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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Ausbildung, als daß sie die nöthigen Bewegungen nach dem Reglement aus¬
zuführen verstehen. -- Die Milizen müssen von den Grafschaften gestellt werden,
wie wir schon sagten, doch findet auch hier eine Art des Loskaufcns statt, und
zwar kann sich ein junger Mann gegen Zahlung von 10 Livres Sterling von
diesem Dienst befreien. Ihre Anzahl ist sehr bedeutend und mag 200,000
Mann erreichen, die aber der Hauptsache nach erst kurz vor oder während
eines Krieges einberufen werden, wo die Zeit fehlen wird, sie gehörig zu exer-
ciren und mit den verschiedenen Pflichten eines Soldaten bekannt zu machen.
Sie werden mehr oder weniger immer ein Heer von Rekruten sein, das von
mehr als mittelmäßigen Offizieren befehligt wird. Man darf wol annehmen,
daß es unter Zeit von vier Wochen unmöglich sein wird, diese Milizen so ein¬
zuüben und so zu concentriren, daß man sie gegen den Feind führen kann.
Was kann aber in derselben Zeit nicht alles verloren gehen? -- Der Feind
wiro festen Fuß gefaßt und sich verstärkt haben, er wird auf die Depot-
und Sammelplätze der Milizen losgehen, die, da sie nicht befestigt sind, keinen
bedeutenden Widerstand zu leisten vermögen, und wird letztere auseinander-
treiben. Hieraus geht hervor, daß England gar sehr nöthig hat, ein kampf¬
bereites starkes Heer im Mutterlande zu halten. Die Zeiten sind vorüber,
wo man an die Unüberwindlichkeit seiner Heere und Flotten glaubte, und es
wird wohlthun, sich in deren gegenwärtigem Zustand nicht allzusehr auf sie
zu verlassen. England stellt sich die Möglichkeit einer Invasion nicht ernst
genug vor; hin und wieder hat es wol.eine dunkle Ahnung davon, und man
kann nur wünschen, daß es zum klaren Erkennen seiner Lage komme, ehe es
S v. Tr. u spät ist.




Was in den letzten Wochen in Berlin vorgefallen ist, wird einem künftigen
Geschichtschreiber einen interessanten Stoff bieten, und vielleicht ist die Zeit nicht
fern, die eine solche Geschichtschreibung möglich macht. Vorläufig begnügen wir uns,
d>e Resultate festzustellen, die im Wesentlichen einen erfreulichen Eindruck machen.
In der Negentschaftssragc hat man sich nach langem Sträuben entschlossen, auf den
Weg der Verfassung einzulenken, der diesmal auch der Weg der natürlichen Logik
'se- Ob in dem genügenden Umfang, das werden die nächsten Tage lehren; wenig¬
stens hat man sich zu der Einsicht durchgearbeitet, daß eine Monarchie eines wirk¬
lichen-Regenten bedarf, daß zwei Regenten nebeneinander ein Unding sind, und daß
es für Preußen, wenn es nicht seine Selbstständigkeit einbüßen will, die höchste Zeit


Ausbildung, als daß sie die nöthigen Bewegungen nach dem Reglement aus¬
zuführen verstehen. — Die Milizen müssen von den Grafschaften gestellt werden,
wie wir schon sagten, doch findet auch hier eine Art des Loskaufcns statt, und
zwar kann sich ein junger Mann gegen Zahlung von 10 Livres Sterling von
diesem Dienst befreien. Ihre Anzahl ist sehr bedeutend und mag 200,000
Mann erreichen, die aber der Hauptsache nach erst kurz vor oder während
eines Krieges einberufen werden, wo die Zeit fehlen wird, sie gehörig zu exer-
ciren und mit den verschiedenen Pflichten eines Soldaten bekannt zu machen.
Sie werden mehr oder weniger immer ein Heer von Rekruten sein, das von
mehr als mittelmäßigen Offizieren befehligt wird. Man darf wol annehmen,
daß es unter Zeit von vier Wochen unmöglich sein wird, diese Milizen so ein¬
zuüben und so zu concentriren, daß man sie gegen den Feind führen kann.
Was kann aber in derselben Zeit nicht alles verloren gehen? — Der Feind
wiro festen Fuß gefaßt und sich verstärkt haben, er wird auf die Depot-
und Sammelplätze der Milizen losgehen, die, da sie nicht befestigt sind, keinen
bedeutenden Widerstand zu leisten vermögen, und wird letztere auseinander-
treiben. Hieraus geht hervor, daß England gar sehr nöthig hat, ein kampf¬
bereites starkes Heer im Mutterlande zu halten. Die Zeiten sind vorüber,
wo man an die Unüberwindlichkeit seiner Heere und Flotten glaubte, und es
wird wohlthun, sich in deren gegenwärtigem Zustand nicht allzusehr auf sie
zu verlassen. England stellt sich die Möglichkeit einer Invasion nicht ernst
genug vor; hin und wieder hat es wol.eine dunkle Ahnung davon, und man
kann nur wünschen, daß es zum klaren Erkennen seiner Lage komme, ehe es
S v. Tr. u spät ist.




