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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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aber diese Verstärkung, den Abgang, der zugleich ersetzt werden muß, nicht
berechnet, auf "20000 bis 140000 M. an. so scheint dies wol viel gesagt-
Es ist dann etwa das Gleichgewicht hergestellt.

Dürfen Belgien. Holland und England für Frankreich nicht in Rechnung
gestellt werden, so bleibt als einzige Macht, welche Frankreich eine directe Unter¬
stützung liefern könnte, Spanien. Denn Italien wird schwer im Stande sein,
irgend etwas von seinen Kräften abzugeben. Spanien scheint allerdings keine
naheliegende Veranlassung zu haben, dem Kaiser der Franzosen ein Hülfscorps
zu stellen. Indessen wenn man sich die innere Lage der pyrenüischen Halb¬
insel vergegenwärtigt, welche es der Königin wol wünschenswerth machen
kann, einen Theil ihrer Heeresmacht in der Ferne zu beschäftigen, wenn man
an Piemont während des Krimkrieges, an das romanische Bündniß gegen die
Germanen denkt und etwa noch eine Erinnerung an die ehemahligen "spani¬
schen Niederlande", wie vage immer, hinzunimmt, so rückt eine Unterstützung
der Franzosen durch ein spanisches Hülfscorps ganz und gar in das Gebiet
der Möglichkeiten; von den Verwicklungen Spaniens mit Afrika und dem
Wunsch, dort mit Frankreich einig zu gehen, ganz abgesehen. Die Stärke
eines spanischen Hülfscorps für Frankreich und den Kampf auf dem nieder-
rheinischen Kriegstheater kann man allerhöchstens auf 20000 M. anschlagen.
Dagegen konnte nun möglicher Weise die Aufstellung eines französischen Ob'
servationscorps gegen die deutsche Oberrheingrcnze für nothwendig gehalten
werden. Obwohl dergleichen Obscrvationscorps häufig ein entschiedener Luxus
sind, so wird doch dieser Luxus getrieben, und es möchte bei einigem Geschick
der preußischen Regierung nicht so ganz schwierig sein, die Dinge in Süddeutsch'
land, also am Oberrhein so unsicher und zweifelhaft erscheinen zu lassen, daß
Frankreich ohne den Willen, hier anzugreifen, doch zu größeren Ausgaben an
Kraft sich bestimmen lassen würde, als bei Lichte und in aller Ruhe besehen
nöthig wären.

Ziehen wir nnn alle Factoren mit gehöriger Rücksicht zusammen, so si"'
det sich, daß Preußen es ohne Scheu mit Frankreich am Rhein aufnehmen
kaun, wenn es England, Belgien und Holland zu Verbündeten hat. Viel
schlechter stehen die Chancen schon, wenn nur Belgien für Preußen wäre
und England und Holland zusehen wollten. Tritt nun noch Belgien zu Frank¬
reich über, so kommt Preußen entschieden in Nachtheil. Wir brauchen die
Steigerung nicht weiter zu verfolgen.

Man glaube ja nicht, daß wir einen Sieg der materiellen Mindermacht,
über die materielle Uebermacht für unmöglich halten. Wir haben ja im Ge¬
gentheil die Möglichkeit eines solchen Sieges immer und überall vertheidigt-
Aber allerdings existirt sie nur unter der Voraussetzung geistiger Ueberlegen-
heit auf derjenigen Seite, auf welcher die materielle Mindermacht ist. Und


aber diese Verstärkung, den Abgang, der zugleich ersetzt werden muß, nicht
berechnet, auf »20000 bis 140000 M. an. so scheint dies wol viel gesagt-
Es ist dann etwa das Gleichgewicht hergestellt.

Dürfen Belgien. Holland und England für Frankreich nicht in Rechnung
gestellt werden, so bleibt als einzige Macht, welche Frankreich eine directe Unter¬
stützung liefern könnte, Spanien. Denn Italien wird schwer im Stande sein,
irgend etwas von seinen Kräften abzugeben. Spanien scheint allerdings keine
naheliegende Veranlassung zu haben, dem Kaiser der Franzosen ein Hülfscorps
zu stellen. Indessen wenn man sich die innere Lage der pyrenüischen Halb¬
insel vergegenwärtigt, welche es der Königin wol wünschenswerth machen
kann, einen Theil ihrer Heeresmacht in der Ferne zu beschäftigen, wenn man
an Piemont während des Krimkrieges, an das romanische Bündniß gegen die
Germanen denkt und etwa noch eine Erinnerung an die ehemahligen „spani¬
schen Niederlande", wie vage immer, hinzunimmt, so rückt eine Unterstützung
der Franzosen durch ein spanisches Hülfscorps ganz und gar in das Gebiet
der Möglichkeiten; von den Verwicklungen Spaniens mit Afrika und dem
Wunsch, dort mit Frankreich einig zu gehen, ganz abgesehen. Die Stärke
eines spanischen Hülfscorps für Frankreich und den Kampf auf dem nieder-
rheinischen Kriegstheater kann man allerhöchstens auf 20000 M. anschlagen.
Dagegen konnte nun möglicher Weise die Aufstellung eines französischen Ob'
servationscorps gegen die deutsche Oberrheingrcnze für nothwendig gehalten
werden. Obwohl dergleichen Obscrvationscorps häufig ein entschiedener Luxus
sind, so wird doch dieser Luxus getrieben, und es möchte bei einigem Geschick
der preußischen Regierung nicht so ganz schwierig sein, die Dinge in Süddeutsch'
land, also am Oberrhein so unsicher und zweifelhaft erscheinen zu lassen, daß
Frankreich ohne den Willen, hier anzugreifen, doch zu größeren Ausgaben an
Kraft sich bestimmen lassen würde, als bei Lichte und in aller Ruhe besehen
nöthig wären.

