Charakter einer Seuche, welche viele tausend Firmen um¬
warf und die N. Staaten mit den größten socialen Gefahren bedrohte. Es
ist bekannt, wie diese Krankheit den Handel Englands und des europäischen Con-
tinents mit nicht geringerer Heftigkeit ergriff. In dieser ganzen Zeit bis
gegen Ende November tobte sie fast nur in den höheren Regionen der Handels¬
welt. Und wir erlebten die einzige Erscheinung, daß im Großhandel baar Geld
selbst gegen 10 Proc. Zinsen schwer zu haben war, während der Bauer seine
aufgesammelten kleinen Capitalien dem Nachbar gern zu L ja i> Proc. lieh und
z. B. die Vvrschußvereine der Handwerker in Mitteldeutschland gegen die herkömm¬
lichen Zinsen mehr Geld erhalten konnten als sie bedurften. In den kleineren Ver-
kchrskreisen war so noch lange rührige und gesteigerte Thätigkeit sichtbar, als der
Geldmarkt schon unter den verderblichen Wetterschlägen zuckte. Wir wußten, daß
die Geldnot!) uns kommen würde, aber nicht jeder wird vermuthet haben, daß sie
vorzugsweise so von oben nach unten ihren zerstörenden Weg machen würde. Denn
grade der kleine Capitalist hatte sich, so schien es, am verhängnißvollsten für sein
Wohl bei den neuen Speculationen betheiligt, und die Unterlage aller Pro-
ductionen, die landwirthschaftliche, mußte voraussichtlich am masse-nhaftesten
durch die Kündigung von Hupotheken-Capitalien getroffen worden. Aber es
ist immer noch ein relatives Glück für die Nation, daß der Einbruch so schnell
und gewaltig war. Zwar wird dadurch Noth und Elend aus den Kreisen
der Fabrikarbeiter und kleinen Producirenden nicht fern' gehalten werden
und die deutsche Landwirthschaft wird Jahre brauchen, um die Noth zu über¬
winden, welche ihr der Mangel an Capitalien zu bereiten anfängt, aber eS
wird allndings durch eine schmerzliche Operation jetzt eine Masse von un¬
gesunden Unternehmungen und schlecht sundirten Speculationen auf einmal
vernichtet werden. Es läßt sich annehmen, daß im Durchschnitt doch kaum die
Hälfte der Milliarden eingezahlt sind, welche nur in Deutschland für zum
Theil sehr unsolide ActieuunternehmuiisM gezeichnet sind. Es ist kein Un¬
glück, wenn ein Theil dieser Unternehmungen zu Grunde geht, bevor bethörte
Actionäre das ganze gezeichnete Geld hineingeworfen haben. Es ist ein
schmerzliches Unglück, daß viele Häuser ersten Ranges jetzt mühsam um ihr
Leben kämpfen und von den Börsen verschwinden, deren Stolz sie vielleicht
durch mehre Generationen waren, aber für den Handelsstand und für das
nationale Vermögen ist ihr Sturz eine bittre und doch heilsame Lehre.
Denn aus ihrer Noth wird nur zu klar, daß auch von den ehrenhaftesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/490>, abgerufen am 21.05.2024.