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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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lischen Volke aussprach, ist Frankreich gezeigt, daß sein Wille doch nicht für
die unabhängigen europäischen Staaten Gesetz ist, seine Absichten und den
Stil, in welchem es spricht, wo es kann, ersieht man aus der Depesche vom
20, Januar an seinen Gesandten in Bern, die soeben veröffentlicht ist.




Das Versicherungswesen unserer Zeit.
2.
Die Landversicherungen.

Wir haben im Eingang zu diesem zweiten Artikel zunächst noch eine Be-
sprechung nachzuholen, welche eigentlich allen weitern Erörterungen hätte vor¬
angehen müssen. Man versichert einen Gegenstand, sein Leben oder sonst etwas,
d. h. man veranlaßt einen andern, daß dieser für gewisse im voraus bezeich¬
nete Fälle eine Entschädigungspflicht übernehme und zwar dies gegen die Vor¬
ausbezahlung eines in der Regel unbedeutenden Procentsatzes der stipulirten
Entschädigungssumme. Daß ein Einzelner sich einen solchen Vortheil zusichern
läßt, nimmt nicht Wunder, viel eher kann es auffallen, daß der andere die
Ersatzpflicht übernimmt und daß man ihm die Fähigkeit zutraut, ihr erforder¬
lichen Falls zu genügen. Und man traut sie ihm zu. nicht weil er eine einzelne
oder mehre Gefahren übernommen, die seinem Vermögen entsprechen, sondern
weil und je mehr Gefahren er auf sich geladen, deren Gesammtbetrag weit
über sein Vermögen hinausgeht. Dennoch setzt sich der andere nicht blos
freiwillig in diese Lage, sondern er hofft mit Zuversicht sogar einen Gewinn
aus der Uebernahme von recht vielen Gefahren zu ziehen. Gewiß eine etwas
wunderbare Sachlage.

Es ist indeß wol jedermann bekannt, wodurch sich solche anscheinende
Widersprüche lösen. Je mehr Ersatzpflichten für eine Reihe von Gefahren ein
Verhinderer über sich nimmt, um desto geringer kann allgemein die Wahrschein¬
lichkeit angenommen werden, daß jede einzelne mögliche Gefahr wirklich ein¬
trete. Aus den für jede einzelne Gcfahrübernehmung (Versicherung) gesam¬
melten Procentsätzen soll das Capital entstehen, um nicht blos die erforderlichen
Entschädigungen zu gewähren, sondern auch dem. der die Gefahr übernimmt,
einen Gewinn zu lassen. Wenn hier und da Versicherungsgesellschaften bei
ihren Zeitungsannoncen sich ihres großen Actiencapitals rühmen, fünf
Millionen oder zwanzig Millionen Capital, so heißt das auf die Unkunde des
Publicums rechnen. Eine Versicherungsgesellschaft, welche sich in die Lage
setzt, ihr Capital angreifen zu müssen, bietet schon keine Sicherheit mehr, weil
fünf oder zwanzig Millionen verhinderter Werthe bei nur einigem Umfang des


lischen Volke aussprach, ist Frankreich gezeigt, daß sein Wille doch nicht für
die unabhängigen europäischen Staaten Gesetz ist, seine Absichten und den
Stil, in welchem es spricht, wo es kann, ersieht man aus der Depesche vom
20, Januar an seinen Gesandten in Bern, die soeben veröffentlicht ist.




Das Versicherungswesen unserer Zeit.
2.
Die Landversicherungen.

Wir haben im Eingang zu diesem zweiten Artikel zunächst noch eine Be-
sprechung nachzuholen, welche eigentlich allen weitern Erörterungen hätte vor¬
angehen müssen. Man versichert einen Gegenstand, sein Leben oder sonst etwas,
d. h. man veranlaßt einen andern, daß dieser für gewisse im voraus bezeich¬
nete Fälle eine Entschädigungspflicht übernehme und zwar dies gegen die Vor¬
ausbezahlung eines in der Regel unbedeutenden Procentsatzes der stipulirten
Entschädigungssumme. Daß ein Einzelner sich einen solchen Vortheil zusichern
läßt, nimmt nicht Wunder, viel eher kann es auffallen, daß der andere die
Ersatzpflicht übernimmt und daß man ihm die Fähigkeit zutraut, ihr erforder¬
lichen Falls zu genügen. Und man traut sie ihm zu. nicht weil er eine einzelne
oder mehre Gefahren übernommen, die seinem Vermögen entsprechen, sondern
weil und je mehr Gefahren er auf sich geladen, deren Gesammtbetrag weit
über sein Vermögen hinausgeht. Dennoch setzt sich der andere nicht blos
freiwillig in diese Lage, sondern er hofft mit Zuversicht sogar einen Gewinn
aus der Uebernahme von recht vielen Gefahren zu ziehen. Gewiß eine etwas
wunderbare Sachlage.

