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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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der Alexander jede Veröffentlichung des Lebens seines Bruders überwacht.
Einige vortreffliche Bemerkungen über die Naturphilosophie, über Hegel u. s. w.
finden sich in dem Buch, obgleich nicht zahlreich. Das beste sind einige Anec-
doten, die wir hier mittheilen. -- Aus die Frage des Generals Gerlach: Ew.
Excellenz gehn jetzt wohl recht ost in die Kirche? antwortete Humboldt: das
jetzt ist ja'sehr freundlich von Ihnen; Sie wollen mir dadurch deu Weg
anzeigen, auf dem ich meine Carriere machen könnte. -- Ein andermal sprach
man geringschätzig von den Fähigkeiten eines Prinzen. Das muß ich bestrei¬
kn, sagte Humboldt, der junge Prinz hat kürzlich mit mir gesprochen; er traf
mich wartend im Zimmer seiner Mutter und fragte: wer sind Sie? -- Ich
heiße Humboldt. -- Und was find Sie? -- Ich bin Kaumierherr Sr. Maj.
des Königs. -- Weiter nichts? brach der Prinz kurz ab und wendete sich
weiter; das zeigt doch unleugbar von Verstand!

Der Humor ist köstlich; aber -- warum setzt sich Humboldt eigentlich in
die Lage, solchen Humor anzuwenden? Es gibt gegenwärtig in England und
Frankreich keinen Gelehrten von der Größe Humboldts; wenn es aber einen
gäbe, so würde ihm schwerlich auf eine solche Frage solche Antwort einge¬
fallen sein. Die Antwort war sehr liebenswürdig, der Humor sehr liebens¬
I. S. würdig; aber beides sehr -- deutsch! -- Leider.




Czechische Tnnze, Sagen und Volkslieder.'

Es gab eine Zeit, wo ein zum Ueberschwänglichen gesteigertes Nationalgefühl
allen Ernstes den Anlauf zu dem Beweis zu nehmen schien, daß im Lande
Böhmen der Normalmensch wohne. Die Slawen waren nach den Wortführern
dieser Bewegung das auserwählte Volk der Gegenwart, die herrschende Macht
der Zukunft, ja sie hatten schon in der Vergangenheit die gesammte Welt
zu Dank verpflichtet, und was von dem slawischen Genius im Allgemeinen
galt, war insbesondere von den Kindern der großen Mutter slawa zu rüh¬
men, welche in den Stromgebieten der Moldau und Eibe wohnen. Die
Czechen repräsentirien den Superlativ aller der lobenden Eigenschaftswörter,
mit denen man die ganze Race charakterisiere. Man entwickelte, um dies zu
erweisen, einen staunenswerthen Scharfsinn in der Aufhellung. der Geschichte,
und man erzielte, wie natürlich, staunenswerthe Erfolge. Die böhmische Klio
machte Entdeckungen, vor denen die deutsche erröthend die Augen nieder¬
schlagen mußte, vor denen selbst die alten römischen Juristen sich von Rechts-


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der Alexander jede Veröffentlichung des Lebens seines Bruders überwacht.
Einige vortreffliche Bemerkungen über die Naturphilosophie, über Hegel u. s. w.
finden sich in dem Buch, obgleich nicht zahlreich. Das beste sind einige Anec-
doten, die wir hier mittheilen. — Aus die Frage des Generals Gerlach: Ew.
Excellenz gehn jetzt wohl recht ost in die Kirche? antwortete Humboldt: das
jetzt ist ja'sehr freundlich von Ihnen; Sie wollen mir dadurch deu Weg
anzeigen, auf dem ich meine Carriere machen könnte. — Ein andermal sprach
man geringschätzig von den Fähigkeiten eines Prinzen. Das muß ich bestrei¬
kn, sagte Humboldt, der junge Prinz hat kürzlich mit mir gesprochen; er traf
mich wartend im Zimmer seiner Mutter und fragte: wer sind Sie? — Ich
heiße Humboldt. — Und was find Sie? — Ich bin Kaumierherr Sr. Maj.
des Königs. — Weiter nichts? brach der Prinz kurz ab und wendete sich
weiter; das zeigt doch unleugbar von Verstand!

Der Humor ist köstlich; aber — warum setzt sich Humboldt eigentlich in
die Lage, solchen Humor anzuwenden? Es gibt gegenwärtig in England und
Frankreich keinen Gelehrten von der Größe Humboldts; wenn es aber einen
gäbe, so würde ihm schwerlich auf eine solche Frage solche Antwort einge¬
fallen sein. Die Antwort war sehr liebenswürdig, der Humor sehr liebens¬
I. S. würdig; aber beides sehr — deutsch! — Leider.




Czechische Tnnze, Sagen und Volkslieder.'

Es gab eine Zeit, wo ein zum Ueberschwänglichen gesteigertes Nationalgefühl
allen Ernstes den Anlauf zu dem Beweis zu nehmen schien, daß im Lande
Böhmen der Normalmensch wohne. Die Slawen waren nach den Wortführern
dieser Bewegung das auserwählte Volk der Gegenwart, die herrschende Macht
der Zukunft, ja sie hatten schon in der Vergangenheit die gesammte Welt
zu Dank verpflichtet, und was von dem slawischen Genius im Allgemeinen
galt, war insbesondere von den Kindern der großen Mutter slawa zu rüh¬
men, welche in den Stromgebieten der Moldau und Eibe wohnen. Die
Czechen repräsentirien den Superlativ aller der lobenden Eigenschaftswörter,
mit denen man die ganze Race charakterisiere. Man entwickelte, um dies zu
erweisen, einen staunenswerthen Scharfsinn in der Aufhellung. der Geschichte,
und man erzielte, wie natürlich, staunenswerthe Erfolge. Die böhmische Klio
machte Entdeckungen, vor denen die deutsche erröthend die Augen nieder¬
schlagen mußte, vor denen selbst die alten römischen Juristen sich von Rechts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/431>, abgerufen am 28.04.2024.