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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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schreiben ohne solche Zuneigung! -- doch für Deutschland, für deutsche poli¬
tische Bedürfnisse geschrieben ist. Anglomanie, das ist das Stichwort jener
Leute, wenn sie jemanden sehen, dessen historischer und politischer Wahrheits¬
sinn ihm nicht erlaubt, in jenes oben charakterisirte Zetergeschrei einzustimmen.
Schlagt ihn todt, den Zeitungsschreiber, er ist ein Anglomane! Das gemüth¬
liche Stillschweigen des größten Theils der deutschen Zeitungspresse über das
Gneistsche Buch hat jene Herren bisher von der Lächerlichkeit fern gehalten,
dasselbe in ihren Jargon hinabzerren zu müssen, leider aber auch dem großen
deutschen Publicum die nähere Bekanntschaft mit dem Buche nicht genug ver¬
mittelt. Und doch ist es wie wenige geeignet, viele gangbare Vorurtheile und
verkehrte Anschauungen zu beseitigen.

Der Diplomat mag Stimmungen und Meinungen, welche im Volke, leben
noch so gering anschlagen, und für den Alltagsbedars seines Handwerks thut
er vielleicht Recht daran, aber wo es sich um große, um eigentlich nationale
Fragen handelt, da wird auch ihn die Strömung erreichen und mit sich zie¬
hen. Insofern hat der continentale Wechsel der Ansichten über England auch
seinen politischen Hintergrund, und die jetzige günstigere Stimmung in Deutsch¬
land vielleicht selbst einen für unser Vaterland zukunftsreichen Hintergrund, --
wenn die Entwicklungen nur einigermaßen den Verlauf nehmen, den sie jetzt
G. C. anzudeuten scheinen.




Landgraf Friedrich II. und die todten Hessen von Trenton.

Es ist wiederholt von einem Briefe die Rede gewesen, den ein Fürst
von Hessen-Kassel nach jener Niederlage, welche die Amerikaner den hessischen
Truppen 1776 durch den Ueberfall bei Trenton beibrachten, an den Ober¬
befehlshaber des hessischen Armeecorps in Amerika geschrieben haben soll, und
der zuletzt noch von Löser in seiner "Geschichte und Zustände der Deutschen
in Amerika" (S. 128) abgedruckt worden ist. Löser sagt zwar: "Wir wollen
zur Ehre der Menschheit hoffen, daß er erdichtet ist, oder daß der Prinz vor¬
sichtigerweise von Gefallenen statt von Gefangenen redet;" aber dieser wol
gegen die eigene Ueberzeugung, nur des Anstands wegen, ausgesprochene
Zweifel verliert durch den Abdruck des Briefes selbst wieder alles Gewicht,
wenn ein solches überhaupt ihm zu geben beabsichtigt gewesen sein sollte.


schreiben ohne solche Zuneigung! — doch für Deutschland, für deutsche poli¬
tische Bedürfnisse geschrieben ist. Anglomanie, das ist das Stichwort jener
Leute, wenn sie jemanden sehen, dessen historischer und politischer Wahrheits¬
sinn ihm nicht erlaubt, in jenes oben charakterisirte Zetergeschrei einzustimmen.
Schlagt ihn todt, den Zeitungsschreiber, er ist ein Anglomane! Das gemüth¬
liche Stillschweigen des größten Theils der deutschen Zeitungspresse über das
Gneistsche Buch hat jene Herren bisher von der Lächerlichkeit fern gehalten,
dasselbe in ihren Jargon hinabzerren zu müssen, leider aber auch dem großen
deutschen Publicum die nähere Bekanntschaft mit dem Buche nicht genug ver¬
mittelt. Und doch ist es wie wenige geeignet, viele gangbare Vorurtheile und
verkehrte Anschauungen zu beseitigen.

Der Diplomat mag Stimmungen und Meinungen, welche im Volke, leben
noch so gering anschlagen, und für den Alltagsbedars seines Handwerks thut
er vielleicht Recht daran, aber wo es sich um große, um eigentlich nationale
Fragen handelt, da wird auch ihn die Strömung erreichen und mit sich zie¬
hen. Insofern hat der continentale Wechsel der Ansichten über England auch
seinen politischen Hintergrund, und die jetzige günstigere Stimmung in Deutsch¬
land vielleicht selbst einen für unser Vaterland zukunftsreichen Hintergrund, —
wenn die Entwicklungen nur einigermaßen den Verlauf nehmen, den sie jetzt
G. C. anzudeuten scheinen.




