Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

flache Formenwesen der Gegenwart verletzt, sich aus einzelnen halbverstandenen
Bruchstücken ein Ideal ausmalte. Später, als er durch Humboldt, Goethe,
und seine eignen Studien tiefer in das Wesen der griechischen Kunst einge¬
drungen war, der er sür seine besten Schöpfungen so viel verdankte, wurde
ihm der Hellenismus seiner Jünger und Nachfolger allmülig zur Last, und
wie er sich überhaupt am leidenschaftlichsten gegen solche Richtungen auszu¬
sprechen pflegte, die er selbst angeregt, dann aber als einseitig bei Seite ge¬
worfen hatte, schonte er in den Genien die Gräcomanie seiner Schüler, nament¬
lich Friedrich Schlegels ebenso wenig, als den neu aufkeimenden ästhetischen
Pietismus, der über seine Götter Griechenlands den Stab brach.

In der That, so viel unsere Dichtkunst grade in der Periode von Wei¬
mar und Jena der Antike verdankt, so dürfte man die überspannte Gräco-
manie wol als eine Krankheit bezeichnen. Sie wurde es im strengsten Sinne
des Worts bei Hölderlin, sie ging in Heinses Romanen in etwas noch
Schlimmeres über. Selbst über die schönsten Blüten, die wir ihr verdanken,
breitet sich eine wehmüthige Färbung, die viel Anziehendes hat, die aber da¬
mals das deutsche Boll seinem geschichtlichen Leben entfremdete.

Wenigstens suchte man in jener Zeit, indem man den Griechen nach¬
empfand, sich zugleich ihre plastische Gestaltungskraft anzueignen und so lange
Homer und die Tragiker die Leitsterne unsrer Dichter blieben, wurden diese
angeregt, ebenso hell zu sehen und ebenso bestimmt zu schreiben als ihre
Borbilder.

Anders, wurde es. als durch die Naturphilosophie und durch das Stu¬
dium Platos und der Alexandrimr die Aufmerksamkeit auf die symbolische
Seite der Mythologie gerichtet wurde. Man begnügte sich nicht mehr und
dem einfachen Inhalt, der in den Werken der Dichter wirklich ausgedrückt
war, sondern man suchte hinter ihre tiefere Bedeutung zu kommen. Was
dies Bestreben in der Wissenschaft für Unheil angerichtet hat, ist bekannt!
aber der Einfluß erstreckte sich auch auf die Dichtung, und wenn wir Goethes
Pandora, Helena und manche von den lyrischen Gedichten der spätern Periode
mit der Iphigenie vergleichen, so erkennen wir. wie sehr sich die poetische
Neigung aus dem Plastischen ins symbolische verirrt hatte. Eine Parallele
zwischen entlegenen'Perioden der Weltgeschichte hat immer etwas Mißliches;
wenn man aber das Berhältniß zwischen dem Hellenismus der Jahre 1770
bis 1800 und dem Hellenismus der Jahre 1,800--1,830 mit dem Berhältniß der
Dichter des peloponnesischen Kriegs zu den alezandrinischen Dichtern vergleicht, so
dürste die Begründung wol nicht schwer fallen. Man erkennt die Verwandt¬
schaft der jüngern Dichtungen mit den Alexandrinern schon daraus, daß sie
ohne einen weitläufigen Gelehrtencommentar kaum zu verstehn sind.

Später ging der Strom der deutschen Dichtung in andere Richtungen.


flache Formenwesen der Gegenwart verletzt, sich aus einzelnen halbverstandenen
Bruchstücken ein Ideal ausmalte. Später, als er durch Humboldt, Goethe,
und seine eignen Studien tiefer in das Wesen der griechischen Kunst einge¬
drungen war, der er sür seine besten Schöpfungen so viel verdankte, wurde
ihm der Hellenismus seiner Jünger und Nachfolger allmülig zur Last, und
wie er sich überhaupt am leidenschaftlichsten gegen solche Richtungen auszu¬
sprechen pflegte, die er selbst angeregt, dann aber als einseitig bei Seite ge¬
worfen hatte, schonte er in den Genien die Gräcomanie seiner Schüler, nament¬
lich Friedrich Schlegels ebenso wenig, als den neu aufkeimenden ästhetischen
Pietismus, der über seine Götter Griechenlands den Stab brach.

In der That, so viel unsere Dichtkunst grade in der Periode von Wei¬
mar und Jena der Antike verdankt, so dürfte man die überspannte Gräco-
manie wol als eine Krankheit bezeichnen. Sie wurde es im strengsten Sinne
des Worts bei Hölderlin, sie ging in Heinses Romanen in etwas noch
Schlimmeres über. Selbst über die schönsten Blüten, die wir ihr verdanken,
breitet sich eine wehmüthige Färbung, die viel Anziehendes hat, die aber da¬
mals das deutsche Boll seinem geschichtlichen Leben entfremdete.

