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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
2.
Jaffa und seine Umgebung. -- Ramleh und der Ritt über das
Gebirge Juda.

Als es tagte, sah ich Jaffa deutlich vor mir: hart am Ufer eine vom
Meer zernagte moosige Mauer, dahinter gelbgraue Steinhäuser, terrassenartig
sich übereinander erhebend, flache Dächer mit einzelnen weißgetünchten Kuppel",
neben denen zu Ehren unseres Gcneralconsuls Flaggen wehten, ein niedriges
Minaret, drei Klöster, das Ganze stattlicher als ich mirs vorgestellt. Vor der
Stadt zieht sich ein Kranz scharfkantiger, mit Moosflocken und Seetang behang¬
ner Riffe hin, um welchen schaumspritzend die hier nie rastende Brandung
wogte. Rechts von der Stadt starrt die graue Felswand empor, an welcher
Perseus den Meerdrachen erschlug, der die schöne Andromeda verschlingen
sollte. Links erscheinen hinter einem schmalen Sandgestade einzelne Palmen
und die berühmten Limonengärten.

Das Meer war ziemlich ruhig. Dennoch hatten die Barken, die uns ab¬
zuholen kamen, hart mit der Brandung zu kämpfen, die um jene Klippen
brauste, und als wir durch die enge Oeffnung fuhren, welche von der Rhede
in den Hafen führt, wurde ich wiederholt mit Salzwasser getauft. Am Ufer
angelangt, kletterte ich mit Hilfe des Burschen, der meinen Koffer tragen
sollte, über die Mauer und hatte nun einen raschen Entschluß zu fassen,
ob ich im Kloster der Lateiner oder in der jüdischen Locanda Herberge neh¬
men sollte. Eins war nach den Aeußerungen des Gcneralconsuls so bedenk¬
lich wie das andere: hier bei den Mönchen tagtäglich Wassersuppen, höchstens
in Oel schwimmende Saubohnen, dort bei dem Juden polnische Wirthschaft
mit obligatem Ungeziefer. Das Orakel der Rockknöpfe, das bisher in schwie¬
rigen Lagen immer verständig gerathen, wies mich zum Juden. "Fen Saadi
nemsaui", wo wohnt, der deutsche Uhrmacher?*) sagte ich, beim letzten Knopf an¬
gelangt, zu meinem Araber, und er begriff mich sofort. Wir stiegen steile,
von hohen, fensterlosen Mauern eingeschlossene, bisweilen durch Ueberwölbung
höhlenartig dunkle Gassen zum Theil auf Stufen hinauf, bis wir ganz oben
aus dem Gipfel des Stadthügels vor einem hübschen zweistöckigen Hause an¬
langten, zu dessen Thür eine schmale Freitreppe emporführte.

Die Knopfgeister hatten sich auch diesmal nicht geirrt. Ich sah auf den



") Der Gastgeber, ein gewisser Blattner, ist zugleich Uhrmacher und als solcher im Orte
bekannter wie durch sein Wirthshaus.
Eine Wallfahrt nach Jerusalem.
2.
Jaffa und seine Umgebung. — Ramleh und der Ritt über das
Gebirge Juda.

Als es tagte, sah ich Jaffa deutlich vor mir: hart am Ufer eine vom
Meer zernagte moosige Mauer, dahinter gelbgraue Steinhäuser, terrassenartig
sich übereinander erhebend, flache Dächer mit einzelnen weißgetünchten Kuppel»,
neben denen zu Ehren unseres Gcneralconsuls Flaggen wehten, ein niedriges
Minaret, drei Klöster, das Ganze stattlicher als ich mirs vorgestellt. Vor der
Stadt zieht sich ein Kranz scharfkantiger, mit Moosflocken und Seetang behang¬
ner Riffe hin, um welchen schaumspritzend die hier nie rastende Brandung
wogte. Rechts von der Stadt starrt die graue Felswand empor, an welcher
Perseus den Meerdrachen erschlug, der die schöne Andromeda verschlingen
sollte. Links erscheinen hinter einem schmalen Sandgestade einzelne Palmen
und die berühmten Limonengärten.

