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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Bilder aus Griechenland.
i.
Der Gesammteindruck.

Unter den verschiedenen falschen Vorstellungen, die man sich wahrend der
ersten Jahre des Gymnasiallebens zusammenzudichten pflegt, hasten nach der
Erfahrung des Verfassers nachstehender Schilderungen wenige so hartnäckig in
der Seele fest, als die, welche wir uns von dem Lande machen, aus dem der
beste Theil unsrer Bildung stammt, und an das wir darum von allen Ländern
der alten Welt am häufigsten erinnert werden: die Vorstellung von Griechen¬
land. Es gibt in diesem Kreise Dinge, die man nur durch ein sehr ein¬
gehendes Detailstudium allmälig los wird, es gibt deren sogar, die selbst die¬
sem Bemühen nicht weichen, und über deren Unrichtigkeit wir erst durch eigne
Anschauung zu vollkommner Klarheit gelangen.

Daß das Griechenland, wie es im Gemüthe des fleißigen und phantasie¬
vollen Obersecundaners sich abspiegelt, von dem wirklichen Griechenland, dem
alten, wie es die neuere Geschichtsforschung, und dem gegenwärtigen, wie es
die Geographie zeigt, wesentlich verschieden ist, wird von niemand bestritten
werden, der über die Schule hinaus ist und sich eine nur einigermaßen lebhafte
Erinnerung an das. was bei seiner ersten Beschäftigung mit den Alten ihm
vorschwebte, bewahrt hat. Man darf aber weiter gehen und behaupten,
daß, wo nicht in uns allen, doch in vielen von uns jener fleißige und phan¬
tasievolle junge Mann nie ganz stirbt, daß seine Vorstellungen, gleich der äl¬
tern Schrift auf dem Pergament eines Palimpsests, hinter oder unter den Er¬
gebnissen späterer Studien immer und immer wieder durchscheinen, und daß
sich selbst der, welcher jene Scheinwelt mit der Wurzel in sich ausgerottet zu
haben glaubt, wohl in Acht zu nehmen hat. daß sie ihm nicht in unbewachter
Stunde wenigens in der Gestalt von Träumen wieder emporsteigt und das
an ihre Stelle Gepflanzte aus Augenblicke verschwinden oder in falscher Be¬
leuchtung sehen läßt.

Unser eifriger und aufgeweckter Schüler hatte seine Karte, die ihm mehr
die Grenzen der einzelnen Staaten als die Formation des Landes zeigte, gut
im Kopfe, und seine Einbildungskraft füllte sich die Umrisse mit dem aus, was


Grenjdoten 111. 1358. 21
Bilder aus Griechenland.
i.
Der Gesammteindruck.

Unter den verschiedenen falschen Vorstellungen, die man sich wahrend der
ersten Jahre des Gymnasiallebens zusammenzudichten pflegt, hasten nach der
Erfahrung des Verfassers nachstehender Schilderungen wenige so hartnäckig in
der Seele fest, als die, welche wir uns von dem Lande machen, aus dem der
beste Theil unsrer Bildung stammt, und an das wir darum von allen Ländern
der alten Welt am häufigsten erinnert werden: die Vorstellung von Griechen¬
land. Es gibt in diesem Kreise Dinge, die man nur durch ein sehr ein¬
gehendes Detailstudium allmälig los wird, es gibt deren sogar, die selbst die¬
sem Bemühen nicht weichen, und über deren Unrichtigkeit wir erst durch eigne
Anschauung zu vollkommner Klarheit gelangen.

