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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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er bruchstückweise in seinem Homer, den Tragikern, Thucydides und Plutarch,
und vielleicht noch mehr mit dem, was er in seinem Schiller gelesen. Er
wußte nur von der Lichtseite. Er sah, wenn er an Hellas dachte, ein Louid
vor sich, in welchem schöngeformte Berge von mäßiger Höhe in mäßiger An¬
zahl sich vertheilten. Es waren ihrer ein halbes, höchstens ein ganzes Dutzend:
der süße Hymettus, voll Blumen, voll Bienen, voll Honig, wie ein Bienenkorb, der
rauhe Kithäron, erinnerlich aus der Jugendgeschichte von Oedipus Rex, der Tai-
getus spartanischen Angedenkens, der stolze Olymp ganz oben, der Götter halber auf-
gethürmt, die über seinen Wolken Nektar und Ambrosia zu sich nahmen, der Oeta,
wo Herakles den verklärenden Tod des Phönix starb, der Parnaß wegen des
Lsraäus act ?g.massum. Die drei oder vier andern schienen lediglich zur Ver¬
schönerung der Landschaft und zur Qual des Gedächtnisses vorhanden zu sein,
welches sie auswendig lernen mußte. Das Land neben diesen Bergen war,
im Allgemeinen als Fläche zu bezeichnen, eitel Anmuth und Ebenmaß. Es
trug einen parkartigen Charakter, und in seiner Färbung traten besonders die ver¬
schiedenen Schattirungen des Grün hervor. Myrthenwäldcr, prächtige alte Oliven¬
haine wechselten darin mit dichten Massen schattenreicher Lorbeerbäume. Auch Fich¬
ten ragten, namentlich auf dem Isthmus, in mächtigen Gruppen hochstämmig em¬
por, schon wegen des unholden Fichtenbeugers und wegen der Fichtenkränze, mit
denen bei den isthmischen Spielen siegreiche Wagenlenker, Ringer und Läufer ge¬
schmückt wurden. Die Städte dachte der jugendliche Bewunderer des Alterthums
sich sammt und sonders aus Marmor erbaut, die meisten aus pentelischem, einige
aus parischem, ein überaus reicher, ein wunderherrlicher Anblick! Die Menschen
dann waren ohne Ausnahme -- denn Sokrates mit seiner Stumpfnase mußte
als Unicum gelten -- von untadeliger Schönheit, die Mädchen Aphroditen,
die Jünglinge Apollos, die Greise erhaben und würdevoll wie Vater Zeus.
Außer der Politik, der Kunst und der Ausbildung in der Philosophie hatten
sie, wenigstens in Athen, keine andere Beschäftigung, als classische Stellungen
anzunehmen und ihren Gewändern einen anmuthigen Faltenwurf zu geben.
Schmuz und Staub, üble Gerüche, schlechte Wege, Ungeziefer, Spinneweben
und andere Störungen eines halbgöttlichen Daseins kamen nirgend vor. In
Sparta zwar gab es viel Rauheit, viel blutrothe Kriegsmantel, viel schwarze
Suppe und selbst unästhetische Prügelstrafen; aber man tröstete sich darüber
mit einem Blick auf das benachbarte liebliche Arkadien, wo ein Geschlecht von
Hirten und Hirtinnen, genährt mit der Milch menschenfreundlicher Denkungs-
art und so schmuck und sauber gewaschen, so hübsch weiß und roth wie die
Gestalten unsrer Pegnitzschäfcrwelt, auf blumigen Wiesen schneeweiße Sümm¬
chen weidete, bei Flötenspiel und harmonischem Gesang den ganzen Tag liebte
und sich lieben ließ, und in den auf das Nothwendigste beschränkten Pausen
fromm die Götter ehrte. Ueber dem Allen endlich spannte sich der wohl-


er bruchstückweise in seinem Homer, den Tragikern, Thucydides und Plutarch,
und vielleicht noch mehr mit dem, was er in seinem Schiller gelesen. Er
wußte nur von der Lichtseite. Er sah, wenn er an Hellas dachte, ein Louid
vor sich, in welchem schöngeformte Berge von mäßiger Höhe in mäßiger An¬
zahl sich vertheilten. Es waren ihrer ein halbes, höchstens ein ganzes Dutzend:
der süße Hymettus, voll Blumen, voll Bienen, voll Honig, wie ein Bienenkorb, der
rauhe Kithäron, erinnerlich aus der Jugendgeschichte von Oedipus Rex, der Tai-
getus spartanischen Angedenkens, der stolze Olymp ganz oben, der Götter halber auf-
gethürmt, die über seinen Wolken Nektar und Ambrosia zu sich nahmen, der Oeta,
wo Herakles den verklärenden Tod des Phönix starb, der Parnaß wegen des
Lsraäus act ?g.massum. Die drei oder vier andern schienen lediglich zur Ver¬
schönerung der Landschaft und zur Qual des Gedächtnisses vorhanden zu sein,
welches sie auswendig lernen mußte. Das Land neben diesen Bergen war,
im Allgemeinen als Fläche zu bezeichnen, eitel Anmuth und Ebenmaß. Es
trug einen parkartigen Charakter, und in seiner Färbung traten besonders die ver¬
schiedenen Schattirungen des Grün hervor. Myrthenwäldcr, prächtige alte Oliven¬
haine wechselten darin mit dichten Massen schattenreicher Lorbeerbäume. Auch Fich¬
ten ragten, namentlich auf dem Isthmus, in mächtigen Gruppen hochstämmig em¬
por, schon wegen des unholden Fichtenbeugers und wegen der Fichtenkränze, mit
denen bei den isthmischen Spielen siegreiche Wagenlenker, Ringer und Läufer ge¬
schmückt wurden. Die Städte dachte der jugendliche Bewunderer des Alterthums
sich sammt und sonders aus Marmor erbaut, die meisten aus pentelischem, einige
aus parischem, ein überaus reicher, ein wunderherrlicher Anblick! Die Menschen
dann waren ohne Ausnahme — denn Sokrates mit seiner Stumpfnase mußte
als Unicum gelten — von untadeliger Schönheit, die Mädchen Aphroditen,
die Jünglinge Apollos, die Greise erhaben und würdevoll wie Vater Zeus.
Außer der Politik, der Kunst und der Ausbildung in der Philosophie hatten
sie, wenigstens in Athen, keine andere Beschäftigung, als classische Stellungen
anzunehmen und ihren Gewändern einen anmuthigen Faltenwurf zu geben.
Schmuz und Staub, üble Gerüche, schlechte Wege, Ungeziefer, Spinneweben
und andere Störungen eines halbgöttlichen Daseins kamen nirgend vor. In
Sparta zwar gab es viel Rauheit, viel blutrothe Kriegsmantel, viel schwarze
Suppe und selbst unästhetische Prügelstrafen; aber man tröstete sich darüber
mit einem Blick auf das benachbarte liebliche Arkadien, wo ein Geschlecht von
Hirten und Hirtinnen, genährt mit der Milch menschenfreundlicher Denkungs-
art und so schmuck und sauber gewaschen, so hübsch weiß und roth wie die
Gestalten unsrer Pegnitzschäfcrwelt, auf blumigen Wiesen schneeweiße Sümm¬
chen weidete, bei Flötenspiel und harmonischem Gesang den ganzen Tag liebte
und sich lieben ließ, und in den auf das Nothwendigste beschränkten Pausen
fromm die Götter ehrte. Ueber dem Allen endlich spannte sich der wohl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/170>, abgerufen am 25.05.2024.