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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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wir sind der Meinung, daß die geistige Überlegenheit sich schon vor dem
Kriege in der Gewinnung sicherer Bundesgenossen documentirt haben müsse,
wenn'man während des Krieges auf sie soll rechnen können. Der diplomatische
Sieg bereitet so sicher den Sieg auf dem Kriegsschauplatz vor. als ein Gene¬
ral k Wilhelm Rüstow. ein Feldherr ist. der kein Staatsmann ist.




Man würde die Jrrgänge der "öffentlichen Meinung" viel leichter cntfädcln,
Wenn man von vornherein eine größere Aufmerksamkeit auf die geheimen Mcmoeuvcr
Parteien richtete, welche diese Meinung zu ihren Zwecken ausbeuten. Im Laufe
dieses Jahres tauchten eine Menge von Gerüchten und Vermuthungen auf, welche
der "öffentlichen Meinung" zu feststehenden Thatsachen gestempelt wurden; auf
>dren Ursprung halte Niemand geachtet, sie waren aber von so verschiedenen Seiten
fortwährend wiederholt worden, daß es zuletzt damit ging, wie mit der Mißgeburt
Gellerts Fabel: alle Welt war bereit, die Wahrhaftigkeit derselben mit einem kör¬
perlichen Eid zu erhärten. Das leitende Dogma des Jahres war die Absicht des
Kaiser Napoleon, durch seinen Bund mit Sardinien den Rhein zu erobern; wer an
dieses Dogma nicht glaubte, galt als ein von den Franzosen erkaufter Verrnthcr.

Jetzt ist ein neues Dogma im Werk: Napoleon will vorläufig nicht den Rhein
Zobern, sondern England; zu diesem Zweck hat sein Bundesgenosse, der Kaiser von
Rußland den Prinzen von Preußen in Breslau bestimmt, in dem bevorstehenden,
Kriege neutral zu bleibe". Die Sinnlosigkeit dieses Gerüchts, springt in die Augen,
^hon wegen der Beziehungen des preußischen zum englischen Hos; was die beiden
Ersten mit einander zu verhandeln haben, da der italienische Kongreß vor der Thür
kann jedes Kind an den Fingern abzählen, und wenn das bisherige Organ der
preußischen Regierung, nicht in diplomatischen Formeln, sondern in schlichtem Deutsch
dies Gerücht für eine nichtswürdige Lüge und die Urheber desselben für nichtswürdige
Eigner erklärt hätte, so würde der ganze Spuk bald verschwunden sein.

So aber treten zuerst die Partciblätter aus. mit Andeutungen, Winken^ auch
Wol mit Versicherungen. Wie weit das Recht eines Parteiblattcs gehen'soll, haben
^ in dem Prozeß des Professor Vogt gegen die Allgemeine Zeitung von einer
Redaction erfahren, von der wir es doch nicht erwarteten; von der Kreuzzeitung
^are es uns begreiflicher gewesen. Nach den Pnrtciblättcrn kommt eine andere
^csssc von Zeitungen, die von der Wahrheit sehr wohl unterrichtet sein könnten, ja
Unterrichtet fein müßten. Diese Klasse führt die Aussage der Partciblätter blos an,
^ nicht, ohne hinzuzusetzen, daß jene Blätter in der Regel gut unterrichtet seien.
^"Nu folgt eine dritte Klasse: diejenigen liberalen Zeitschriften, die durchaus wohl-
'Ncinend sind, aber den Wald vor Bäumen nicht sehen; diese raisonniren folgender¬
em: es wäre von der zweiten Klasse, die in der Lage ist, sich von der Wahrheit
'"'er Thatsachen vollständig zu unterrichten, eine grenzenlose Frechheit, wider beßres


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wir sind der Meinung, daß die geistige Überlegenheit sich schon vor dem
Kriege in der Gewinnung sicherer Bundesgenossen documentirt haben müsse,
wenn'man während des Krieges auf sie soll rechnen können. Der diplomatische
Sieg bereitet so sicher den Sieg auf dem Kriegsschauplatz vor. als ein Gene¬
ral k Wilhelm Rüstow. ein Feldherr ist. der kein Staatsmann ist.




Man würde die Jrrgänge der „öffentlichen Meinung" viel leichter cntfädcln,
Wenn man von vornherein eine größere Aufmerksamkeit auf die geheimen Mcmoeuvcr
Parteien richtete, welche diese Meinung zu ihren Zwecken ausbeuten. Im Laufe
dieses Jahres tauchten eine Menge von Gerüchten und Vermuthungen auf, welche
der „öffentlichen Meinung" zu feststehenden Thatsachen gestempelt wurden; auf
>dren Ursprung halte Niemand geachtet, sie waren aber von so verschiedenen Seiten
fortwährend wiederholt worden, daß es zuletzt damit ging, wie mit der Mißgeburt
Gellerts Fabel: alle Welt war bereit, die Wahrhaftigkeit derselben mit einem kör¬
perlichen Eid zu erhärten. Das leitende Dogma des Jahres war die Absicht des
Kaiser Napoleon, durch seinen Bund mit Sardinien den Rhein zu erobern; wer an
dieses Dogma nicht glaubte, galt als ein von den Franzosen erkaufter Verrnthcr.

