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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Ein französischer Marschall.

Memoiren des Marschalls Marmont, Herzogs von Ragusa. Herausgegeben nach
dessen hinterlassenen Original-Manuscript, Aus dem Französischen übersetzt
und mit einer Einleitung von C, Goldbeck. > Vollständige Ausgabe in
4 Bd. -- Bd. 1. 2. (Potsdam, Stein).

Marmonts Memoiren, seit der Veröffentlichung der Korrespondenz Napo¬
leons mit seinem Bruder Joseph vielleicht der wichtigste Beitrag für die Ge¬
schichte des großen Kaisers, haben in der jetzt in Frankreich herrschenden
Partei einen ungewöhnlichen Zorn hervorgerufen, und bereits eine ganze Flut
von Gegenschriften veranlasst. Man kann nicht leugnen, daß Marmont in
seinen persönlichen Angriffen sehr bitter ist. und namentlich in seiner Polemik
gegen den Vicekönig von Italien das Maß überschreitet. Zudem spricht er
von Napoleon 1. nicht wie von einem übermenschlichen Wesen, sondern wie
von einem Menschen voll großer Gaben und Leidenschaften, der. wie er an
Kraft seine Umgebungen überragte, so durch seine Schwächen und Verirrun-
gen ihre Kritik herausforderte. Zu den Zeiten der Restauration war es nicht
erlaubt, von Napoleon anders zu reden als von einem menschenfeindlichen
Tyrannen, heute gilt es für eine Majestätsbeleidigung gegen das souveraine
französische Volk, wenn man den Oheim des Neffen nicht vergöttert. Dazu
kommt die Persönlichkeit, von der diese Beleidigungen ausgehn. Marmont
gehörte zu den vorzüglichsten Generalen des Kaiserreichs, und er besaß auch
in seiner Erscheinung jenen Zauber, der uns bei vielen Helden jener Periode
selbst wider unsern Willen besticht, aber trotz seiner großen Erfolge in solchen
Actionen, wo er nicht die Hauptrolle spielte, hatte er das Unglück, in den
entscheidenden Momenten seines Lebens seiner Sache mehr zu schaden als zu
nützen. Zuerst verlor er die Schlacht bei Salamanka, welche gewissermaßen
der Wendepunkt in dem Schicksal des Imperators war. Dann war er ge¬
nöthigt, mit den Alliirten jene Capitulation abzuschließen, welche Napoleon,
obgleich mit Unrecht, als den eigentlichen Grund seines Falls bezeichnete.
Infolge dessen proscribirte Napoleon während der hundert Tage seinen
Marschall, und dieser folgte den Bourbons in ihr erstes Exil, was ihm nach¬
her von ihrer Seite hohe Ehrenstellen eintrug. Damals geschah es, daß sich


Grmjlwto" I,, 1858. 41
Ein französischer Marschall.

Memoiren des Marschalls Marmont, Herzogs von Ragusa. Herausgegeben nach
dessen hinterlassenen Original-Manuscript, Aus dem Französischen übersetzt
und mit einer Einleitung von C, Goldbeck. > Vollständige Ausgabe in
4 Bd. — Bd. 1. 2. (Potsdam, Stein).