Ziehen wir nnn alle Factoren mit gehöriger Rücksicht zusammen, so si"'
det sich, daß Preußen es ohne Scheu mit Frankreich am Rhein aufnehmen
kaun, wenn es England, Belgien und Holland zu Verbündeten hat. Viel
schlechter stehen die Chancen schon, wenn nur Belgien für Preußen wäre
und England und Holland zusehen wollten. Tritt nun noch Belgien zu Frank¬
reich über, so kommt Preußen entschieden in Nachtheil. Wir brauchen die
Steigerung nicht weiter zu verfolgen.

Man glaube ja nicht, daß wir einen Sieg der materiellen Mindermacht,
über die materielle Uebermacht für unmöglich halten. Wir haben ja im Ge¬
gentheil die Möglichkeit eines solchen Sieges immer und überall vertheidigt-
Aber allerdings existirt sie nur unter der Voraussetzung geistiger Ueberlegen-
heit auf derjenigen Seite, auf welcher die materielle Mindermacht ist. Und


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[0326] aber diese Verstärkung, den Abgang, der zugleich ersetzt werden muß, nicht berechnet, auf »20000 bis 140000 M. an. so scheint dies wol viel gesagt- Es ist dann etwa das Gleichgewicht hergestellt. Dürfen Belgien. Holland und England für Frankreich nicht in Rechnung gestellt werden, so bleibt als einzige Macht, welche Frankreich eine directe Unter¬ stützung liefern könnte, Spanien. Denn Italien wird schwer im Stande sein, irgend etwas von seinen Kräften abzugeben. Spanien scheint allerdings keine naheliegende Veranlassung zu haben, dem Kaiser der Franzosen ein Hülfscorps zu stellen. Indessen wenn man sich die innere Lage der pyrenüischen Halb¬ insel vergegenwärtigt, welche es der Königin wol wünschenswerth machen kann, einen Theil ihrer Heeresmacht in der Ferne zu beschäftigen, wenn man an Piemont während des Krimkrieges, an das romanische Bündniß gegen die Germanen denkt und etwa noch eine Erinnerung an die ehemahligen „spani¬ schen Niederlande", wie vage immer, hinzunimmt, so rückt eine Unterstützung der Franzosen durch ein spanisches Hülfscorps ganz und gar in das Gebiet der Möglichkeiten; von den Verwicklungen Spaniens mit Afrika und dem Wunsch, dort mit Frankreich einig zu gehen, ganz abgesehen. Die Stärke eines spanischen Hülfscorps für Frankreich und den Kampf auf dem nieder- rheinischen Kriegstheater kann man allerhöchstens auf 20000 M. anschlagen. Dagegen konnte nun möglicher Weise die Aufstellung eines französischen Ob' servationscorps gegen die deutsche Oberrheingrcnze für nothwendig gehalten werden. Obwohl dergleichen Obscrvationscorps häufig ein entschiedener Luxus sind, so wird doch dieser Luxus getrieben, und es möchte bei einigem Geschick der preußischen Regierung nicht so ganz schwierig sein, die Dinge in Süddeutsch' land, also am Oberrhein so unsicher und zweifelhaft erscheinen zu lassen, daß Frankreich ohne den Willen, hier anzugreifen, doch zu größeren Ausgaben an Kraft sich bestimmen lassen würde, als bei Lichte und in aller Ruhe besehen nöthig wären. Ziehen wir nnn alle Factoren mit gehöriger Rücksicht zusammen, so si"' det sich, daß Preußen es ohne Scheu mit Frankreich am Rhein aufnehmen kaun, wenn es England, Belgien und Holland zu Verbündeten hat. Viel schlechter stehen die Chancen schon, wenn nur Belgien für Preußen wäre und England und Holland zusehen wollten. Tritt nun noch Belgien zu Frank¬ reich über, so kommt Preußen entschieden in Nachtheil. Wir brauchen die Steigerung nicht weiter zu verfolgen. Man glaube ja nicht, daß wir einen Sieg der materiellen Mindermacht, über die materielle Uebermacht für unmöglich halten. Wir haben ja im Ge¬ gentheil die Möglichkeit eines solchen Sieges immer und überall vertheidigt- Aber allerdings existirt sie nur unter der Voraussetzung geistiger Ueberlegen- heit auf derjenigen Seite, auf welcher die materielle Mindermacht ist. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/326>, abgerufen am 21.05.2024.