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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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21. und 22. Mai (Schlacht bei Aspern), und ich fand Gelegenheit, meine
Aufsätze, die ich für ein patriotisches Wochenblatt bestimmt hatte, im Hause
des Grafen v. Kollowrat vorzulesen. Man faßte die Idee lebhaft auf" u. f. w.
-- "So lange ich lebe, vereinigte sich noch nicht so viel, um mich eine frohe
Zukunft hoffen zu lassen, und nun vernichten die letzten Vorfalle (Schlacht bei Wag¬
ram 5. 6. Juli) nicht nur diese Unternehmung, sie vernichten meine ganze Thätig¬
keit überhaupt. Ich habe ein paar Manuscripte zu verkaufen; doch das eine
(Hermannsschlacht) wird wegen seiner Beziehung auf die Zeit schwerlich einen
Verleger, und das andere (Käthchen). weil es keine solche Beziehung hat, wenig
Interesse finden. Kurz, das ganze Geschäft des Dichtens ist mir gelegt, denn
ich bin, wie ich mich auch stelle, in dieser Alternative." Er bittet dringend
um Geld, aus Prag loszukommen. "Was ich ergreifen werde, weiß ich nicht;
denn wenn es auch ein Handwerk wäre, so würde bei dem, was nun die
Welt erfahren wird, nichts herauskommen. Aber Hoffnung muß bei den
Lebenden sein."

Von da an werden die Nachrichten sehr spärlich. -- Den 23. November
1809 schreibt er aus Frankfurt a. O. (wo er sich in Geldangelegenheiten auf¬
hielt), er sei im Begriff, nach Oestreich zurückzukehren. Den 19. März 1810
schreibt er aus Berlin: er hat der Konigin ein rührendes Gedicht überreicht
(Werke III. S. 370), sein "Prinz von Homburg" wird auf dem Privattheater
des Fürsten Radzivil aufgeführt und solle dann gedruckt werden. Er verkehrt
bei Altenstein, bei Stägemcmn (auch bei der Reimerschen Familie). Den
11. August 1811 noch ein zärtlicher Brief, worin er Ulriken eine Stelle im
Lnisenstift offerirt, damit sie näher zusammenleben können.

Nun noch eir? undatirter Zettel, Ur. 55, wahrscheinlich in Frankfurt ge¬
schrieben. -- "Die Absicht, in der ich hierher kam, war. . . mir Geld z"
verschaffen. . . Da du dich aber, mein liebes, wunderliches Mädchen, bei
meinem Anblick so ungeheuer erschrocken hast, ein Umstand, der mich, so wahr
ich lebe, auf das Allertiefste erschütterte: so gebe ich, wie es sich von selbst
versteht, diesen Gedanken völlig auf, ich bitte dich von ganzem Herzen um
Verzeihung, und beschränke mich, entschlossen, noch heute Nachmittag nach
Berlin zurückzureisen, blos auf den andern Wunsch, der mir am Herzen lag,
dich noch einmal auf ein paar Stunden zu sehen."

Der Zettel sagt sehr viel; er sagt, daß seine letzte Stütze wankte. JH
bin überzeugt, daß Koberstein ihm eine unrichtige Stelle gegeben hat, daß er
nach dem 11. August fällt. Er erklärt völlig die Anspielung in dem letzten
Brief, den Kleist bei seinem Tode (21. November) an seine Schwester zurück¬
ließ. "Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter wie ich bin,
mit der ganzen Welt und soweit auch vor allen Andern, meine theuerste
Ulrike, mit dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Aeußerung, die


21. und 22. Mai (Schlacht bei Aspern), und ich fand Gelegenheit, meine
Aufsätze, die ich für ein patriotisches Wochenblatt bestimmt hatte, im Hause
des Grafen v. Kollowrat vorzulesen. Man faßte die Idee lebhaft auf" u. f. w.
— „So lange ich lebe, vereinigte sich noch nicht so viel, um mich eine frohe
Zukunft hoffen zu lassen, und nun vernichten die letzten Vorfalle (Schlacht bei Wag¬
ram 5. 6. Juli) nicht nur diese Unternehmung, sie vernichten meine ganze Thätig¬
keit überhaupt. Ich habe ein paar Manuscripte zu verkaufen; doch das eine
(Hermannsschlacht) wird wegen seiner Beziehung auf die Zeit schwerlich einen
Verleger, und das andere (Käthchen). weil es keine solche Beziehung hat, wenig
Interesse finden. Kurz, das ganze Geschäft des Dichtens ist mir gelegt, denn
ich bin, wie ich mich auch stelle, in dieser Alternative." Er bittet dringend
um Geld, aus Prag loszukommen. „Was ich ergreifen werde, weiß ich nicht;
denn wenn es auch ein Handwerk wäre, so würde bei dem, was nun die
Welt erfahren wird, nichts herauskommen. Aber Hoffnung muß bei den
Lebenden sein."

Von da an werden die Nachrichten sehr spärlich. — Den 23. November
1809 schreibt er aus Frankfurt a. O. (wo er sich in Geldangelegenheiten auf¬
hielt), er sei im Begriff, nach Oestreich zurückzukehren. Den 19. März 1810
schreibt er aus Berlin: er hat der Konigin ein rührendes Gedicht überreicht
(Werke III. S. 370), sein „Prinz von Homburg" wird auf dem Privattheater
des Fürsten Radzivil aufgeführt und solle dann gedruckt werden. Er verkehrt
bei Altenstein, bei Stägemcmn (auch bei der Reimerschen Familie). Den
11. August 1811 noch ein zärtlicher Brief, worin er Ulriken eine Stelle im
Lnisenstift offerirt, damit sie näher zusammenleben können.

Nun noch eir? undatirter Zettel, Ur. 55, wahrscheinlich in Frankfurt ge¬
schrieben. — „Die Absicht, in der ich hierher kam, war. . . mir Geld z»
verschaffen. . . Da du dich aber, mein liebes, wunderliches Mädchen, bei
meinem Anblick so ungeheuer erschrocken hast, ein Umstand, der mich, so wahr
ich lebe, auf das Allertiefste erschütterte: so gebe ich, wie es sich von selbst
versteht, diesen Gedanken völlig auf, ich bitte dich von ganzem Herzen um
Verzeihung, und beschränke mich, entschlossen, noch heute Nachmittag nach
Berlin zurückzureisen, blos auf den andern Wunsch, der mir am Herzen lag,
dich noch einmal auf ein paar Stunden zu sehen."

Der Zettel sagt sehr viel; er sagt, daß seine letzte Stütze wankte. JH
bin überzeugt, daß Koberstein ihm eine unrichtige Stelle gegeben hat, daß er
nach dem 11. August fällt. Er erklärt völlig die Anspielung in dem letzten
Brief, den Kleist bei seinem Tode (21. November) an seine Schwester zurück¬
ließ. „Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter wie ich bin,
mit der ganzen Welt und soweit auch vor allen Andern, meine theuerste
Ulrike, mit dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Aeußerung, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/506>, abgerufen am 21.05.2024.