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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Studium diesem Gebiet noch ziemlich fremd. Es würde eben hier zu größerer
Uebersichtlichkeit führen und namentlich Licht verbreiten über denjenigen musi¬
kalischen Theil, der nicht wie die Canzonen von der modischen Opernmelodik
angesteckt worden ist. Hierher gehören zumal die einfachen Weisen der Pife-
rari, der Ritornells, der venezianischen Stanzen. Auch das Wesen der Ris-
Pvsta käme dabei in Betracht. Es scheint uralt. Schon in einigen Idyllen
des Theokrit (z. B. in der 5.) antworten sich die Hirten in solchem Wechsel-
gesange. Birgils Idyllen bieten nähere Anhaltpunkte, und Horaz spricht in
seinen Buchen von Wechselgesängen der fescennischcn Landleute, die dem näm¬
lichen Gebiete angehören dürften und sehr wahrscheinlich die Melodie des
heutigen Ritornells schon festhielten, denn sie scheint ganz gemacht, von Jahr¬
N. W. hundert zu Jahrhundert unverändert fortzuleben.




Französische Zustände.

Der Mordversuch auf das Leben des Kaisers Napoleon hat von neuem
alle Blicke auf die innern Zustände Frankreichs gerichtet und den Abgrund
gezeigt, an dem dies Land noch immer steht. Der Vulkan ist nicht aus¬
gebrannt, die Lava ist noch in glühendem Flusse und wartet der Gelegenheit
sich zu entladen. Es ist von der kaiserlichen Presse sogleich darauf auf¬
merksam gemacht, daß kein Franzose sich an dem Berbrcchen bethei¬
ligt; es mag sein, daß die Untersuchung dies bestätigt, aber es ist eben¬
so sicher, daß das Attentat von der Oper keine isolirte Thatsache war und
daß eine allgemeine Schildcrhebung in Italien und Frankreich damit zu¬
sammenfallen sollte. Während die Flüchtlinge einen Handstreich aus Ancona
vorbereiteten, waren die Socialisten im Dauphin" und den mittlern Departe¬
ments geschäftig, sprachen von einer baldigen Revolution und machten sich
fertig auf Paris zu marschiren, um den Aufstand mit Waffengewalt zu unter¬
stützen. Dies ist nicht nur durch amtliche Berichte, sondern auch durch Briefe
von Leuten festgestellt, die ebenso unabhängig von den Parteien als von der
Negierung sind; die Adresse des Senates sagt, der revolutionäre Geist, der
aus Frankreich vertrieben (?). habe im Ausland seinen Sitz aufgeschlagen und
sei kosmopolitisch geworden. Bis zu einem gewissen Grade ist das wahr,
es gibt eine Art Solidarität der revolutionären Propaganda, die den Sturz
aller Throne und die rothe Republik will, Italiener, Franzosen, Polen,
Spanier, Rumänen u. s. w., aber um" wird auch kaum einen Revolutionär
aus einem Lande finden, dessen Zustande nicht höchst bedenklich sind und
durch den Druck des Despotismus den Gegendruck des Aufstandes hervorrufen.


Grenzboten I. 1853. 3l>

Studium diesem Gebiet noch ziemlich fremd. Es würde eben hier zu größerer
Uebersichtlichkeit führen und namentlich Licht verbreiten über denjenigen musi¬
kalischen Theil, der nicht wie die Canzonen von der modischen Opernmelodik
angesteckt worden ist. Hierher gehören zumal die einfachen Weisen der Pife-
rari, der Ritornells, der venezianischen Stanzen. Auch das Wesen der Ris-
Pvsta käme dabei in Betracht. Es scheint uralt. Schon in einigen Idyllen
des Theokrit (z. B. in der 5.) antworten sich die Hirten in solchem Wechsel-
gesange. Birgils Idyllen bieten nähere Anhaltpunkte, und Horaz spricht in
seinen Buchen von Wechselgesängen der fescennischcn Landleute, die dem näm¬
lichen Gebiete angehören dürften und sehr wahrscheinlich die Melodie des
heutigen Ritornells schon festhielten, denn sie scheint ganz gemacht, von Jahr¬
N. W. hundert zu Jahrhundert unverändert fortzuleben.




Französische Zustände.

Der Mordversuch auf das Leben des Kaisers Napoleon hat von neuem
alle Blicke auf die innern Zustände Frankreichs gerichtet und den Abgrund
gezeigt, an dem dies Land noch immer steht. Der Vulkan ist nicht aus¬
gebrannt, die Lava ist noch in glühendem Flusse und wartet der Gelegenheit
sich zu entladen. Es ist von der kaiserlichen Presse sogleich darauf auf¬
merksam gemacht, daß kein Franzose sich an dem Berbrcchen bethei¬
ligt; es mag sein, daß die Untersuchung dies bestätigt, aber es ist eben¬
so sicher, daß das Attentat von der Oper keine isolirte Thatsache war und
daß eine allgemeine Schildcrhebung in Italien und Frankreich damit zu¬
sammenfallen sollte. Während die Flüchtlinge einen Handstreich aus Ancona
vorbereiteten, waren die Socialisten im Dauphin« und den mittlern Departe¬
ments geschäftig, sprachen von einer baldigen Revolution und machten sich
fertig auf Paris zu marschiren, um den Aufstand mit Waffengewalt zu unter¬
stützen. Dies ist nicht nur durch amtliche Berichte, sondern auch durch Briefe
von Leuten festgestellt, die ebenso unabhängig von den Parteien als von der
Negierung sind; die Adresse des Senates sagt, der revolutionäre Geist, der
aus Frankreich vertrieben (?). habe im Ausland seinen Sitz aufgeschlagen und
sei kosmopolitisch geworden. Bis zu einem gewissen Grade ist das wahr,
es gibt eine Art Solidarität der revolutionären Propaganda, die den Sturz
aller Throne und die rothe Republik will, Italiener, Franzosen, Polen,
Spanier, Rumänen u. s. w., aber um» wird auch kaum einen Revolutionär
aus einem Lande finden, dessen Zustande nicht höchst bedenklich sind und
durch den Druck des Despotismus den Gegendruck des Aufstandes hervorrufen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/241>, abgerufen am 29.04.2024.