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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Ereigniß, aber ein in jeder Hinsicht beklagenswerthes; um so beklagenswer-
ther, da man eigentlich doch nichts Neues daraus erfährt. Denn daß man
in fürstlichen Kreisen den Bürgerlichen nur selten für voll nimmt, daß man beim
Weggehn eines Bürgerlichen nicht selten ausruft: Gott sei Dank jetzt sind
wir unter uns! daß bei Hofe grade so viel geklatscht wird wie anderwärts,
daß Humboldt sich über manche einflußreiche Person in Ausdrücken auszu-
sprechen pflegte, die nichts weniger als ehrerbietig waren, daß man ihn mit
Bettelbriefen bombardirte und daß er in seiner großen Herzensgüte alle Briefe
beantwortete --wer hätte das nicht gewußt! -- Es kommt auch im gewöhn¬
lichen Leben vor, daß man sich über Leute, mit denen man viel verkehrt,
einem Dritten gegenüber viel unbefangener äußert, daß man ihre kleinen
Schwächen hervorhebt u. f. w. Wer viel Briefe schreibt, thut das cacti
wohl brieflich. Varnhagen hat aber nicht bloß alle derartige Papierschnitzel
Humboldts aufbewahrt, sondern er hat auch jedes Wort, das ihm in ver¬
trautem Gespräche entfiel, und das er nicht immer auf die Goldwage legte,
sorgfältig aufgezeichnet, und alle diese Aufzeichnungen, ja auch die Briefe noch
lebender Personen hat die Herausgeberin drucken lassen! Es ist doch eine alte
Sitte, daß man in solchen Fällen erst um Erlaubniß fragt, namentlich wenn es sich
um hochgestellte Personen handelt, denen ihre Lage eine doppelte Rücksicht
vorschreibt. -- Auch der Ton dieses ganzen Briefwechsels erregt Mißbehagen.
So hat sich einmal Humboldt für einen jungen Mann verwandt, der sich um
die Stelle eines Privatsecretärs bei einem Fürsten bewirbt. Der junge Mann
hätte, wie Varnhagen an Humboldt schreibt, gern den Weg über Berlin ge¬
nommen, "schon um Ew. Excellenz den innigsten Ausdruck seiner unbegrenzten
Dankbarkeit für so viel edles und menschenfreundliches Bemühn zu Füßen zu
legen!" --"Das dankbarste Gemüth erkennt dies mit innigster Durchdrungen-
heit! diesen seinen Empfindungen schließen die meinigen sich eifrigst an, in
diesem Falle wieder wie schon so oft in früheren Fällen! Mit heißesten Wün¬
schen in treuster Verehrung und Anhänglichkeit unwandelbar Ew. Excellenz
gehorsamster Varnhagen!" Mit denselben heißesten Wünschen, mit derselben
treusten Verehrung und Anhänglichkeit unterzeichnet Varnhagen unwandelbar
jeden Zettel; auch wenn weiter nichts darin steht, als daß der Schnupfen ihn
am Ausgehen hindert. So spricht man mit Humboldt! mit einem der ersten
unter Deutschlands wahren und echten Menschen -- wie soll man denn an
einen kleinen Menschen schreiben, den man braucht! -- Es ist wahr, der Ab¬
stand zwischen Humboldt und Varnhagen war sehr groß, aber der zwischen
Goethe und Eckermann war doch noch größer, und selbst dieser wendet nicht
so asiatische Formen an. Wir wenden uns zu einigen erfreulicheren Seiten
des Buchs. -- Sehr schön spricht sich überall Humboldts Liebe für seinen
Bruder Wilhelm aus, obgleich wieder die Aengstlichkeit Bedenken erregt, mit


Ereigniß, aber ein in jeder Hinsicht beklagenswerthes; um so beklagenswer-
ther, da man eigentlich doch nichts Neues daraus erfährt. Denn daß man
in fürstlichen Kreisen den Bürgerlichen nur selten für voll nimmt, daß man beim
Weggehn eines Bürgerlichen nicht selten ausruft: Gott sei Dank jetzt sind
wir unter uns! daß bei Hofe grade so viel geklatscht wird wie anderwärts,
daß Humboldt sich über manche einflußreiche Person in Ausdrücken auszu-
sprechen pflegte, die nichts weniger als ehrerbietig waren, daß man ihn mit
Bettelbriefen bombardirte und daß er in seiner großen Herzensgüte alle Briefe
beantwortete —wer hätte das nicht gewußt! — Es kommt auch im gewöhn¬
lichen Leben vor, daß man sich über Leute, mit denen man viel verkehrt,
einem Dritten gegenüber viel unbefangener äußert, daß man ihre kleinen
Schwächen hervorhebt u. f. w. Wer viel Briefe schreibt, thut das cacti
wohl brieflich. Varnhagen hat aber nicht bloß alle derartige Papierschnitzel
Humboldts aufbewahrt, sondern er hat auch jedes Wort, das ihm in ver¬
trautem Gespräche entfiel, und das er nicht immer auf die Goldwage legte,
sorgfältig aufgezeichnet, und alle diese Aufzeichnungen, ja auch die Briefe noch
lebender Personen hat die Herausgeberin drucken lassen! Es ist doch eine alte
Sitte, daß man in solchen Fällen erst um Erlaubniß fragt, namentlich wenn es sich
um hochgestellte Personen handelt, denen ihre Lage eine doppelte Rücksicht
vorschreibt. — Auch der Ton dieses ganzen Briefwechsels erregt Mißbehagen.
So hat sich einmal Humboldt für einen jungen Mann verwandt, der sich um
die Stelle eines Privatsecretärs bei einem Fürsten bewirbt. Der junge Mann
hätte, wie Varnhagen an Humboldt schreibt, gern den Weg über Berlin ge¬
nommen, „schon um Ew. Excellenz den innigsten Ausdruck seiner unbegrenzten
Dankbarkeit für so viel edles und menschenfreundliches Bemühn zu Füßen zu
legen!" —„Das dankbarste Gemüth erkennt dies mit innigster Durchdrungen-
heit! diesen seinen Empfindungen schließen die meinigen sich eifrigst an, in
diesem Falle wieder wie schon so oft in früheren Fällen! Mit heißesten Wün¬
schen in treuster Verehrung und Anhänglichkeit unwandelbar Ew. Excellenz
gehorsamster Varnhagen!" Mit denselben heißesten Wünschen, mit derselben
treusten Verehrung und Anhänglichkeit unterzeichnet Varnhagen unwandelbar
jeden Zettel; auch wenn weiter nichts darin steht, als daß der Schnupfen ihn
am Ausgehen hindert. So spricht man mit Humboldt! mit einem der ersten
unter Deutschlands wahren und echten Menschen — wie soll man denn an
einen kleinen Menschen schreiben, den man braucht! — Es ist wahr, der Ab¬
stand zwischen Humboldt und Varnhagen war sehr groß, aber der zwischen
Goethe und Eckermann war doch noch größer, und selbst dieser wendet nicht
so asiatische Formen an. Wir wenden uns zu einigen erfreulicheren Seiten
des Buchs. — Sehr schön spricht sich überall Humboldts Liebe für seinen
Bruder Wilhelm aus, obgleich wieder die Aengstlichkeit Bedenken erregt, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/430>, abgerufen am 14.05.2024.