Jetzt ist ein neues Dogma im Werk: Napoleon will vorläufig nicht den Rhein
Zobern, sondern England; zu diesem Zweck hat sein Bundesgenosse, der Kaiser von
Rußland den Prinzen von Preußen in Breslau bestimmt, in dem bevorstehenden,
Kriege neutral zu bleibe». Die Sinnlosigkeit dieses Gerüchts, springt in die Augen,
^hon wegen der Beziehungen des preußischen zum englischen Hos; was die beiden
Ersten mit einander zu verhandeln haben, da der italienische Kongreß vor der Thür
kann jedes Kind an den Fingern abzählen, und wenn das bisherige Organ der
preußischen Regierung, nicht in diplomatischen Formeln, sondern in schlichtem Deutsch
dies Gerücht für eine nichtswürdige Lüge und die Urheber desselben für nichtswürdige
Eigner erklärt hätte, so würde der ganze Spuk bald verschwunden sein.

So aber treten zuerst die Partciblätter aus. mit Andeutungen, Winken^ auch
Wol mit Versicherungen. Wie weit das Recht eines Parteiblattcs gehen'soll, haben
^ in dem Prozeß des Professor Vogt gegen die Allgemeine Zeitung von einer
Redaction erfahren, von der wir es doch nicht erwarteten; von der Kreuzzeitung
^are es uns begreiflicher gewesen. Nach den Pnrtciblättcrn kommt eine andere
^csssc von Zeitungen, die von der Wahrheit sehr wohl unterrichtet sein könnten, ja
Unterrichtet fein müßten. Diese Klasse führt die Aussage der Partciblätter blos an,
^ nicht, ohne hinzuzusetzen, daß jene Blätter in der Regel gut unterrichtet seien.
^"Nu folgt eine dritte Klasse: diejenigen liberalen Zeitschriften, die durchaus wohl-
'Ncinend sind, aber den Wald vor Bäumen nicht sehen; diese raisonniren folgender¬
em: es wäre von der zweiten Klasse, die in der Lage ist, sich von der Wahrheit
'"'er Thatsachen vollständig zu unterrichten, eine grenzenlose Frechheit, wider beßres


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[0327] wir sind der Meinung, daß die geistige Überlegenheit sich schon vor dem Kriege in der Gewinnung sicherer Bundesgenossen documentirt haben müsse, wenn'man während des Krieges auf sie soll rechnen können. Der diplomatische Sieg bereitet so sicher den Sieg auf dem Kriegsschauplatz vor. als ein Gene¬ ral k Wilhelm Rüstow. ein Feldherr ist. der kein Staatsmann ist. Man würde die Jrrgänge der „öffentlichen Meinung" viel leichter cntfädcln, Wenn man von vornherein eine größere Aufmerksamkeit auf die geheimen Mcmoeuvcr Parteien richtete, welche diese Meinung zu ihren Zwecken ausbeuten. Im Laufe dieses Jahres tauchten eine Menge von Gerüchten und Vermuthungen auf, welche der „öffentlichen Meinung" zu feststehenden Thatsachen gestempelt wurden; auf >dren Ursprung halte Niemand geachtet, sie waren aber von so verschiedenen Seiten fortwährend wiederholt worden, daß es zuletzt damit ging, wie mit der Mißgeburt Gellerts Fabel: alle Welt war bereit, die Wahrhaftigkeit derselben mit einem kör¬ perlichen Eid zu erhärten. Das leitende Dogma des Jahres war die Absicht des Kaiser Napoleon, durch seinen Bund mit Sardinien den Rhein zu erobern; wer an dieses Dogma nicht glaubte, galt als ein von den Franzosen erkaufter Verrnthcr. Jetzt ist ein neues Dogma im Werk: Napoleon will vorläufig nicht den Rhein Zobern, sondern England; zu diesem Zweck hat sein Bundesgenosse, der Kaiser von Rußland den Prinzen von Preußen in Breslau bestimmt, in dem bevorstehenden, Kriege neutral zu bleibe». Die Sinnlosigkeit dieses Gerüchts, springt in die Augen, ^hon wegen der Beziehungen des preußischen zum englischen Hos; was die beiden Ersten mit einander zu verhandeln haben, da der italienische Kongreß vor der Thür kann jedes Kind an den Fingern abzählen, und wenn das bisherige Organ der preußischen Regierung, nicht in diplomatischen Formeln, sondern in schlichtem Deutsch dies Gerücht für eine nichtswürdige Lüge und die Urheber desselben für nichtswürdige Eigner erklärt hätte, so würde der ganze Spuk bald verschwunden sein. So aber treten zuerst die Partciblätter aus. mit Andeutungen, Winken^ auch Wol mit Versicherungen. Wie weit das Recht eines Parteiblattcs gehen'soll, haben ^ in dem Prozeß des Professor Vogt gegen die Allgemeine Zeitung von einer Redaction erfahren, von der wir es doch nicht erwarteten; von der Kreuzzeitung ^are es uns begreiflicher gewesen. Nach den Pnrtciblättcrn kommt eine andere ^csssc von Zeitungen, die von der Wahrheit sehr wohl unterrichtet sein könnten, ja Unterrichtet fein müßten. Diese Klasse führt die Aussage der Partciblätter blos an, ^ nicht, ohne hinzuzusetzen, daß jene Blätter in der Regel gut unterrichtet seien. ^"Nu folgt eine dritte Klasse: diejenigen liberalen Zeitschriften, die durchaus wohl- 'Ncinend sind, aber den Wald vor Bäumen nicht sehen; diese raisonniren folgender¬ em: es wäre von der zweiten Klasse, die in der Lage ist, sich von der Wahrheit '"'er Thatsachen vollständig zu unterrichten, eine grenzenlose Frechheit, wider beßres 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/327>, abgerufen am 03.05.2024.