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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ans dem Leben Annette's v. Droste.

Indem wir im Folgenden Einiges über die Person und das Leben der
westfälischen Dichterin mittheilen, bemerken wir. daß uns diese Skizze von
einer Dame zuging, welche zu Annette v. Droste im Verhältniß engster Freund¬
schaft stand. Dieselbe schreibt uns:

Sie mochten Aufschlüsse haben über das innere Leben der Dichterin,
über die Zeiträume und die äußern Anlässe ihres Schaffens, ein Wunsch der
nur dadurch erklärlich ist, daß sie von ihrer seltenen Gefühlswärme und Wahr-
heitstreue hingerissen sind; denn bei einem so objectiv schaffenden Talent wie
das der Droste treten die persönlichen Beziehungen sonst gewöhnlich in den
Hintergrund. Aber sie haben vollkommen Recht, hier nach denselben zu fra¬
gen, da diese Gedichte erst dann auch als rechte Merkwürdigkeit interessiren,
wenn man weiß, daß sie aus dem Urquell poetischer Begabung ohne Be¬
günstigung durch äußere Umstände und ebenso ohne das Druckwerk von
Schmerz und Unglück sich frei ergossen haben; denn Annette v. Droste führte
ein so abgeschlossenes, einsames aber harmonisches, in sich befriedigtes Leben,
daß daraus keine einzige der Fermentationen entstehen konnte, die sonst be¬
fruchtend auf ein poetisches Talent einwirken. Selbst ihre Krankheit war nicht
der Art; denn sie litt eigentlich sehr wenig davon, obwol dieselbe die edlern
Theile, Lunge und Herz, ergriffen hatte, aber in so seltsamer Weise, daß sie
nur bei anstrengender Bewegung heftige Beklemmungen fühlte, im Zustande
völliger Ruhe aber ganz gesund schien. Sprechen und Singen griff sie gar
nicht an, sie leistete darin Unglaubliches, sie konnte bis tief in die Nacht hin¬
ein sich mit ihren Freunden unterhalten und in einem Athem die längsten
Geschichten erzählen; ihre Stimme war so stark und volltönend beim Singen,
daß sie, in andern Lebenssphären geboren, vielleicht eine zweite Cntalani ge¬
worden sein würde. Dagegen wurde sie krank von dein kleinsten Spazier¬
gang oder Geschäftsweg, den sie ohne Unterbrechung machen mußte: das
Blut drang ihr vor Anstrengung dann mit einer Heftigkeit zu Kopf, daß sie
fast nicht sehen konnte und Anfälle von Erstickung bekam. Ziellos umher¬
schweifen in ihren heimatlichen Halden und Wäldern, wobei sie abwechselnd
stillstehen oder im Grase ausruhen konnte, vertrug sie ganz gut und liebte es
sehr. Jeder Zwang war ihr unverträglich und machte sie krank; sie hatte sich
in spätern Jahren deshalb auch von allen Obliegenheiten und Beziehungen
des gesellschaftlichen Lebens befreit und führte die beschaulichste, beglückendste
Einsiedler-Existenz aus einem Landsitz. Rüschhaus bei Münster; stets heiter,
übersprudelnd von Geist und Witz fanden sie ihre Freunde, wenn sie zu ihr


Grenzboten I. 1360. 2b
Ans dem Leben Annette's v. Droste.

Indem wir im Folgenden Einiges über die Person und das Leben der
westfälischen Dichterin mittheilen, bemerken wir. daß uns diese Skizze von
einer Dame zuging, welche zu Annette v. Droste im Verhältniß engster Freund¬
schaft stand. Dieselbe schreibt uns:

