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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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seine künftige Braut zuerst gesehn, das zweite Mal, nachdem er sich ihr erklärt.
Das tiefe Gefühl der Trauer, das in dem ersten Fall unvorbereitet auf ihn
eindringt, ist fein und tief wiedergeben, und eben so durchbebt uns die un¬
endliche Lust, mit welcher die Natur ihm das Gefühl seiner eigenen Liebe ent¬
gegenstrahlt. Schwächer ist die eigentliche Ausführung der beiden Liebesgeschichten.
B. II. S. 405 u. ff. B. III. S. 289 u. ff. In der ersten ist. wie schon be¬
merkt, nur Linke ohne Schatten d. h. ohne Grenze, und man möchte hinzu-
setzen, man hat es nur mit körperlosen Seelen zu thun. Etwas mehr
Energie regt sich bei der zweiten Geschichte. Mathilde hat wenigstens die
Kraft des Zorns, als ihr Geliebter ihr die Resignation des Pflichtgefühls ent¬
gegenhält. Aber diese Ausbrüche des Gefühls haben zu wenig Folge, das
Ganze endet doch wieder in stiller Wehmuth und Entsagung. Schon in den
Beiwörtern, mit welchen der Dichter seine Figuren aufführt, findet sich häusig ein
glücklicher Zug z. B.'I. S. 408. "Die zwei Schwestern konnten bezaubern,
aber um Nathalie war etwas wie ein tiefes Glück verbreitet." -- "Mathilde
war jetzt ein Bild der Ruhe und ich möchte sagen der Vergebung." Aber auch
das ist Abendstimmung und Nachsommer, und man möchte viel darum geben,
wenn sich durch diese sauften resignirten Gestalten einmal ein lustiger Kobold
drängte, wie Philine oder Luciane in den Wanderjahren.

Der Dichter hat aus dem schönen Stoff kein durchgreifendes Kunstwerk
machen können, weil ihm die Energie der Composition abging, aber durch
seine edle Gesinnung, sein warmes, echt poetisches Gefühl und seine reife
Lebensweisheit hebt sich das Buch sehr günstig gegen die meisten belletristischen
Erscheinungen unserer Tage ab, die aus den Augenblick ihre Wirkung be¬
I. S. rechnen und mit dem Augenblick vergessen sind. --




Lord Nornmllbys Memoiren.
' 2 '

^ ^eg>r ok I'övolution trou A ^ournsl Koye in ?s,ris in 1848 b)5 r.b.6 U^rhui"
izs Noi'Mead)'. Ivonäon, 1857. -5--

Die Memoiren, welche Lord Normanby soeben der Oeffentlichkeit über¬
geben, sind scharf getadelt worden, und in mancher Beziehung mit Recht. Die
Vorrede erklärt nur ungenügend, was den Marquis bewogen, der Welt Er¬
öffnungen über Ereignisse zu machen, die der jüngsten Vergangenheit ange¬
hören, und denen er in officieller und ofsiciöser Stellung beiwohnte. Er ver.
sichert zwar, daß er alles auslassen werde, was unmittelbar mit seinen ti-


seine künftige Braut zuerst gesehn, das zweite Mal, nachdem er sich ihr erklärt.
Das tiefe Gefühl der Trauer, das in dem ersten Fall unvorbereitet auf ihn
eindringt, ist fein und tief wiedergeben, und eben so durchbebt uns die un¬
endliche Lust, mit welcher die Natur ihm das Gefühl seiner eigenen Liebe ent¬
gegenstrahlt. Schwächer ist die eigentliche Ausführung der beiden Liebesgeschichten.
B. II. S. 405 u. ff. B. III. S. 289 u. ff. In der ersten ist. wie schon be¬
merkt, nur Linke ohne Schatten d. h. ohne Grenze, und man möchte hinzu-
setzen, man hat es nur mit körperlosen Seelen zu thun. Etwas mehr
Energie regt sich bei der zweiten Geschichte. Mathilde hat wenigstens die
Kraft des Zorns, als ihr Geliebter ihr die Resignation des Pflichtgefühls ent¬
gegenhält. Aber diese Ausbrüche des Gefühls haben zu wenig Folge, das
Ganze endet doch wieder in stiller Wehmuth und Entsagung. Schon in den
Beiwörtern, mit welchen der Dichter seine Figuren aufführt, findet sich häusig ein
glücklicher Zug z. B.'I. S. 408. „Die zwei Schwestern konnten bezaubern,
aber um Nathalie war etwas wie ein tiefes Glück verbreitet." — „Mathilde
war jetzt ein Bild der Ruhe und ich möchte sagen der Vergebung." Aber auch
das ist Abendstimmung und Nachsommer, und man möchte viel darum geben,
wenn sich durch diese sauften resignirten Gestalten einmal ein lustiger Kobold
drängte, wie Philine oder Luciane in den Wanderjahren.

