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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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reformatorischen Absichten, ganz an die der s.g, Nesormationsconcilien gelohnt,
die kirchlichen Verfaßungsverhnltnisse, und auch diese nur von dein Stand¬
punkt eines patriotischen Deutschen aus, betrafen, wie ja auch erst nach H.s
Tod sich entschiedener hervorthat, daß der Kampf auch gegen die Dogmen
der römischen Kirche gekämpft werde. Wie zum Abschluß jener humani¬
stischen Richtung erzählt das 2. Kap. zunächst den Ausgang des reuchlini-
stischen Nechtshandels mit den Dominicanern, wie diese auf Sickingens Er-
forderung, doch zögernd und nicht ohne Winkelzüge, die si. 11 Kosten
erstatten, Hvchstraten sein Priorat und Jnquisitorat interimistisch niederlegt,
und die Mönche in einem Schreiben an den Papst unter ehrenvoller Erwähnung
Reuchlins um gänzliche Niederschlagung des Processes bitten, dann aber als¬
bald auch diesen wiederaufzunehmen suchen, und Leo X. in der That nun die
speiersche Sentenz kassiert, Reuchlins Augenspiegel verdammt, den .Ketzermeister
wieder einsetzt; wie die Kölner jubilieren, Sickingen, von Hs. Feder unter¬
stützt, sich noch einmal für Reuchlin ins Mittel legt, bis mit Nenchlins Tod
("0. Juni 1521.) auch jener Streit abstarb. Aber während H. seinen Vadis-
cus vollends zur Bekanntmachung bereitete, ermunterte er auch brieflich seine
Freunde zum Kampfe gegen Rom; ihn selbst hielt nur sein Verhältniss zum
Kurfürsten von Mainz ab, sich sogleich ganz und offen zu Luthers Sache zu
bekennen. Diesen ermutigte er durch Gewinnung Sickingens, in dessen Namen
er jenem in Schreiben an Melanchthon Schutz verhieß und ihn auf die Ebern-
bürg einlud; auf der Reise dahin möge Luther auch auf Stackelberg einsprechen.
Da vollendete H. die römische Dreifaltigkeit, sein "Manifest gegen Rom".
(Die päpstlichen Monate waren noch zahlreicher und darum drückender, als
sie S. 33 Note 1 bezeichnet sind.) Sie ist auch auszugsweise sehr häufig,
in 4. und 8. gedruckt worden, und fand rasche und weite Verbreitung. Dieses
Gespräch mit dem folgenden, die Anschauenden, zusammenhaltend meint Ser.,
bei Abfaßung des erstren sei der volksthümliche Drang in H. stärker gewesen,
als daß derselbe von dem gebildeten Kunsttriebe in ihm völlig hätte bewältigt
werden können, während wir sie im letztren wieder im schönsten Gleichgewichte
finden. , Sollte hier der Urtheiler nicht zu viel im Künstler und zu wenig im
Stoffe gesucht haben? Der fast actenmäßige, den Beschwerden der deutschen
Nation füglich vergleichbare Stoff hätte sich wol eher in Form von Anklage¬
reden als in der eines Dialogs künstlerisch, behandeln laßen, während Sol
und Phaethon. sich genau das Getreibe des Augsburger Reichstags (1518.)
betrachtend nothwendig in ein Gespräch gerathen müßen, dessen reicher und
durchweg patriotisch deutscher Inhalt ebenso künstlerisch gerecht ist, wie das
nächtliche, acht deutsch gemütliche und abergläubig ahndungsvolle des Aceti
und des Buben zwischen Steinen und Brombach. Auch Gervinus schon ist
in seiner Litteraturgeschichte auf die Anschauenden um der Form willen näher


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reformatorischen Absichten, ganz an die der s.g, Nesormationsconcilien gelohnt,
die kirchlichen Verfaßungsverhnltnisse, und auch diese nur von dein Stand¬
punkt eines patriotischen Deutschen aus, betrafen, wie ja auch erst nach H.s
Tod sich entschiedener hervorthat, daß der Kampf auch gegen die Dogmen
der römischen Kirche gekämpft werde. Wie zum Abschluß jener humani¬
stischen Richtung erzählt das 2. Kap. zunächst den Ausgang des reuchlini-
stischen Nechtshandels mit den Dominicanern, wie diese auf Sickingens Er-
forderung, doch zögernd und nicht ohne Winkelzüge, die si. 11 Kosten
erstatten, Hvchstraten sein Priorat und Jnquisitorat interimistisch niederlegt,
und die Mönche in einem Schreiben an den Papst unter ehrenvoller Erwähnung
Reuchlins um gänzliche Niederschlagung des Processes bitten, dann aber als¬
bald auch diesen wiederaufzunehmen suchen, und Leo X. in der That nun die
speiersche Sentenz kassiert, Reuchlins Augenspiegel verdammt, den .Ketzermeister
wieder einsetzt; wie die Kölner jubilieren, Sickingen, von Hs. Feder unter¬
stützt, sich noch einmal für Reuchlin ins Mittel legt, bis mit Nenchlins Tod
(»0. Juni 1521.) auch jener Streit abstarb. Aber während H. seinen Vadis-
cus vollends zur Bekanntmachung bereitete, ermunterte er auch brieflich seine
Freunde zum Kampfe gegen Rom; ihn selbst hielt nur sein Verhältniss zum
Kurfürsten von Mainz ab, sich sogleich ganz und offen zu Luthers Sache zu
bekennen. Diesen ermutigte er durch Gewinnung Sickingens, in dessen Namen
er jenem in Schreiben an Melanchthon Schutz verhieß und ihn auf die Ebern-
bürg einlud; auf der Reise dahin möge Luther auch auf Stackelberg einsprechen.