Was in den letzten Wochen in Berlin vorgefallen ist, wird einem künftigen
Geschichtschreiber einen interessanten Stoff bieten, und vielleicht ist die Zeit nicht
fern, die eine solche Geschichtschreibung möglich macht. Vorläufig begnügen wir uns,
d>e Resultate festzustellen, die im Wesentlichen einen erfreulichen Eindruck machen.
In der Negentschaftssragc hat man sich nach langem Sträuben entschlossen, auf den
Weg der Verfassung einzulenken, der diesmal auch der Weg der natürlichen Logik
'se- Ob in dem genügenden Umfang, das werden die nächsten Tage lehren; wenig¬
stens hat man sich zu der Einsicht durchgearbeitet, daß eine Monarchie eines wirk¬
lichen-Regenten bedarf, daß zwei Regenten nebeneinander ein Unding sind, und daß
es für Preußen, wenn es nicht seine Selbstständigkeit einbüßen will, die höchste Zeit


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[0085] Ausbildung, als daß sie die nöthigen Bewegungen nach dem Reglement aus¬ zuführen verstehen. — Die Milizen müssen von den Grafschaften gestellt werden, wie wir schon sagten, doch findet auch hier eine Art des Loskaufcns statt, und zwar kann sich ein junger Mann gegen Zahlung von 10 Livres Sterling von diesem Dienst befreien. Ihre Anzahl ist sehr bedeutend und mag 200,000 Mann erreichen, die aber der Hauptsache nach erst kurz vor oder während eines Krieges einberufen werden, wo die Zeit fehlen wird, sie gehörig zu exer- ciren und mit den verschiedenen Pflichten eines Soldaten bekannt zu machen. Sie werden mehr oder weniger immer ein Heer von Rekruten sein, das von mehr als mittelmäßigen Offizieren befehligt wird. Man darf wol annehmen, daß es unter Zeit von vier Wochen unmöglich sein wird, diese Milizen so ein¬ zuüben und so zu concentriren, daß man sie gegen den Feind führen kann. Was kann aber in derselben Zeit nicht alles verloren gehen? — Der Feind wiro festen Fuß gefaßt und sich verstärkt haben, er wird auf die Depot- und Sammelplätze der Milizen losgehen, die, da sie nicht befestigt sind, keinen bedeutenden Widerstand zu leisten vermögen, und wird letztere auseinander- treiben. Hieraus geht hervor, daß England gar sehr nöthig hat, ein kampf¬ bereites starkes Heer im Mutterlande zu halten. Die Zeiten sind vorüber, wo man an die Unüberwindlichkeit seiner Heere und Flotten glaubte, und es wird wohlthun, sich in deren gegenwärtigem Zustand nicht allzusehr auf sie zu verlassen. England stellt sich die Möglichkeit einer Invasion nicht ernst genug vor; hin und wieder hat es wol.eine dunkle Ahnung davon, und man kann nur wünschen, daß es zum klaren Erkennen seiner Lage komme, ehe es S v. Tr. u spät ist. Was in den letzten Wochen in Berlin vorgefallen ist, wird einem künftigen Geschichtschreiber einen interessanten Stoff bieten, und vielleicht ist die Zeit nicht fern, die eine solche Geschichtschreibung möglich macht. Vorläufig begnügen wir uns, d>e Resultate festzustellen, die im Wesentlichen einen erfreulichen Eindruck machen. In der Negentschaftssragc hat man sich nach langem Sträuben entschlossen, auf den Weg der Verfassung einzulenken, der diesmal auch der Weg der natürlichen Logik 'se- Ob in dem genügenden Umfang, das werden die nächsten Tage lehren; wenig¬ stens hat man sich zu der Einsicht durchgearbeitet, daß eine Monarchie eines wirk¬ lichen-Regenten bedarf, daß zwei Regenten nebeneinander ein Unding sind, und daß es für Preußen, wenn es nicht seine Selbstständigkeit einbüßen will, die höchste Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/85>, abgerufen am 05.05.2024.