Der Dichter hat aus dem schönen Stoff kein durchgreifendes Kunstwerk
machen können, weil ihm die Energie der Composition abging, aber durch
seine edle Gesinnung, sein warmes, echt poetisches Gefühl und seine reife
Lebensweisheit hebt sich das Buch sehr günstig gegen die meisten belletristischen
Erscheinungen unserer Tage ab, die aus den Augenblick ihre Wirkung be¬
I. S. rechnen und mit dem Augenblick vergessen sind. —




Lord Nornmllbys Memoiren.
' 2 '

^ ^eg>r ok I'övolution trou A ^ournsl Koye in ?s,ris in 1848 b)5 r.b.6 U^rhui»
izs Noi'Mead)'. Ivonäon, 1857. -5—

Die Memoiren, welche Lord Normanby soeben der Oeffentlichkeit über¬
geben, sind scharf getadelt worden, und in mancher Beziehung mit Recht. Die
Vorrede erklärt nur ungenügend, was den Marquis bewogen, der Welt Er¬
öffnungen über Ereignisse zu machen, die der jüngsten Vergangenheit ange¬
hören, und denen er in officieller und ofsiciöser Stellung beiwohnte. Er ver.
sichert zwar, daß er alles auslassen werde, was unmittelbar mit seinen ti-


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[0180] seine künftige Braut zuerst gesehn, das zweite Mal, nachdem er sich ihr erklärt. Das tiefe Gefühl der Trauer, das in dem ersten Fall unvorbereitet auf ihn eindringt, ist fein und tief wiedergeben, und eben so durchbebt uns die un¬ endliche Lust, mit welcher die Natur ihm das Gefühl seiner eigenen Liebe ent¬ gegenstrahlt. Schwächer ist die eigentliche Ausführung der beiden Liebesgeschichten. B. II. S. 405 u. ff. B. III. S. 289 u. ff. In der ersten ist. wie schon be¬ merkt, nur Linke ohne Schatten d. h. ohne Grenze, und man möchte hinzu- setzen, man hat es nur mit körperlosen Seelen zu thun. Etwas mehr Energie regt sich bei der zweiten Geschichte. Mathilde hat wenigstens die Kraft des Zorns, als ihr Geliebter ihr die Resignation des Pflichtgefühls ent¬ gegenhält. Aber diese Ausbrüche des Gefühls haben zu wenig Folge, das Ganze endet doch wieder in stiller Wehmuth und Entsagung. Schon in den Beiwörtern, mit welchen der Dichter seine Figuren aufführt, findet sich häusig ein glücklicher Zug z. B.'I. S. 408. „Die zwei Schwestern konnten bezaubern, aber um Nathalie war etwas wie ein tiefes Glück verbreitet." — „Mathilde war jetzt ein Bild der Ruhe und ich möchte sagen der Vergebung." Aber auch das ist Abendstimmung und Nachsommer, und man möchte viel darum geben, wenn sich durch diese sauften resignirten Gestalten einmal ein lustiger Kobold drängte, wie Philine oder Luciane in den Wanderjahren. Der Dichter hat aus dem schönen Stoff kein durchgreifendes Kunstwerk machen können, weil ihm die Energie der Composition abging, aber durch seine edle Gesinnung, sein warmes, echt poetisches Gefühl und seine reife Lebensweisheit hebt sich das Buch sehr günstig gegen die meisten belletristischen Erscheinungen unserer Tage ab, die aus den Augenblick ihre Wirkung be¬ I. S. rechnen und mit dem Augenblick vergessen sind. — Lord Nornmllbys Memoiren. ' 2 ' ^ ^eg>r ok I'övolution trou A ^ournsl Koye in ?s,ris in 1848 b)5 r.b.6 U^rhui» izs Noi'Mead)'. Ivonäon, 1857. -5— Die Memoiren, welche Lord Normanby soeben der Oeffentlichkeit über¬ geben, sind scharf getadelt worden, und in mancher Beziehung mit Recht. Die Vorrede erklärt nur ungenügend, was den Marquis bewogen, der Welt Er¬ öffnungen über Ereignisse zu machen, die der jüngsten Vergangenheit ange¬ hören, und denen er in officieller und ofsiciöser Stellung beiwohnte. Er ver. sichert zwar, daß er alles auslassen werde, was unmittelbar mit seinen ti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/180>, abgerufen am 29.04.2024.