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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Ulrich von Hütten.

Von David Friedrich Strauß, Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. 1857.

Im neuen, dem zweiten Theile der Biographie tritt uns zunächst ein
neuer Kaiser entgegen: Karl V. war trotz der päpstlichen Gegenbemühungen
am 23. Juni 1510. auf seines Großvaters Thron erwählt worden ; Kurmainz und
Sickingen, Hs. Gönner, hatten dazu wesentlich mitgewirkt. Wer für das Wohl
der deutschen Nation und insbesondere deren Befreiung von dem römischen
Drucke seufzte oder strebte, hatte seine (es zeigte sich nur zu bald, vergebliche)
Hoffnung aus die beiden Jünglinge, Karl und Ferdinand, gesetzt, H., der
cholerische Sanguiniker, vor allen. Er begann nun seine unmittelbaren An¬
griffe gegen das Curtisanenwesen und die curialistische Verhöhnung und Be¬
drückung der deutschen Nation. Bon den im Apr. 1520 bei Scheffer erschie¬
nenen Dialogen bildet der erste, Fortuna, füglich den Schluß der zu Ende
des ersten Bandes geschilderten Richtung und Thätigkeit Hs. Dreses Ge-
spräch nennt Ser., was Anlage und Arbeit betreffe, das anmuthigste Hs.:
,,was er als Mensch, als Privatcharakter gewesen ist, wie Neigung und Beruf,
Größe und Schwachheit, Stoicismus und Lebenslust in ihm sich bekämpften,
kapitulierten und doch nicht ganz ins Reine kamen, dieses Ganze eines lebens¬
vollen, liebenswürdigen, ächt menschlichen Naturells hat er nirgends so wie in
dem Gespräche Fortuna dargelegt." Auch einige Ausflüge nach Fsurt und
ein mehrwöchentlicher Aufenthalt zu Steckelberg waren wol, wie auch Ser.
vermutet, noch im Zusammenhange mit der Brautwerbung. Aber schon im
Sommer des Jahres vorher hatte H. an dem Badiscus oder der römischen
Dreifaltigkeit gearbeitet: die Frucht des in Rom aufgelesenen Samens begann
nun zu reifen. Bon Stackelberg aus dcdiciert er (13. Febr. 1520.) dieses Ge¬
spräch seinem. Affinen Sebastian v. Notenhan (dessen Bild aus Notenhans
Ausg. des Negmo von Prüm bei Foppens als Porträt Reginas figuriert);
in jeuer Mainzer Dialogensammlung aber ist nebst dem wiederholten^ersten
anch ein zweites Fieber, gegen die concubinarischen Pfaffen, vorangestellt.
Wie sehr auch H. in seinem anticurialistischen Eifer durch die Wahrnehmung,
daß das Möuchsgczänk, wovon er in seinem Brief an Neuenar geschrieben
hatte, sich zu einer großartigen Umgestaltung der höchsten menschlichen Ein¬
heiten, Kirche und Staat, anließ, bestärkt und zugleich umgestimmt werden
muste, läßt sich leicht erachten. "H. würde, meint Ser., gern mit Luther in
Verbindung getreten sein, hätten nicht äußere Umstände vorerst im Wege ge¬
standen. Unmerklich schob sich in den Mittelpunkt von H.s Interesse statt
des Humanismus die Reformation." Er wollte vielmehr jenen in Gestalt
dieser: sie hatten in Hs. Richtung seuls ineinander gewirkt, nur daß seine


Ulrich von Hütten.

Von David Friedrich Strauß, Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. 1857.

Im neuen, dem zweiten Theile der Biographie tritt uns zunächst ein
neuer Kaiser entgegen: Karl V. war trotz der päpstlichen Gegenbemühungen
am 23. Juni 1510. auf seines Großvaters Thron erwählt worden ; Kurmainz und
Sickingen, Hs. Gönner, hatten dazu wesentlich mitgewirkt. Wer für das Wohl
der deutschen Nation und insbesondere deren Befreiung von dem römischen
Drucke seufzte oder strebte, hatte seine (es zeigte sich nur zu bald, vergebliche)
Hoffnung aus die beiden Jünglinge, Karl und Ferdinand, gesetzt, H., der
cholerische Sanguiniker, vor allen. Er begann nun seine unmittelbaren An¬
griffe gegen das Curtisanenwesen und die curialistische Verhöhnung und Be¬
drückung der deutschen Nation. Bon den im Apr. 1520 bei Scheffer erschie¬
nenen Dialogen bildet der erste, Fortuna, füglich den Schluß der zu Ende
des ersten Bandes geschilderten Richtung und Thätigkeit Hs. Dreses Ge-
spräch nennt Ser., was Anlage und Arbeit betreffe, das anmuthigste Hs.:
,,was er als Mensch, als Privatcharakter gewesen ist, wie Neigung und Beruf,
Größe und Schwachheit, Stoicismus und Lebenslust in ihm sich bekämpften,
kapitulierten und doch nicht ganz ins Reine kamen, dieses Ganze eines lebens¬
vollen, liebenswürdigen, ächt menschlichen Naturells hat er nirgends so wie in
dem Gespräche Fortuna dargelegt." Auch einige Ausflüge nach Fsurt und
ein mehrwöchentlicher Aufenthalt zu Steckelberg waren wol, wie auch Ser.
vermutet, noch im Zusammenhange mit der Brautwerbung. Aber schon im
Sommer des Jahres vorher hatte H. an dem Badiscus oder der römischen
Dreifaltigkeit gearbeitet: die Frucht des in Rom aufgelesenen Samens begann
nun zu reifen. Bon Stackelberg aus dcdiciert er (13. Febr. 1520.) dieses Ge¬
spräch seinem. Affinen Sebastian v. Notenhan (dessen Bild aus Notenhans
Ausg. des Negmo von Prüm bei Foppens als Porträt Reginas figuriert);
in jeuer Mainzer Dialogensammlung aber ist nebst dem wiederholten^ersten
anch ein zweites Fieber, gegen die concubinarischen Pfaffen, vorangestellt.
Wie sehr auch H. in seinem anticurialistischen Eifer durch die Wahrnehmung,
daß das Möuchsgczänk, wovon er in seinem Brief an Neuenar geschrieben
hatte, sich zu einer großartigen Umgestaltung der höchsten menschlichen Ein¬
heiten, Kirche und Staat, anließ, bestärkt und zugleich umgestimmt werden
muste, läßt sich leicht erachten. „H. würde, meint Ser., gern mit Luther in
Verbindung getreten sein, hätten nicht äußere Umstände vorerst im Wege ge¬
standen. Unmerklich schob sich in den Mittelpunkt von H.s Interesse statt
des Humanismus die Reformation." Er wollte vielmehr jenen in Gestalt
dieser: sie hatten in Hs. Richtung seuls ineinander gewirkt, nur daß seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/138>, abgerufen am 29.04.2024.