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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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in dem Brief an die Kleister enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirk¬
lich, du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester,
sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit
ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge dir
der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher
Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch,
den ich für dich aufzubringen weiß."

Hätte sich noch in diesen Tagen eine dauerhafte Hülfe gesunden, so würde
den armen, des Kampfes mit dem Leben müden Dichter das romantische Ver¬
hältniß zu Henriette Vogel vielleicht doch nicht bestimmt haben, diesen Kampf
durch einen hastigen Schritt zu beendigen.

Hier sei noch nachträglich ein Brief Adam Müllers an Fr. Schulz in
Berlin mitgetheilt, Wien, 10. December 1311 (Dorow II. S. 140). "Die
nächste Wirkung von einer solchen Nachricht, wie die von dem schrecklichen
Ende unsers Kleist, ist wohl, daß man die übrig gebliebenen Freunde zu¬
sammenzählt, und überhaupt den zerrissenen Kreis enger zusammenzieht. Aus
Intendanten unter vielen andern Berlinischen Klatschereien haben wir diese Nach¬
richt empfangen, die uns in unzähligen Rücksichten so nahe anging; und zu¬
letzt auch noch die schriftlichen Beweise erhalten, daß beide Verstorbene das
Andenken an uns in das frevelhafte Spiel ihrer letzten Gedanken verwickelt
haben. Durch die Entfernung wird nun das ganze schreckliche Bild wie in
einen Nahmen gefaßt, während an Ort und Stelle Umstände und Urtheile m-
und abströmen, und die ganze That eigentlich nie die Ruhe und Abgeschlossen¬
heit erreicht, in der wir sie zu sehen verurtheilt sind. Kurz, wir müssen uns
an die Hinterbliebenen Freunde fester anschließen, um eine Erholung zu fin¬
den. Wenig Menschen stehen uns näher als das Stägemannsche Haus und
Sie, und so finden Sie es begreiflich, daß ich ein Bedürfniß habe, wenn auch
Nur wenig Zeilen, Ihnen zu schreiben." -- Für einen intimen Freund des
U I. S. nglücklichen scheint mir das ziemlich kühl gesagt.




Neue Dichtungen.

Wenn es in unserer Zeit nur zu häusig vorkommt, daß Dichter männ-
lichen Geschlechts einen weibischen Ton anstimmen, so begegnet uns auch nicht
selten die entgegengesetzte Erscheinung. Wir meinen nicht jene emancipirten
Damen, deren Sopran um so hörbarer wird, je mehr sie sich bemühen, im Ton


in dem Brief an die Kleister enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirk¬
lich, du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester,
sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit
ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge dir
der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher
Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch,
den ich für dich aufzubringen weiß."

Hätte sich noch in diesen Tagen eine dauerhafte Hülfe gesunden, so würde
den armen, des Kampfes mit dem Leben müden Dichter das romantische Ver¬
hältniß zu Henriette Vogel vielleicht doch nicht bestimmt haben, diesen Kampf
durch einen hastigen Schritt zu beendigen.

Hier sei noch nachträglich ein Brief Adam Müllers an Fr. Schulz in
Berlin mitgetheilt, Wien, 10. December 1311 (Dorow II. S. 140). „Die
nächste Wirkung von einer solchen Nachricht, wie die von dem schrecklichen
Ende unsers Kleist, ist wohl, daß man die übrig gebliebenen Freunde zu¬
sammenzählt, und überhaupt den zerrissenen Kreis enger zusammenzieht. Aus
Intendanten unter vielen andern Berlinischen Klatschereien haben wir diese Nach¬
richt empfangen, die uns in unzähligen Rücksichten so nahe anging; und zu¬
letzt auch noch die schriftlichen Beweise erhalten, daß beide Verstorbene das
Andenken an uns in das frevelhafte Spiel ihrer letzten Gedanken verwickelt
haben. Durch die Entfernung wird nun das ganze schreckliche Bild wie in
einen Nahmen gefaßt, während an Ort und Stelle Umstände und Urtheile m-
und abströmen, und die ganze That eigentlich nie die Ruhe und Abgeschlossen¬
heit erreicht, in der wir sie zu sehen verurtheilt sind. Kurz, wir müssen uns
an die Hinterbliebenen Freunde fester anschließen, um eine Erholung zu fin¬
den. Wenig Menschen stehen uns näher als das Stägemannsche Haus und
Sie, und so finden Sie es begreiflich, daß ich ein Bedürfniß habe, wenn auch
Nur wenig Zeilen, Ihnen zu schreiben." — Für einen intimen Freund des
U I. S. nglücklichen scheint mir das ziemlich kühl gesagt.




Neue Dichtungen.

Wenn es in unserer Zeit nur zu häusig vorkommt, daß Dichter männ-
lichen Geschlechts einen weibischen Ton anstimmen, so begegnet uns auch nicht
selten die entgegengesetzte Erscheinung. Wir meinen nicht jene emancipirten
Damen, deren Sopran um so hörbarer wird, je mehr sie sich bemühen, im Ton


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[0507] in dem Brief an die Kleister enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirk¬ lich, du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für dich aufzubringen weiß." Hätte sich noch in diesen Tagen eine dauerhafte Hülfe gesunden, so würde den armen, des Kampfes mit dem Leben müden Dichter das romantische Ver¬ hältniß zu Henriette Vogel vielleicht doch nicht bestimmt haben, diesen Kampf durch einen hastigen Schritt zu beendigen. Hier sei noch nachträglich ein Brief Adam Müllers an Fr. Schulz in Berlin mitgetheilt, Wien, 10. December 1311 (Dorow II. S. 140). „Die nächste Wirkung von einer solchen Nachricht, wie die von dem schrecklichen Ende unsers Kleist, ist wohl, daß man die übrig gebliebenen Freunde zu¬ sammenzählt, und überhaupt den zerrissenen Kreis enger zusammenzieht. Aus Intendanten unter vielen andern Berlinischen Klatschereien haben wir diese Nach¬ richt empfangen, die uns in unzähligen Rücksichten so nahe anging; und zu¬ letzt auch noch die schriftlichen Beweise erhalten, daß beide Verstorbene das Andenken an uns in das frevelhafte Spiel ihrer letzten Gedanken verwickelt haben. Durch die Entfernung wird nun das ganze schreckliche Bild wie in einen Nahmen gefaßt, während an Ort und Stelle Umstände und Urtheile m- und abströmen, und die ganze That eigentlich nie die Ruhe und Abgeschlossen¬ heit erreicht, in der wir sie zu sehen verurtheilt sind. Kurz, wir müssen uns an die Hinterbliebenen Freunde fester anschließen, um eine Erholung zu fin¬ den. Wenig Menschen stehen uns näher als das Stägemannsche Haus und Sie, und so finden Sie es begreiflich, daß ich ein Bedürfniß habe, wenn auch Nur wenig Zeilen, Ihnen zu schreiben." — Für einen intimen Freund des U I. S. nglücklichen scheint mir das ziemlich kühl gesagt. Neue Dichtungen. Wenn es in unserer Zeit nur zu häusig vorkommt, daß Dichter männ- lichen Geschlechts einen weibischen Ton anstimmen, so begegnet uns auch nicht selten die entgegengesetzte Erscheinung. Wir meinen nicht jene emancipirten Damen, deren Sopran um so hörbarer wird, je mehr sie sich bemühen, im Ton

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/507>, abgerufen am 03.05.2024.