Wenigstens suchte man in jener Zeit, indem man den Griechen nach¬
empfand, sich zugleich ihre plastische Gestaltungskraft anzueignen und so lange
Homer und die Tragiker die Leitsterne unsrer Dichter blieben, wurden diese
angeregt, ebenso hell zu sehen und ebenso bestimmt zu schreiben als ihre
Borbilder.

Anders, wurde es. als durch die Naturphilosophie und durch das Stu¬
dium Platos und der Alexandrimr die Aufmerksamkeit auf die symbolische
Seite der Mythologie gerichtet wurde. Man begnügte sich nicht mehr und
dem einfachen Inhalt, der in den Werken der Dichter wirklich ausgedrückt
war, sondern man suchte hinter ihre tiefere Bedeutung zu kommen. Was
dies Bestreben in der Wissenschaft für Unheil angerichtet hat, ist bekannt!
aber der Einfluß erstreckte sich auch auf die Dichtung, und wenn wir Goethes
Pandora, Helena und manche von den lyrischen Gedichten der spätern Periode
mit der Iphigenie vergleichen, so erkennen wir. wie sehr sich die poetische
Neigung aus dem Plastischen ins symbolische verirrt hatte. Eine Parallele
zwischen entlegenen'Perioden der Weltgeschichte hat immer etwas Mißliches;
wenn man aber das Berhältniß zwischen dem Hellenismus der Jahre 1770
bis 1800 und dem Hellenismus der Jahre 1,800—1,830 mit dem Berhältniß der
Dichter des peloponnesischen Kriegs zu den alezandrinischen Dichtern vergleicht, so
dürste die Begründung wol nicht schwer fallen. Man erkennt die Verwandt¬
schaft der jüngern Dichtungen mit den Alexandrinern schon daraus, daß sie
ohne einen weitläufigen Gelehrtencommentar kaum zu verstehn sind.

