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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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in unnatürlicher Auflehnung gegen ihre eigensten Gesetze hervorbringen und
sie zu tadeln, wenn sie sich innerhalb der ihnen angewiesenen Grenzen halten.
Ueber nichts gehn wol die Ansichten so weit auseinander, als über Darstell¬
barkeit und Undarstellbarkcit. Es wird Vielen als Ketzerei erscheinen, wenn
der Verfasser die Darstellbarkeit des Gedankens in Frage zieht, der sich in der
Schiller- und Gocthegruppe zu Weimar aussprechen soll, "Wer den Gedanken
dieser Gruppe zuerst geboren hat, weinte es wol gut mit unsern Dichtcrhelden,
hat aber die Leistungsfähigkeit der Plastik auf eine harte Probe gestellt.
Schwerlich kann man eine härtere Abstraction ersinnen und ein minder greif¬
bares Ding ausdenken, als die der Gruppe zu Grunde liegende Idee. Das
Verhältniß zwischen beiden Dichtern, die Thatsache und die bestimmte Art
ihres Zusammenwirkens soll in derselben zum Ausdruck kommen. Ist denn
der Zusammenhang zwischen Goethe und Schiller etwas Einfaches und sinn¬
lich Wahrnehmbares? Kann dieser Zusammenhang anders als zeitlich entwickelt
werden? -- wie er ja auch in Wirklichkeit nur nach und nach sichtbar wurde.
Heißt denselben plastisch darstellen, nicht in Wahrheit ein verwickeltes und kei¬
neswegs unmittelbar verständliches Capitel der Literaturgeschichte symbolisiren?
Es übersteigt schlechterdings die Grenzen der bildenden Künste und erscheint
vollends für die Ausdrucksmittel der Plastik ganz unmöglich, das Wechsel-
Verhältniß zwischen den beiden Männern klar und richtig darzustellen." Dieser
Ansicht stimmen wir (ohne das Werk gesehn zu haben) vollkommen bei, glau¬
ben aber gern, daß es dem Künstler gelungen sei, die Ungunst des Gegen¬
standes bis auf einen gewissen Grad zu überwinden, und wenn er auch nicht
die angegebene Intention auszudrücken vermochte, doch eine schöne und bedeu¬
tende Gruppe unsrer großen Dichter zu geben.

Ganz besonders eignet sich Springers Vues zur Orientirung in den Kunst¬
zuständen der Gegenwart durch seine Kürze und Übersichtlichkeit. Seine prak¬
tische Brauchbarkeit wird durch ein angehängtes Künstlervcrzeichniß erhöht; in
diesem fehlen freilich manche Namen, die man zu finden erwarten könnte, und
nicht alle Angaben dürften zuverlässig sein. Für den gewöhnlichen Gebrauch
ist es vollkommen ausreichend.




Kleine ästhetische Streifzüge.

Als Schiller die Götter Griechenlands schrieb, jenes Gedicht, aus welchem
eine so unnennbare Sehnsucht nach der Verlornen Einheit der menschlichen
Natur athmet, war es nicht die Kenntniß des griechischen Alterthums, was
ihn beseelte, sondern ein innerer Jnstinct. der, durch den Pietismus und das


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in unnatürlicher Auflehnung gegen ihre eigensten Gesetze hervorbringen und
sie zu tadeln, wenn sie sich innerhalb der ihnen angewiesenen Grenzen halten.
Ueber nichts gehn wol die Ansichten so weit auseinander, als über Darstell¬
barkeit und Undarstellbarkcit. Es wird Vielen als Ketzerei erscheinen, wenn
der Verfasser die Darstellbarkeit des Gedankens in Frage zieht, der sich in der
Schiller- und Gocthegruppe zu Weimar aussprechen soll, „Wer den Gedanken
dieser Gruppe zuerst geboren hat, weinte es wol gut mit unsern Dichtcrhelden,
hat aber die Leistungsfähigkeit der Plastik auf eine harte Probe gestellt.
Schwerlich kann man eine härtere Abstraction ersinnen und ein minder greif¬
bares Ding ausdenken, als die der Gruppe zu Grunde liegende Idee. Das
Verhältniß zwischen beiden Dichtern, die Thatsache und die bestimmte Art
ihres Zusammenwirkens soll in derselben zum Ausdruck kommen. Ist denn
der Zusammenhang zwischen Goethe und Schiller etwas Einfaches und sinn¬
lich Wahrnehmbares? Kann dieser Zusammenhang anders als zeitlich entwickelt
werden? — wie er ja auch in Wirklichkeit nur nach und nach sichtbar wurde.
Heißt denselben plastisch darstellen, nicht in Wahrheit ein verwickeltes und kei¬
neswegs unmittelbar verständliches Capitel der Literaturgeschichte symbolisiren?
Es übersteigt schlechterdings die Grenzen der bildenden Künste und erscheint
vollends für die Ausdrucksmittel der Plastik ganz unmöglich, das Wechsel-
Verhältniß zwischen den beiden Männern klar und richtig darzustellen." Dieser
Ansicht stimmen wir (ohne das Werk gesehn zu haben) vollkommen bei, glau¬
ben aber gern, daß es dem Künstler gelungen sei, die Ungunst des Gegen¬
standes bis auf einen gewissen Grad zu überwinden, und wenn er auch nicht
die angegebene Intention auszudrücken vermochte, doch eine schöne und bedeu¬
tende Gruppe unsrer großen Dichter zu geben.