Marmonts Memoiren, seit der Veröffentlichung der Korrespondenz Napo¬
leons mit seinem Bruder Joseph vielleicht der wichtigste Beitrag für die Ge¬
schichte des großen Kaisers, haben in der jetzt in Frankreich herrschenden
Partei einen ungewöhnlichen Zorn hervorgerufen, und bereits eine ganze Flut
von Gegenschriften veranlasst. Man kann nicht leugnen, daß Marmont in
seinen persönlichen Angriffen sehr bitter ist. und namentlich in seiner Polemik
gegen den Vicekönig von Italien das Maß überschreitet. Zudem spricht er
von Napoleon 1. nicht wie von einem übermenschlichen Wesen, sondern wie
von einem Menschen voll großer Gaben und Leidenschaften, der. wie er an
Kraft seine Umgebungen überragte, so durch seine Schwächen und Verirrun-
gen ihre Kritik herausforderte. Zu den Zeiten der Restauration war es nicht
erlaubt, von Napoleon anders zu reden als von einem menschenfeindlichen
Tyrannen, heute gilt es für eine Majestätsbeleidigung gegen das souveraine
französische Volk, wenn man den Oheim des Neffen nicht vergöttert. Dazu
kommt die Persönlichkeit, von der diese Beleidigungen ausgehn. Marmont
gehörte zu den vorzüglichsten Generalen des Kaiserreichs, und er besaß auch
in seiner Erscheinung jenen Zauber, der uns bei vielen Helden jener Periode
selbst wider unsern Willen besticht, aber trotz seiner großen Erfolge in solchen
Actionen, wo er nicht die Hauptrolle spielte, hatte er das Unglück, in den
entscheidenden Momenten seines Lebens seiner Sache mehr zu schaden als zu
nützen. Zuerst verlor er die Schlacht bei Salamanka, welche gewissermaßen
der Wendepunkt in dem Schicksal des Imperators war. Dann war er ge¬
nöthigt, mit den Alliirten jene Capitulation abzuschließen, welche Napoleon,
obgleich mit Unrecht, als den eigentlichen Grund seines Falls bezeichnete.
Infolge dessen proscribirte Napoleon während der hundert Tage seinen
Marschall, und dieser folgte den Bourbons in ihr erstes Exil, was ihm nach¬
her von ihrer Seite hohe Ehrenstellen eintrug. Damals geschah es, daß sich


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[0329] Ein französischer Marschall. Memoiren des Marschalls Marmont, Herzogs von Ragusa. Herausgegeben nach dessen hinterlassenen Original-Manuscript, Aus dem Französischen übersetzt und mit einer Einleitung von C, Goldbeck. > Vollständige Ausgabe in 4 Bd. — Bd. 1. 2. (Potsdam, Stein). Marmonts Memoiren, seit der Veröffentlichung der Korrespondenz Napo¬ leons mit seinem Bruder Joseph vielleicht der wichtigste Beitrag für die Ge¬ schichte des großen Kaisers, haben in der jetzt in Frankreich herrschenden Partei einen ungewöhnlichen Zorn hervorgerufen, und bereits eine ganze Flut von Gegenschriften veranlasst. Man kann nicht leugnen, daß Marmont in seinen persönlichen Angriffen sehr bitter ist. und namentlich in seiner Polemik gegen den Vicekönig von Italien das Maß überschreitet. Zudem spricht er von Napoleon 1. nicht wie von einem übermenschlichen Wesen, sondern wie von einem Menschen voll großer Gaben und Leidenschaften, der. wie er an Kraft seine Umgebungen überragte, so durch seine Schwächen und Verirrun- gen ihre Kritik herausforderte. Zu den Zeiten der Restauration war es nicht erlaubt, von Napoleon anders zu reden als von einem menschenfeindlichen Tyrannen, heute gilt es für eine Majestätsbeleidigung gegen das souveraine französische Volk, wenn man den Oheim des Neffen nicht vergöttert. Dazu kommt die Persönlichkeit, von der diese Beleidigungen ausgehn. Marmont gehörte zu den vorzüglichsten Generalen des Kaiserreichs, und er besaß auch in seiner Erscheinung jenen Zauber, der uns bei vielen Helden jener Periode selbst wider unsern Willen besticht, aber trotz seiner großen Erfolge in solchen Actionen, wo er nicht die Hauptrolle spielte, hatte er das Unglück, in den entscheidenden Momenten seines Lebens seiner Sache mehr zu schaden als zu nützen. Zuerst verlor er die Schlacht bei Salamanka, welche gewissermaßen der Wendepunkt in dem Schicksal des Imperators war. Dann war er ge¬ nöthigt, mit den Alliirten jene Capitulation abzuschließen, welche Napoleon, obgleich mit Unrecht, als den eigentlichen Grund seines Falls bezeichnete. Infolge dessen proscribirte Napoleon während der hundert Tage seinen Marschall, und dieser folgte den Bourbons in ihr erstes Exil, was ihm nach¬ her von ihrer Seite hohe Ehrenstellen eintrug. Damals geschah es, daß sich Grmjlwto» I,, 1858. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/329>, abgerufen am 29.04.2024.