Da vollendete H. die römische Dreifaltigkeit, sein „Manifest gegen Rom".
(Die päpstlichen Monate waren noch zahlreicher und darum drückender, als
sie S. 33 Note 1 bezeichnet sind.) Sie ist auch auszugsweise sehr häufig,
in 4. und 8. gedruckt worden, und fand rasche und weite Verbreitung. Dieses
Gespräch mit dem folgenden, die Anschauenden, zusammenhaltend meint Ser.,
bei Abfaßung des erstren sei der volksthümliche Drang in H. stärker gewesen,
als daß derselbe von dem gebildeten Kunsttriebe in ihm völlig hätte bewältigt
werden können, während wir sie im letztren wieder im schönsten Gleichgewichte
finden. , Sollte hier der Urtheiler nicht zu viel im Künstler und zu wenig im
Stoffe gesucht haben? Der fast actenmäßige, den Beschwerden der deutschen
Nation füglich vergleichbare Stoff hätte sich wol eher in Form von Anklage¬
reden als in der eines Dialogs künstlerisch, behandeln laßen, während Sol
und Phaethon. sich genau das Getreibe des Augsburger Reichstags (1518.)
betrachtend nothwendig in ein Gespräch gerathen müßen, dessen reicher und
durchweg patriotisch deutscher Inhalt ebenso künstlerisch gerecht ist, wie das
nächtliche, acht deutsch gemütliche und abergläubig ahndungsvolle des Aceti
und des Buben zwischen Steinen und Brombach. Auch Gervinus schon ist
in seiner Litteraturgeschichte auf die Anschauenden um der Form willen näher


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[0139] reformatorischen Absichten, ganz an die der s.g, Nesormationsconcilien gelohnt, die kirchlichen Verfaßungsverhnltnisse, und auch diese nur von dein Stand¬ punkt eines patriotischen Deutschen aus, betrafen, wie ja auch erst nach H.s Tod sich entschiedener hervorthat, daß der Kampf auch gegen die Dogmen der römischen Kirche gekämpft werde. Wie zum Abschluß jener humani¬ stischen Richtung erzählt das 2. Kap. zunächst den Ausgang des reuchlini- stischen Nechtshandels mit den Dominicanern, wie diese auf Sickingens Er- forderung, doch zögernd und nicht ohne Winkelzüge, die si. 11 Kosten erstatten, Hvchstraten sein Priorat und Jnquisitorat interimistisch niederlegt, und die Mönche in einem Schreiben an den Papst unter ehrenvoller Erwähnung Reuchlins um gänzliche Niederschlagung des Processes bitten, dann aber als¬ bald auch diesen wiederaufzunehmen suchen, und Leo X. in der That nun die speiersche Sentenz kassiert, Reuchlins Augenspiegel verdammt, den .Ketzermeister wieder einsetzt; wie die Kölner jubilieren, Sickingen, von Hs. Feder unter¬ stützt, sich noch einmal für Reuchlin ins Mittel legt, bis mit Nenchlins Tod (»0. Juni 1521.) auch jener Streit abstarb. Aber während H. seinen Vadis- cus vollends zur Bekanntmachung bereitete, ermunterte er auch brieflich seine Freunde zum Kampfe gegen Rom; ihn selbst hielt nur sein Verhältniss zum Kurfürsten von Mainz ab, sich sogleich ganz und offen zu Luthers Sache zu bekennen. Diesen ermutigte er durch Gewinnung Sickingens, in dessen Namen er jenem in Schreiben an Melanchthon Schutz verhieß und ihn auf die Ebern- bürg einlud; auf der Reise dahin möge Luther auch auf Stackelberg einsprechen. Da vollendete H. die römische Dreifaltigkeit, sein „Manifest gegen Rom". (Die päpstlichen Monate waren noch zahlreicher und darum drückender, als sie S. 33 Note 1 bezeichnet sind.) Sie ist auch auszugsweise sehr häufig, in 4. und 8. gedruckt worden, und fand rasche und weite Verbreitung. Dieses Gespräch mit dem folgenden, die Anschauenden, zusammenhaltend meint Ser., bei Abfaßung des erstren sei der volksthümliche Drang in H. stärker gewesen, als daß derselbe von dem gebildeten Kunsttriebe in ihm völlig hätte bewältigt werden können, während wir sie im letztren wieder im schönsten Gleichgewichte finden. , Sollte hier der Urtheiler nicht zu viel im Künstler und zu wenig im Stoffe gesucht haben? Der fast actenmäßige, den Beschwerden der deutschen Nation füglich vergleichbare Stoff hätte sich wol eher in Form von Anklage¬ reden als in der eines Dialogs künstlerisch, behandeln laßen, während Sol und Phaethon. sich genau das Getreibe des Augsburger Reichstags (1518.) betrachtend nothwendig in ein Gespräch gerathen müßen, dessen reicher und durchweg patriotisch deutscher Inhalt ebenso künstlerisch gerecht ist, wie das nächtliche, acht deutsch gemütliche und abergläubig ahndungsvolle des Aceti und des Buben zwischen Steinen und Brombach. Auch Gervinus schon ist in seiner Litteraturgeschichte auf die Anschauenden um der Form willen näher 1?'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/139>, abgerufen am 14.05.2024.