Das Meer war ziemlich ruhig. Dennoch hatten die Barken, die uns ab¬
zuholen kamen, hart mit der Brandung zu kämpfen, die um jene Klippen
brauste, und als wir durch die enge Oeffnung fuhren, welche von der Rhede
in den Hafen führt, wurde ich wiederholt mit Salzwasser getauft. Am Ufer
angelangt, kletterte ich mit Hilfe des Burschen, der meinen Koffer tragen
sollte, über die Mauer und hatte nun einen raschen Entschluß zu fassen,
ob ich im Kloster der Lateiner oder in der jüdischen Locanda Herberge neh¬
men sollte. Eins war nach den Aeußerungen des Gcneralconsuls so bedenk¬
lich wie das andere: hier bei den Mönchen tagtäglich Wassersuppen, höchstens
in Oel schwimmende Saubohnen, dort bei dem Juden polnische Wirthschaft
mit obligatem Ungeziefer. Das Orakel der Rockknöpfe, das bisher in schwie¬
rigen Lagen immer verständig gerathen, wies mich zum Juden. „Fen Saadi
nemsaui", wo wohnt, der deutsche Uhrmacher?*) sagte ich, beim letzten Knopf an¬
gelangt, zu meinem Araber, und er begriff mich sofort. Wir stiegen steile,
von hohen, fensterlosen Mauern eingeschlossene, bisweilen durch Ueberwölbung
höhlenartig dunkle Gassen zum Theil auf Stufen hinauf, bis wir ganz oben
aus dem Gipfel des Stadthügels vor einem hübschen zweistöckigen Hause an¬
langten, zu dessen Thür eine schmale Freitreppe emporführte.

Die Knopfgeister hatten sich auch diesmal nicht geirrt. Ich sah auf den



") Der Gastgeber, ein gewisser Blattner, ist zugleich Uhrmacher und als solcher im Orte
bekannter wie durch sein Wirthshaus.
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[0258] Eine Wallfahrt nach Jerusalem. 2. Jaffa und seine Umgebung. — Ramleh und der Ritt über das Gebirge Juda. Als es tagte, sah ich Jaffa deutlich vor mir: hart am Ufer eine vom Meer zernagte moosige Mauer, dahinter gelbgraue Steinhäuser, terrassenartig sich übereinander erhebend, flache Dächer mit einzelnen weißgetünchten Kuppel», neben denen zu Ehren unseres Gcneralconsuls Flaggen wehten, ein niedriges Minaret, drei Klöster, das Ganze stattlicher als ich mirs vorgestellt. Vor der Stadt zieht sich ein Kranz scharfkantiger, mit Moosflocken und Seetang behang¬ ner Riffe hin, um welchen schaumspritzend die hier nie rastende Brandung wogte. Rechts von der Stadt starrt die graue Felswand empor, an welcher Perseus den Meerdrachen erschlug, der die schöne Andromeda verschlingen sollte. Links erscheinen hinter einem schmalen Sandgestade einzelne Palmen und die berühmten Limonengärten. Das Meer war ziemlich ruhig. Dennoch hatten die Barken, die uns ab¬ zuholen kamen, hart mit der Brandung zu kämpfen, die um jene Klippen brauste, und als wir durch die enge Oeffnung fuhren, welche von der Rhede in den Hafen führt, wurde ich wiederholt mit Salzwasser getauft. Am Ufer angelangt, kletterte ich mit Hilfe des Burschen, der meinen Koffer tragen sollte, über die Mauer und hatte nun einen raschen Entschluß zu fassen, ob ich im Kloster der Lateiner oder in der jüdischen Locanda Herberge neh¬ men sollte. Eins war nach den Aeußerungen des Gcneralconsuls so bedenk¬ lich wie das andere: hier bei den Mönchen tagtäglich Wassersuppen, höchstens in Oel schwimmende Saubohnen, dort bei dem Juden polnische Wirthschaft mit obligatem Ungeziefer. Das Orakel der Rockknöpfe, das bisher in schwie¬ rigen Lagen immer verständig gerathen, wies mich zum Juden. „Fen Saadi nemsaui", wo wohnt, der deutsche Uhrmacher?*) sagte ich, beim letzten Knopf an¬ gelangt, zu meinem Araber, und er begriff mich sofort. Wir stiegen steile, von hohen, fensterlosen Mauern eingeschlossene, bisweilen durch Ueberwölbung höhlenartig dunkle Gassen zum Theil auf Stufen hinauf, bis wir ganz oben aus dem Gipfel des Stadthügels vor einem hübschen zweistöckigen Hause an¬ langten, zu dessen Thür eine schmale Freitreppe emporführte. Die Knopfgeister hatten sich auch diesmal nicht geirrt. Ich sah auf den ") Der Gastgeber, ein gewisser Blattner, ist zugleich Uhrmacher und als solcher im Orte bekannter wie durch sein Wirthshaus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/258>, abgerufen am 28.04.2024.