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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Soldatenleben im dreißigjährigen Kriege.
1.

Der große Krieg kann als ein ungeheurer Zersetzungsproceß betrachtet
werden, eine tödtliche Krisis, durch welche die Nation nach langerschleichender
^'enthelt von einer Menge unhaltbarer Traditionen des Mittelalters befreit
^urbe. Auf allen Gebieten des Lebens tobte vor dem Kampfe ein erbitter-
^' und doch kraftloser Streit zwischen Altem und Neuem, zwischen Kaiser und
^nchssinsten, Tcrritorialherren und Ständen, protestantischen Geistlichen und
Jesuiten, anspruchsvoller Beamtenwirthschaft und unbehilflichen, alterthüm-
I'eben Sclbstregiment. Trotz verhältnißmäßigen Wohlstand, Luxus und großen
Ansprüchen der Nation fühlten sich die Besten durchweg unbehaglich, überall
schwache, Unehrlichkeit, wüste Sinnlichkeit und ein rücksichtsloser Egoismus,
^ber nicht nur die Auflösung des Neichskörpers erfüllte wohlmeinende Männer
^ Ende des sechzehnten Jahrhunderts mit trüben Ahnungen, nicht nur die
Verkümmerung in Glauben, Bildung und Sitte nährte die Ansicht, daß das'
Ende der Welt nahe sei, auch das Heerwesen der Deutschen erschien verfallen
^ud verdorben. Die Desorganisation der Armeen, die zerstörende Methode
^Kriegführung, die Lasterhaftigkeit der Soldaten und der feindselige Gegen-
zwischen dem producirenden und zerstörenden Theil der Nation wurden laut
beklagt. '

Das deutsche Heerwesen war im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts
Undings unbehilflich, und wenig geeignet für große und dauerhafte Ent¬
scheidungen.

Seit den Burgunderkriegen und den italienischen Kämpfen Maximilians
^d Karl des Fünften hatte das bürgerliche Fußvolk die ritterliche Neiterkunst
^ Mittelalters in den Hintergrund gedrängt. Die Stärke der Heere bestand
"'"als aus Landsknechten, freien Männern des Bürger- und Bauernstandes,
^meer ihnen nur einzelne Adlige. Sie waren in der großen Mehrzahl gewor-
ene Söldner, welche sich freiwillig durch Vertrag auf Zeit an ihre Fahne
^nden. Sie betrieben den Krieg wie Handwerker, hart, emsig, pflichtvoll,


Grmjbotm in. 18S9. 16
Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Soldatenleben im dreißigjährigen Kriege.
1.

Der große Krieg kann als ein ungeheurer Zersetzungsproceß betrachtet
werden, eine tödtliche Krisis, durch welche die Nation nach langerschleichender
^'enthelt von einer Menge unhaltbarer Traditionen des Mittelalters befreit
^urbe. Auf allen Gebieten des Lebens tobte vor dem Kampfe ein erbitter-
^' und doch kraftloser Streit zwischen Altem und Neuem, zwischen Kaiser und
^nchssinsten, Tcrritorialherren und Ständen, protestantischen Geistlichen und
Jesuiten, anspruchsvoller Beamtenwirthschaft und unbehilflichen, alterthüm-
I'eben Sclbstregiment. Trotz verhältnißmäßigen Wohlstand, Luxus und großen
Ansprüchen der Nation fühlten sich die Besten durchweg unbehaglich, überall
schwache, Unehrlichkeit, wüste Sinnlichkeit und ein rücksichtsloser Egoismus,
^ber nicht nur die Auflösung des Neichskörpers erfüllte wohlmeinende Männer
^ Ende des sechzehnten Jahrhunderts mit trüben Ahnungen, nicht nur die
Verkümmerung in Glauben, Bildung und Sitte nährte die Ansicht, daß das'
Ende der Welt nahe sei, auch das Heerwesen der Deutschen erschien verfallen
^ud verdorben. Die Desorganisation der Armeen, die zerstörende Methode
^Kriegführung, die Lasterhaftigkeit der Soldaten und der feindselige Gegen-
zwischen dem producirenden und zerstörenden Theil der Nation wurden laut
beklagt. '

Das deutsche Heerwesen war im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts
Undings unbehilflich, und wenig geeignet für große und dauerhafte Ent¬
scheidungen.

Seit den Burgunderkriegen und den italienischen Kämpfen Maximilians
^d Karl des Fünften hatte das bürgerliche Fußvolk die ritterliche Neiterkunst
^ Mittelalters in den Hintergrund gedrängt. Die Stärke der Heere bestand
"'«als aus Landsknechten, freien Männern des Bürger- und Bauernstandes,
^meer ihnen nur einzelne Adlige. Sie waren in der großen Mehrzahl gewor-
ene Söldner, welche sich freiwillig durch Vertrag auf Zeit an ihre Fahne
^nden. Sie betrieben den Krieg wie Handwerker, hart, emsig, pflichtvoll,


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[0135] Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Soldatenleben im dreißigjährigen Kriege. 1. Der große Krieg kann als ein ungeheurer Zersetzungsproceß betrachtet werden, eine tödtliche Krisis, durch welche die Nation nach langerschleichender ^'enthelt von einer Menge unhaltbarer Traditionen des Mittelalters befreit ^urbe. Auf allen Gebieten des Lebens tobte vor dem Kampfe ein erbitter- ^' und doch kraftloser Streit zwischen Altem und Neuem, zwischen Kaiser und ^nchssinsten, Tcrritorialherren und Ständen, protestantischen Geistlichen und Jesuiten, anspruchsvoller Beamtenwirthschaft und unbehilflichen, alterthüm- I'eben Sclbstregiment. Trotz verhältnißmäßigen Wohlstand, Luxus und großen Ansprüchen der Nation fühlten sich die Besten durchweg unbehaglich, überall schwache, Unehrlichkeit, wüste Sinnlichkeit und ein rücksichtsloser Egoismus, ^ber nicht nur die Auflösung des Neichskörpers erfüllte wohlmeinende Männer ^ Ende des sechzehnten Jahrhunderts mit trüben Ahnungen, nicht nur die Verkümmerung in Glauben, Bildung und Sitte nährte die Ansicht, daß das' Ende der Welt nahe sei, auch das Heerwesen der Deutschen erschien verfallen ^ud verdorben. Die Desorganisation der Armeen, die zerstörende Methode ^Kriegführung, die Lasterhaftigkeit der Soldaten und der feindselige Gegen- zwischen dem producirenden und zerstörenden Theil der Nation wurden laut beklagt. ' Das deutsche Heerwesen war im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts Undings unbehilflich, und wenig geeignet für große und dauerhafte Ent¬ scheidungen. Seit den Burgunderkriegen und den italienischen Kämpfen Maximilians ^d Karl des Fünften hatte das bürgerliche Fußvolk die ritterliche Neiterkunst ^ Mittelalters in den Hintergrund gedrängt. Die Stärke der Heere bestand "'«als aus Landsknechten, freien Männern des Bürger- und Bauernstandes, ^meer ihnen nur einzelne Adlige. Sie waren in der großen Mehrzahl gewor- ene Söldner, welche sich freiwillig durch Vertrag auf Zeit an ihre Fahne ^nden. Sie betrieben den Krieg wie Handwerker, hart, emsig, pflichtvoll, Grmjbotm in. 18S9. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/135>, abgerufen am 28.04.2024.