Es ist indeß wol jedermann bekannt, wodurch sich solche anscheinende
Widersprüche lösen. Je mehr Ersatzpflichten für eine Reihe von Gefahren ein
Verhinderer über sich nimmt, um desto geringer kann allgemein die Wahrschein¬
lichkeit angenommen werden, daß jede einzelne mögliche Gefahr wirklich ein¬
trete. Aus den für jede einzelne Gcfahrübernehmung (Versicherung) gesam¬
melten Procentsätzen soll das Capital entstehen, um nicht blos die erforderlichen
Entschädigungen zu gewähren, sondern auch dem. der die Gefahr übernimmt,
einen Gewinn zu lassen. Wenn hier und da Versicherungsgesellschaften bei
ihren Zeitungsannoncen sich ihres großen Actiencapitals rühmen, fünf
Millionen oder zwanzig Millionen Capital, so heißt das auf die Unkunde des
Publicums rechnen. Eine Versicherungsgesellschaft, welche sich in die Lage
setzt, ihr Capital angreifen zu müssen, bietet schon keine Sicherheit mehr, weil
fünf oder zwanzig Millionen verhinderter Werthe bei nur einigem Umfang des


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[0466] lischen Volke aussprach, ist Frankreich gezeigt, daß sein Wille doch nicht für die unabhängigen europäischen Staaten Gesetz ist, seine Absichten und den Stil, in welchem es spricht, wo es kann, ersieht man aus der Depesche vom 20, Januar an seinen Gesandten in Bern, die soeben veröffentlicht ist. Das Versicherungswesen unserer Zeit. 2. Die Landversicherungen. Wir haben im Eingang zu diesem zweiten Artikel zunächst noch eine Be- sprechung nachzuholen, welche eigentlich allen weitern Erörterungen hätte vor¬ angehen müssen. Man versichert einen Gegenstand, sein Leben oder sonst etwas, d. h. man veranlaßt einen andern, daß dieser für gewisse im voraus bezeich¬ nete Fälle eine Entschädigungspflicht übernehme und zwar dies gegen die Vor¬ ausbezahlung eines in der Regel unbedeutenden Procentsatzes der stipulirten Entschädigungssumme. Daß ein Einzelner sich einen solchen Vortheil zusichern läßt, nimmt nicht Wunder, viel eher kann es auffallen, daß der andere die Ersatzpflicht übernimmt und daß man ihm die Fähigkeit zutraut, ihr erforder¬ lichen Falls zu genügen. Und man traut sie ihm zu. nicht weil er eine einzelne oder mehre Gefahren übernommen, die seinem Vermögen entsprechen, sondern weil und je mehr Gefahren er auf sich geladen, deren Gesammtbetrag weit über sein Vermögen hinausgeht. Dennoch setzt sich der andere nicht blos freiwillig in diese Lage, sondern er hofft mit Zuversicht sogar einen Gewinn aus der Uebernahme von recht vielen Gefahren zu ziehen. Gewiß eine etwas wunderbare Sachlage. Es ist indeß wol jedermann bekannt, wodurch sich solche anscheinende Widersprüche lösen. Je mehr Ersatzpflichten für eine Reihe von Gefahren ein Verhinderer über sich nimmt, um desto geringer kann allgemein die Wahrschein¬ lichkeit angenommen werden, daß jede einzelne mögliche Gefahr wirklich ein¬ trete. Aus den für jede einzelne Gcfahrübernehmung (Versicherung) gesam¬ melten Procentsätzen soll das Capital entstehen, um nicht blos die erforderlichen Entschädigungen zu gewähren, sondern auch dem. der die Gefahr übernimmt, einen Gewinn zu lassen. Wenn hier und da Versicherungsgesellschaften bei ihren Zeitungsannoncen sich ihres großen Actiencapitals rühmen, fünf Millionen oder zwanzig Millionen Capital, so heißt das auf die Unkunde des Publicums rechnen. Eine Versicherungsgesellschaft, welche sich in die Lage setzt, ihr Capital angreifen zu müssen, bietet schon keine Sicherheit mehr, weil fünf oder zwanzig Millionen verhinderter Werthe bei nur einigem Umfang des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/466>, abgerufen am 29.04.2024.