Daß das Griechenland, wie es im Gemüthe des fleißigen und phantasie¬
vollen Obersecundaners sich abspiegelt, von dem wirklichen Griechenland, dem
alten, wie es die neuere Geschichtsforschung, und dem gegenwärtigen, wie es
die Geographie zeigt, wesentlich verschieden ist, wird von niemand bestritten
werden, der über die Schule hinaus ist und sich eine nur einigermaßen lebhafte
Erinnerung an das. was bei seiner ersten Beschäftigung mit den Alten ihm
vorschwebte, bewahrt hat. Man darf aber weiter gehen und behaupten,
daß, wo nicht in uns allen, doch in vielen von uns jener fleißige und phan¬
tasievolle junge Mann nie ganz stirbt, daß seine Vorstellungen, gleich der äl¬
tern Schrift auf dem Pergament eines Palimpsests, hinter oder unter den Er¬
gebnissen späterer Studien immer und immer wieder durchscheinen, und daß
sich selbst der, welcher jene Scheinwelt mit der Wurzel in sich ausgerottet zu
haben glaubt, wohl in Acht zu nehmen hat. daß sie ihm nicht in unbewachter
Stunde wenigens in der Gestalt von Träumen wieder emporsteigt und das
an ihre Stelle Gepflanzte aus Augenblicke verschwinden oder in falscher Be¬
leuchtung sehen läßt.

Unser eifriger und aufgeweckter Schüler hatte seine Karte, die ihm mehr
die Grenzen der einzelnen Staaten als die Formation des Landes zeigte, gut
im Kopfe, und seine Einbildungskraft füllte sich die Umrisse mit dem aus, was


Grenjdoten 111. 1358. 21
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[0169] Bilder aus Griechenland. i. Der Gesammteindruck. Unter den verschiedenen falschen Vorstellungen, die man sich wahrend der ersten Jahre des Gymnasiallebens zusammenzudichten pflegt, hasten nach der Erfahrung des Verfassers nachstehender Schilderungen wenige so hartnäckig in der Seele fest, als die, welche wir uns von dem Lande machen, aus dem der beste Theil unsrer Bildung stammt, und an das wir darum von allen Ländern der alten Welt am häufigsten erinnert werden: die Vorstellung von Griechen¬ land. Es gibt in diesem Kreise Dinge, die man nur durch ein sehr ein¬ gehendes Detailstudium allmälig los wird, es gibt deren sogar, die selbst die¬ sem Bemühen nicht weichen, und über deren Unrichtigkeit wir erst durch eigne Anschauung zu vollkommner Klarheit gelangen. Daß das Griechenland, wie es im Gemüthe des fleißigen und phantasie¬ vollen Obersecundaners sich abspiegelt, von dem wirklichen Griechenland, dem alten, wie es die neuere Geschichtsforschung, und dem gegenwärtigen, wie es die Geographie zeigt, wesentlich verschieden ist, wird von niemand bestritten werden, der über die Schule hinaus ist und sich eine nur einigermaßen lebhafte Erinnerung an das. was bei seiner ersten Beschäftigung mit den Alten ihm vorschwebte, bewahrt hat. Man darf aber weiter gehen und behaupten, daß, wo nicht in uns allen, doch in vielen von uns jener fleißige und phan¬ tasievolle junge Mann nie ganz stirbt, daß seine Vorstellungen, gleich der äl¬ tern Schrift auf dem Pergament eines Palimpsests, hinter oder unter den Er¬ gebnissen späterer Studien immer und immer wieder durchscheinen, und daß sich selbst der, welcher jene Scheinwelt mit der Wurzel in sich ausgerottet zu haben glaubt, wohl in Acht zu nehmen hat. daß sie ihm nicht in unbewachter Stunde wenigens in der Gestalt von Träumen wieder emporsteigt und das an ihre Stelle Gepflanzte aus Augenblicke verschwinden oder in falscher Be¬ leuchtung sehen läßt. Unser eifriger und aufgeweckter Schüler hatte seine Karte, die ihm mehr die Grenzen der einzelnen Staaten als die Formation des Landes zeigte, gut im Kopfe, und seine Einbildungskraft füllte sich die Umrisse mit dem aus, was Grenjdoten 111. 1358. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/169>, abgerufen am 05.05.2024.