Ganz besonders eignet sich Springers Vues zur Orientirung in den Kunst¬
zuständen der Gegenwart durch seine Kürze und Übersichtlichkeit. Seine prak¬
tische Brauchbarkeit wird durch ein angehängtes Künstlervcrzeichniß erhöht; in
diesem fehlen freilich manche Namen, die man zu finden erwarten könnte, und
nicht alle Angaben dürften zuverlässig sein. Für den gewöhnlichen Gebrauch
ist es vollkommen ausreichend.




Kleine ästhetische Streifzüge.

Als Schiller die Götter Griechenlands schrieb, jenes Gedicht, aus welchem
eine so unnennbare Sehnsucht nach der Verlornen Einheit der menschlichen
Natur athmet, war es nicht die Kenntniß des griechischen Alterthums, was
ihn beseelte, sondern ein innerer Jnstinct. der, durch den Pietismus und das


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[0478] » in unnatürlicher Auflehnung gegen ihre eigensten Gesetze hervorbringen und sie zu tadeln, wenn sie sich innerhalb der ihnen angewiesenen Grenzen halten. Ueber nichts gehn wol die Ansichten so weit auseinander, als über Darstell¬ barkeit und Undarstellbarkcit. Es wird Vielen als Ketzerei erscheinen, wenn der Verfasser die Darstellbarkeit des Gedankens in Frage zieht, der sich in der Schiller- und Gocthegruppe zu Weimar aussprechen soll, „Wer den Gedanken dieser Gruppe zuerst geboren hat, weinte es wol gut mit unsern Dichtcrhelden, hat aber die Leistungsfähigkeit der Plastik auf eine harte Probe gestellt. Schwerlich kann man eine härtere Abstraction ersinnen und ein minder greif¬ bares Ding ausdenken, als die der Gruppe zu Grunde liegende Idee. Das Verhältniß zwischen beiden Dichtern, die Thatsache und die bestimmte Art ihres Zusammenwirkens soll in derselben zum Ausdruck kommen. Ist denn der Zusammenhang zwischen Goethe und Schiller etwas Einfaches und sinn¬ lich Wahrnehmbares? Kann dieser Zusammenhang anders als zeitlich entwickelt werden? — wie er ja auch in Wirklichkeit nur nach und nach sichtbar wurde. Heißt denselben plastisch darstellen, nicht in Wahrheit ein verwickeltes und kei¬ neswegs unmittelbar verständliches Capitel der Literaturgeschichte symbolisiren? Es übersteigt schlechterdings die Grenzen der bildenden Künste und erscheint vollends für die Ausdrucksmittel der Plastik ganz unmöglich, das Wechsel- Verhältniß zwischen den beiden Männern klar und richtig darzustellen." Dieser Ansicht stimmen wir (ohne das Werk gesehn zu haben) vollkommen bei, glau¬ ben aber gern, daß es dem Künstler gelungen sei, die Ungunst des Gegen¬ standes bis auf einen gewissen Grad zu überwinden, und wenn er auch nicht die angegebene Intention auszudrücken vermochte, doch eine schöne und bedeu¬ tende Gruppe unsrer großen Dichter zu geben. Ganz besonders eignet sich Springers Vues zur Orientirung in den Kunst¬ zuständen der Gegenwart durch seine Kürze und Übersichtlichkeit. Seine prak¬ tische Brauchbarkeit wird durch ein angehängtes Künstlervcrzeichniß erhöht; in diesem fehlen freilich manche Namen, die man zu finden erwarten könnte, und nicht alle Angaben dürften zuverlässig sein. Für den gewöhnlichen Gebrauch ist es vollkommen ausreichend. Kleine ästhetische Streifzüge. Als Schiller die Götter Griechenlands schrieb, jenes Gedicht, aus welchem eine so unnennbare Sehnsucht nach der Verlornen Einheit der menschlichen Natur athmet, war es nicht die Kenntniß des griechischen Alterthums, was ihn beseelte, sondern ein innerer Jnstinct. der, durch den Pietismus und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/478>, abgerufen am 29.04.2024.