Landgraf Friedrich II. und die todten Hessen von Trenton.

Es ist wiederholt von einem Briefe die Rede gewesen, den ein Fürst
von Hessen-Kassel nach jener Niederlage, welche die Amerikaner den hessischen
Truppen 1776 durch den Ueberfall bei Trenton beibrachten, an den Ober¬
befehlshaber des hessischen Armeecorps in Amerika geschrieben haben soll, und
der zuletzt noch von Löser in seiner „Geschichte und Zustände der Deutschen
in Amerika" (S. 128) abgedruckt worden ist. Löser sagt zwar: „Wir wollen
zur Ehre der Menschheit hoffen, daß er erdichtet ist, oder daß der Prinz vor¬
sichtigerweise von Gefallenen statt von Gefangenen redet;" aber dieser wol
gegen die eigene Ueberzeugung, nur des Anstands wegen, ausgesprochene
Zweifel verliert durch den Abdruck des Briefes selbst wieder alles Gewicht,
wenn ein solches überhaupt ihm zu geben beabsichtigt gewesen sein sollte.


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[0100] schreiben ohne solche Zuneigung! — doch für Deutschland, für deutsche poli¬ tische Bedürfnisse geschrieben ist. Anglomanie, das ist das Stichwort jener Leute, wenn sie jemanden sehen, dessen historischer und politischer Wahrheits¬ sinn ihm nicht erlaubt, in jenes oben charakterisirte Zetergeschrei einzustimmen. Schlagt ihn todt, den Zeitungsschreiber, er ist ein Anglomane! Das gemüth¬ liche Stillschweigen des größten Theils der deutschen Zeitungspresse über das Gneistsche Buch hat jene Herren bisher von der Lächerlichkeit fern gehalten, dasselbe in ihren Jargon hinabzerren zu müssen, leider aber auch dem großen deutschen Publicum die nähere Bekanntschaft mit dem Buche nicht genug ver¬ mittelt. Und doch ist es wie wenige geeignet, viele gangbare Vorurtheile und verkehrte Anschauungen zu beseitigen. Der Diplomat mag Stimmungen und Meinungen, welche im Volke, leben noch so gering anschlagen, und für den Alltagsbedars seines Handwerks thut er vielleicht Recht daran, aber wo es sich um große, um eigentlich nationale Fragen handelt, da wird auch ihn die Strömung erreichen und mit sich zie¬ hen. Insofern hat der continentale Wechsel der Ansichten über England auch seinen politischen Hintergrund, und die jetzige günstigere Stimmung in Deutsch¬ land vielleicht selbst einen für unser Vaterland zukunftsreichen Hintergrund, — wenn die Entwicklungen nur einigermaßen den Verlauf nehmen, den sie jetzt G. C. anzudeuten scheinen. Landgraf Friedrich II. und die todten Hessen von Trenton. Es ist wiederholt von einem Briefe die Rede gewesen, den ein Fürst von Hessen-Kassel nach jener Niederlage, welche die Amerikaner den hessischen Truppen 1776 durch den Ueberfall bei Trenton beibrachten, an den Ober¬ befehlshaber des hessischen Armeecorps in Amerika geschrieben haben soll, und der zuletzt noch von Löser in seiner „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika" (S. 128) abgedruckt worden ist. Löser sagt zwar: „Wir wollen zur Ehre der Menschheit hoffen, daß er erdichtet ist, oder daß der Prinz vor¬ sichtigerweise von Gefallenen statt von Gefangenen redet;" aber dieser wol gegen die eigene Ueberzeugung, nur des Anstands wegen, ausgesprochene Zweifel verliert durch den Abdruck des Briefes selbst wieder alles Gewicht, wenn ein solches überhaupt ihm zu geben beabsichtigt gewesen sein sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/100>, abgerufen am 05.05.2024.