Sie mochten Aufschlüsse haben über das innere Leben der Dichterin,
über die Zeiträume und die äußern Anlässe ihres Schaffens, ein Wunsch der
nur dadurch erklärlich ist, daß sie von ihrer seltenen Gefühlswärme und Wahr-
heitstreue hingerissen sind; denn bei einem so objectiv schaffenden Talent wie
das der Droste treten die persönlichen Beziehungen sonst gewöhnlich in den
Hintergrund. Aber sie haben vollkommen Recht, hier nach denselben zu fra¬
gen, da diese Gedichte erst dann auch als rechte Merkwürdigkeit interessiren,
wenn man weiß, daß sie aus dem Urquell poetischer Begabung ohne Be¬
günstigung durch äußere Umstände und ebenso ohne das Druckwerk von
Schmerz und Unglück sich frei ergossen haben; denn Annette v. Droste führte
ein so abgeschlossenes, einsames aber harmonisches, in sich befriedigtes Leben,
daß daraus keine einzige der Fermentationen entstehen konnte, die sonst be¬
fruchtend auf ein poetisches Talent einwirken. Selbst ihre Krankheit war nicht
der Art; denn sie litt eigentlich sehr wenig davon, obwol dieselbe die edlern
Theile, Lunge und Herz, ergriffen hatte, aber in so seltsamer Weise, daß sie
nur bei anstrengender Bewegung heftige Beklemmungen fühlte, im Zustande
völliger Ruhe aber ganz gesund schien. Sprechen und Singen griff sie gar
nicht an, sie leistete darin Unglaubliches, sie konnte bis tief in die Nacht hin¬
ein sich mit ihren Freunden unterhalten und in einem Athem die längsten
Geschichten erzählen; ihre Stimme war so stark und volltönend beim Singen,
daß sie, in andern Lebenssphären geboren, vielleicht eine zweite Cntalani ge¬
worden sein würde. Dagegen wurde sie krank von dein kleinsten Spazier¬
gang oder Geschäftsweg, den sie ohne Unterbrechung machen mußte: das
Blut drang ihr vor Anstrengung dann mit einer Heftigkeit zu Kopf, daß sie
fast nicht sehen konnte und Anfälle von Erstickung bekam. Ziellos umher¬
schweifen in ihren heimatlichen Halden und Wäldern, wobei sie abwechselnd
stillstehen oder im Grase ausruhen konnte, vertrug sie ganz gut und liebte es
sehr. Jeder Zwang war ihr unverträglich und machte sie krank; sie hatte sich
in spätern Jahren deshalb auch von allen Obliegenheiten und Beziehungen
des gesellschaftlichen Lebens befreit und führte die beschaulichste, beglückendste
Einsiedler-Existenz aus einem Landsitz. Rüschhaus bei Münster; stets heiter,
übersprudelnd von Geist und Witz fanden sie ihre Freunde, wenn sie zu ihr


Grenzboten I. 1360. 2b
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[0205] Ans dem Leben Annette's v. Droste. Indem wir im Folgenden Einiges über die Person und das Leben der westfälischen Dichterin mittheilen, bemerken wir. daß uns diese Skizze von einer Dame zuging, welche zu Annette v. Droste im Verhältniß engster Freund¬ schaft stand. Dieselbe schreibt uns: Sie mochten Aufschlüsse haben über das innere Leben der Dichterin, über die Zeiträume und die äußern Anlässe ihres Schaffens, ein Wunsch der nur dadurch erklärlich ist, daß sie von ihrer seltenen Gefühlswärme und Wahr- heitstreue hingerissen sind; denn bei einem so objectiv schaffenden Talent wie das der Droste treten die persönlichen Beziehungen sonst gewöhnlich in den Hintergrund. Aber sie haben vollkommen Recht, hier nach denselben zu fra¬ gen, da diese Gedichte erst dann auch als rechte Merkwürdigkeit interessiren, wenn man weiß, daß sie aus dem Urquell poetischer Begabung ohne Be¬ günstigung durch äußere Umstände und ebenso ohne das Druckwerk von Schmerz und Unglück sich frei ergossen haben; denn Annette v. Droste führte ein so abgeschlossenes, einsames aber harmonisches, in sich befriedigtes Leben, daß daraus keine einzige der Fermentationen entstehen konnte, die sonst be¬ fruchtend auf ein poetisches Talent einwirken. Selbst ihre Krankheit war nicht der Art; denn sie litt eigentlich sehr wenig davon, obwol dieselbe die edlern Theile, Lunge und Herz, ergriffen hatte, aber in so seltsamer Weise, daß sie nur bei anstrengender Bewegung heftige Beklemmungen fühlte, im Zustande völliger Ruhe aber ganz gesund schien. Sprechen und Singen griff sie gar nicht an, sie leistete darin Unglaubliches, sie konnte bis tief in die Nacht hin¬ ein sich mit ihren Freunden unterhalten und in einem Athem die längsten Geschichten erzählen; ihre Stimme war so stark und volltönend beim Singen, daß sie, in andern Lebenssphären geboren, vielleicht eine zweite Cntalani ge¬ worden sein würde. Dagegen wurde sie krank von dein kleinsten Spazier¬ gang oder Geschäftsweg, den sie ohne Unterbrechung machen mußte: das Blut drang ihr vor Anstrengung dann mit einer Heftigkeit zu Kopf, daß sie fast nicht sehen konnte und Anfälle von Erstickung bekam. Ziellos umher¬ schweifen in ihren heimatlichen Halden und Wäldern, wobei sie abwechselnd stillstehen oder im Grase ausruhen konnte, vertrug sie ganz gut und liebte es sehr. Jeder Zwang war ihr unverträglich und machte sie krank; sie hatte sich in spätern Jahren deshalb auch von allen Obliegenheiten und Beziehungen des gesellschaftlichen Lebens befreit und führte die beschaulichste, beglückendste Einsiedler-Existenz aus einem Landsitz. Rüschhaus bei Münster; stets heiter, übersprudelnd von Geist und Witz fanden sie ihre Freunde, wenn sie zu ihr Grenzboten I. 1360. 2b

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/205>, abgerufen am 29.04.2024.