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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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wir aber, im Sinn des größeren Publicums, dem die allgemein menschlichen
Interessen näher liegen als die gelehrten, mochten ihn dringend auffordern,
vor allem an die Vollendung des Mozart, an das noch größere Werk über
Beethoven und das über Haydn zu denken; denn die Archäologie wird nicht
untergehn, wenn man auch noch länger auf ein zweckmäßiges Lehrbuch wartet,
aber die Vorarbeiten zu dem Leben jener großen Männer können nicht zum
zweiten Mal gemacht, sie können von keinem andern so bearbeitet werden, als
Jahr es versteht. Bei allem Respect vor der Gelehrsamkeit -- dem Volk
die Perspektive in den tiefen Schacht eines großen, genialen Lebens zu
öffnen und damit seinen Sinn für das Große zu stärken, zu erweitern, sein
Gefühl zu adeln, ist doch noch mehr werth, und da es gnr wenige in Deutsch¬
land gibt, in denen die seltene Vereinigung auseinanderliegender Gaben --
kritische Methode und warmes Herz, strenge Gelehrsamkeit und Kunstbildung
freies Urtheil und Begeisterung -- in diesem Grad sich vorfindet so darf
,I- S. man ihm wol das Sprichwort vorhalten: 5l<Mös8o MiZe!




Traumleben aus dem Nil.

Wenn der arabische Schiffer die Chowadschi aus dem Frankenlande, die
auf seiner Dahabieh die Reise von Kairo hinauf nach den Trümmcrstättcn
von Theben und weiter nach den Wasserfallen von Syene machen, mit leuch¬
tenden Blicken fragt: "Habt auch ihr einen solchen Strom?" so begreift man
das. Die Frage ist reine Prosa. Aegypten ist eine Oase der großen nord¬
afrikanischen Wüste, der Nil ihr Schöpfer und Erhalter. Der Mann denkt
an die dürren, todten Flächen von Sand und Gestein, die sich zu beiden
Seiten Tagereisen auf Tagereisen strecken, und weidet seine Augen an dem
Gegensatz, der ihnen in dem prachtvollen Spiegel süßen Wassers und in der
fetten tiefgrünen Uferlandschaft entgegentritt. Wir verstehen seine Empfindung,
wenn er den Fluß mit einem Gesichte heiliger Scheu, wenn er ihn trotz Koran
und Mohammed als eine Gottheit betrachtet, und wir glauben ihm, wenn
er meint, hätte der Prophet vom Nilwasser gekostet, so würde er Allah um
ewiges Leben gebeten haben, um es immer trinken zu können. Es schmeckt
auch dem, der nicht an das Brackwasser der Wüstenbrunnen gewöhnt ist, sehr
^ohl, schon deshalb, weil ganz Aegypten kein anderes hat.

Nicht so begreiflich ist es in den ersten Wochen dem stromauffahrenden
weihenden, wenn er Europäer, die ihm flußabwärts kommend begegnen, mit
Wärme von der Poesie des Lebens auf dem Nil sprechen hört, wenn einzelne
^utzückt, begeistert, berauscht von seinen Freuden und Genüssen sind, wenn das


wir aber, im Sinn des größeren Publicums, dem die allgemein menschlichen
Interessen näher liegen als die gelehrten, mochten ihn dringend auffordern,
vor allem an die Vollendung des Mozart, an das noch größere Werk über
Beethoven und das über Haydn zu denken; denn die Archäologie wird nicht
untergehn, wenn man auch noch länger auf ein zweckmäßiges Lehrbuch wartet,
aber die Vorarbeiten zu dem Leben jener großen Männer können nicht zum
zweiten Mal gemacht, sie können von keinem andern so bearbeitet werden, als
Jahr es versteht. Bei allem Respect vor der Gelehrsamkeit — dem Volk
die Perspektive in den tiefen Schacht eines großen, genialen Lebens zu
öffnen und damit seinen Sinn für das Große zu stärken, zu erweitern, sein
Gefühl zu adeln, ist doch noch mehr werth, und da es gnr wenige in Deutsch¬
land gibt, in denen die seltene Vereinigung auseinanderliegender Gaben —
kritische Methode und warmes Herz, strenge Gelehrsamkeit und Kunstbildung
freies Urtheil und Begeisterung — in diesem Grad sich vorfindet so darf
,I- S. man ihm wol das Sprichwort vorhalten: 5l<Mös8o MiZe!




Traumleben aus dem Nil.

Wenn der arabische Schiffer die Chowadschi aus dem Frankenlande, die
auf seiner Dahabieh die Reise von Kairo hinauf nach den Trümmcrstättcn
von Theben und weiter nach den Wasserfallen von Syene machen, mit leuch¬
tenden Blicken fragt: „Habt auch ihr einen solchen Strom?" so begreift man
das. Die Frage ist reine Prosa. Aegypten ist eine Oase der großen nord¬
afrikanischen Wüste, der Nil ihr Schöpfer und Erhalter. Der Mann denkt
an die dürren, todten Flächen von Sand und Gestein, die sich zu beiden
Seiten Tagereisen auf Tagereisen strecken, und weidet seine Augen an dem
Gegensatz, der ihnen in dem prachtvollen Spiegel süßen Wassers und in der
fetten tiefgrünen Uferlandschaft entgegentritt. Wir verstehen seine Empfindung,
wenn er den Fluß mit einem Gesichte heiliger Scheu, wenn er ihn trotz Koran
und Mohammed als eine Gottheit betrachtet, und wir glauben ihm, wenn
er meint, hätte der Prophet vom Nilwasser gekostet, so würde er Allah um
ewiges Leben gebeten haben, um es immer trinken zu können. Es schmeckt
auch dem, der nicht an das Brackwasser der Wüstenbrunnen gewöhnt ist, sehr
^ohl, schon deshalb, weil ganz Aegypten kein anderes hat.

Nicht so begreiflich ist es in den ersten Wochen dem stromauffahrenden
weihenden, wenn er Europäer, die ihm flußabwärts kommend begegnen, mit
Wärme von der Poesie des Lebens auf dem Nil sprechen hört, wenn einzelne
^utzückt, begeistert, berauscht von seinen Freuden und Genüssen sind, wenn das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/39>, abgerufen am 28.04.2024.