Später ging der Strom der deutschen Dichtung in andere Richtungen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105756"/>
          <p xml:id="ID_1245" prev="#ID_1244"> flache Formenwesen der Gegenwart verletzt, sich aus einzelnen halbverstandenen<lb/>
Bruchstücken ein Ideal ausmalte. Später, als er durch Humboldt, Goethe,<lb/>
und seine eignen Studien tiefer in das Wesen der griechischen Kunst einge¬<lb/>
drungen war, der er sür seine besten Schöpfungen so viel verdankte, wurde<lb/>
ihm der Hellenismus seiner Jünger und Nachfolger allmülig zur Last, und<lb/>
wie er sich überhaupt am leidenschaftlichsten gegen solche Richtungen auszu¬<lb/>
sprechen pflegte, die er selbst angeregt, dann aber als einseitig bei Seite ge¬<lb/>
worfen hatte, schonte er in den Genien die Gräcomanie seiner Schüler, nament¬<lb/>
lich Friedrich Schlegels ebenso wenig, als den neu aufkeimenden ästhetischen<lb/>
Pietismus, der über seine Götter Griechenlands den Stab brach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246"> In der That, so viel unsere Dichtkunst grade in der Periode von Wei¬<lb/>
mar und Jena der Antike verdankt, so dürfte man die überspannte Gräco-<lb/>
manie wol als eine Krankheit bezeichnen. Sie wurde es im strengsten Sinne<lb/>
des Worts bei Hölderlin, sie ging in Heinses Romanen in etwas noch<lb/>
Schlimmeres über. Selbst über die schönsten Blüten, die wir ihr verdanken,<lb/>
breitet sich eine wehmüthige Färbung, die viel Anziehendes hat, die aber da¬<lb/>
mals das deutsche Boll seinem geschichtlichen Leben entfremdete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247"> Wenigstens suchte man in jener Zeit, indem man den Griechen nach¬<lb/>
empfand, sich zugleich ihre plastische Gestaltungskraft anzueignen und so lange<lb/>
Homer und die Tragiker die Leitsterne unsrer Dichter blieben, wurden diese<lb/>
angeregt, ebenso hell zu sehen und ebenso bestimmt zu schreiben als ihre<lb/>
Borbilder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1248"> Anders, wurde es. als durch die Naturphilosophie und durch das Stu¬<lb/>
dium Platos und der Alexandrimr die Aufmerksamkeit auf die symbolische<lb/>
Seite der Mythologie gerichtet wurde. Man begnügte sich nicht mehr und<lb/>
dem einfachen Inhalt, der in den Werken der Dichter wirklich ausgedrückt<lb/>
war, sondern man suchte hinter ihre tiefere Bedeutung zu kommen. Was<lb/>
dies Bestreben in der Wissenschaft für Unheil angerichtet hat, ist bekannt!<lb/>
aber der Einfluß erstreckte sich auch auf die Dichtung, und wenn wir Goethes<lb/>
Pandora, Helena und manche von den lyrischen Gedichten der spätern Periode<lb/>
mit der Iphigenie vergleichen, so erkennen wir. wie sehr sich die poetische<lb/>
Neigung aus dem Plastischen ins symbolische verirrt hatte. Eine Parallele<lb/>
zwischen entlegenen'Perioden der Weltgeschichte hat immer etwas Mißliches;<lb/>
wenn man aber das Berhältniß zwischen dem Hellenismus der Jahre 1770<lb/>
bis 1800 und dem Hellenismus der Jahre 1,800&#x2014;1,830 mit dem Berhältniß der<lb/>
Dichter des peloponnesischen Kriegs zu den alezandrinischen Dichtern vergleicht, so<lb/>
dürste die Begründung wol nicht schwer fallen. Man erkennt die Verwandt¬<lb/>
schaft der jüngern Dichtungen mit den Alexandrinern schon daraus, daß sie<lb/>
ohne einen weitläufigen Gelehrtencommentar kaum zu verstehn sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1249" next="#ID_1250"> Später ging der Strom der deutschen Dichtung in andere Richtungen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] flache Formenwesen der Gegenwart verletzt, sich aus einzelnen halbverstandenen Bruchstücken ein Ideal ausmalte. Später, als er durch Humboldt, Goethe, und seine eignen Studien tiefer in das Wesen der griechischen Kunst einge¬ drungen war, der er sür seine besten Schöpfungen so viel verdankte, wurde ihm der Hellenismus seiner Jünger und Nachfolger allmülig zur Last, und wie er sich überhaupt am leidenschaftlichsten gegen solche Richtungen auszu¬ sprechen pflegte, die er selbst angeregt, dann aber als einseitig bei Seite ge¬ worfen hatte, schonte er in den Genien die Gräcomanie seiner Schüler, nament¬ lich Friedrich Schlegels ebenso wenig, als den neu aufkeimenden ästhetischen Pietismus, der über seine Götter Griechenlands den Stab brach. In der That, so viel unsere Dichtkunst grade in der Periode von Wei¬ mar und Jena der Antike verdankt, so dürfte man die überspannte Gräco- manie wol als eine Krankheit bezeichnen. Sie wurde es im strengsten Sinne des Worts bei Hölderlin, sie ging in Heinses Romanen in etwas noch Schlimmeres über. Selbst über die schönsten Blüten, die wir ihr verdanken, breitet sich eine wehmüthige Färbung, die viel Anziehendes hat, die aber da¬ mals das deutsche Boll seinem geschichtlichen Leben entfremdete. Wenigstens suchte man in jener Zeit, indem man den Griechen nach¬ empfand, sich zugleich ihre plastische Gestaltungskraft anzueignen und so lange Homer und die Tragiker die Leitsterne unsrer Dichter blieben, wurden diese angeregt, ebenso hell zu sehen und ebenso bestimmt zu schreiben als ihre Borbilder. Anders, wurde es. als durch die Naturphilosophie und durch das Stu¬ dium Platos und der Alexandrimr die Aufmerksamkeit auf die symbolische Seite der Mythologie gerichtet wurde. Man begnügte sich nicht mehr und dem einfachen Inhalt, der in den Werken der Dichter wirklich ausgedrückt war, sondern man suchte hinter ihre tiefere Bedeutung zu kommen. Was dies Bestreben in der Wissenschaft für Unheil angerichtet hat, ist bekannt! aber der Einfluß erstreckte sich auch auf die Dichtung, und wenn wir Goethes Pandora, Helena und manche von den lyrischen Gedichten der spätern Periode mit der Iphigenie vergleichen, so erkennen wir. wie sehr sich die poetische Neigung aus dem Plastischen ins symbolische verirrt hatte. Eine Parallele zwischen entlegenen'Perioden der Weltgeschichte hat immer etwas Mißliches; wenn man aber das Berhältniß zwischen dem Hellenismus der Jahre 1770 bis 1800 und dem Hellenismus der Jahre 1,800—1,830 mit dem Berhältniß der Dichter des peloponnesischen Kriegs zu den alezandrinischen Dichtern vergleicht, so dürste die Begründung wol nicht schwer fallen. Man erkennt die Verwandt¬ schaft der jüngern Dichtungen mit den Alexandrinern schon daraus, daß sie ohne einen weitläufigen Gelehrtencommentar kaum zu verstehn sind. Später ging der Strom der deutschen Dichtung in andere Richtungen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/479>, abgerufen am 15.05.2024.