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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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richtetcr Waschtisch sammt derben sauberen Handtüchern fehlten auch nicht.
Wie uns das alles cmmuthcte; natürlich nahmen wir in einem solchen Hause
herzlich gern Nachtherberge.

Nachmittags besuchten wir den protestantischen Geistlichen, der uns sehr
freundlich aufnahm. Er sprach zwar das Englische nicht geläufig, gab uns
aber willig Aufschlüsse über die Verhältnisse seiner Landsleute in
Texas. Auch in einigen Werkstätten und Läden sprachen wir vor, und
unterhielten uns mit einem Kaufmann über die Beschaffenheit und Menge
der von Deutschen gebauten Baumwolle. Gegen Abend trafen wir etwa ein
Dutzend sehr intelligenter Männer im Gasthof, und brachten die letzten Stun¬
den jenes Tages im Hause eines unsrer neuen Bekannten zu. Alles, was ich
sah und hörte, bestätigte die erfreulichen Mittheilungen, welche der Fleischer
uns gemacht hatte. Als ich um 10 Uhr Nachts nach dem Gasthofe zurückkehrte,
blieb ich vor einem Hause stehen und lauschte dem Gesang; seit langer lieber
Zeit hatte ich nicht so gut singen hören und die Stimmen waren vortrefflich.
Am andern Morgen sah ich auf freier Straße unweit vom Schulhaus ein
zahmes Reh umherlaufen; es trug ein Bändchen am Halse, damit man es
von den wilden unterscheiden konnte, wenn es sich etwa verlies. Das aller¬
liebste Thier war so wenig scheu, daß es aus mich zukam und mir die Hand
leckte. In welcher andern texanischcn Stadt hätte dergleichen geschehen
können?" --




Kleine ästhetische Streifzüge.

Der durchgreifende Erfolg eines neu erschienenen belletristischen Werks ist
in unsern Tagen so selten, daß man geneigt ist, wenn er einmal eintritt, ihn
aus allen Kräften zu fördern. Etwas Gutes, nimmt man an, muß doch
darin sein, da eine Wirkung nicht ohne Ursache gedacht werden kann. Von
den Bühnenstücken der letzten Zeit hat einzig Brachvogel's Narciß einen be¬
deutenden Erfolg gehabt; er ist jetzt im Druck erschienen (Leipzig, Costenoble),
und man hat Gelegenheit, an ihm den Geschmack des Theaterpublicums zu
controliren. Leider führt diese Betrachtung zu keinem günstigen Resultat.
An dem Drama ist weiter nichts zu loben, als ein gewisses rohes Geschick in
der Anwendung der theatralischen Effecte, und der Grund des Erfolges liegt
in einer Stimmung unseres Publicums, die uns nicht grade zur Freude
gereicht.

Wir pflegen unsere Nachbarn jenseit des Rheins mit einer gewissen
moralischen Geringschätzung zu betrachten, weil ihr Theater sich mit beson-


richtetcr Waschtisch sammt derben sauberen Handtüchern fehlten auch nicht.
Wie uns das alles cmmuthcte; natürlich nahmen wir in einem solchen Hause
herzlich gern Nachtherberge.

Nachmittags besuchten wir den protestantischen Geistlichen, der uns sehr
freundlich aufnahm. Er sprach zwar das Englische nicht geläufig, gab uns
aber willig Aufschlüsse über die Verhältnisse seiner Landsleute in
Texas. Auch in einigen Werkstätten und Läden sprachen wir vor, und
unterhielten uns mit einem Kaufmann über die Beschaffenheit und Menge
der von Deutschen gebauten Baumwolle. Gegen Abend trafen wir etwa ein
Dutzend sehr intelligenter Männer im Gasthof, und brachten die letzten Stun¬
den jenes Tages im Hause eines unsrer neuen Bekannten zu. Alles, was ich
sah und hörte, bestätigte die erfreulichen Mittheilungen, welche der Fleischer
uns gemacht hatte. Als ich um 10 Uhr Nachts nach dem Gasthofe zurückkehrte,
blieb ich vor einem Hause stehen und lauschte dem Gesang; seit langer lieber
Zeit hatte ich nicht so gut singen hören und die Stimmen waren vortrefflich.
Am andern Morgen sah ich auf freier Straße unweit vom Schulhaus ein
zahmes Reh umherlaufen; es trug ein Bändchen am Halse, damit man es
von den wilden unterscheiden konnte, wenn es sich etwa verlies. Das aller¬
liebste Thier war so wenig scheu, daß es aus mich zukam und mir die Hand
leckte. In welcher andern texanischcn Stadt hätte dergleichen geschehen
können?" —




Kleine ästhetische Streifzüge.

Der durchgreifende Erfolg eines neu erschienenen belletristischen Werks ist
in unsern Tagen so selten, daß man geneigt ist, wenn er einmal eintritt, ihn
aus allen Kräften zu fördern. Etwas Gutes, nimmt man an, muß doch
darin sein, da eine Wirkung nicht ohne Ursache gedacht werden kann. Von
den Bühnenstücken der letzten Zeit hat einzig Brachvogel's Narciß einen be¬
deutenden Erfolg gehabt; er ist jetzt im Druck erschienen (Leipzig, Costenoble),
und man hat Gelegenheit, an ihm den Geschmack des Theaterpublicums zu
controliren. Leider führt diese Betrachtung zu keinem günstigen Resultat.
An dem Drama ist weiter nichts zu loben, als ein gewisses rohes Geschick in
der Anwendung der theatralischen Effecte, und der Grund des Erfolges liegt
in einer Stimmung unseres Publicums, die uns nicht grade zur Freude
gereicht.

Wir pflegen unsere Nachbarn jenseit des Rheins mit einer gewissen
moralischen Geringschätzung zu betrachten, weil ihr Theater sich mit beson-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/157>, abgerufen am 29.04.2024.