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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Die Lage des preußischen Ministeriums.

Wir stehen vor einem Moment der Entscheidung, so ernster Natur, so
tief eingreifend und folgenschwer für unsere ganze Zukunft, daß jeder Preuße
und jeder Freund Preußens die moralische Verpflichtung hat, sich über diesen
Punkt eine Ueberzeugung zu bilden, und dieser Ueberzeugung, so gering auch
der Umfang sein mag, in dem man seine Stimme vernimmt, einen offenen
Ausdruck zu geben. Die Last einer furchtbar schweren Verantwortlichkeit fällt
zunächst auf die Abgeordneten, sie kann nur dadurch einigermaßen erleichtert
werden, daß sich das ganze Land an der Discussion betheiligt, zunächst natür¬
lich die Presse. Möge es uns gelingen, den ganzen Ernst, den die Sache er¬
fordert, mit den mancherlei Rücksichten zu verbinden, die uns die Umstände
auflegen.

Nicht der geringste Grund der Befriedigung bei der Bildung des neuen
Ministeriums war die Ernennung des General Bonin zum Kriegsminister.
Man hatte allgemein vorausgesetzt, daß die Regentschaft dem Militärwesen
eine besondere Aufmerksamkeit schenken würde, und war auch vollkommen da¬
mit einverstanden, da Preußen, um feinen großen Beruf in Deutschland durch¬
zuführen, vor allem einer schlagfertigen Armee bedarf. Es liegt in der Natur
der Sache, daß über die Befähigung rend politische Richtung der höhern Offi¬
ziere im Publicum am wenigsten bekannt ist, und eigentlich war nur der Name
des General Bonin dem Volk geläufig, der sich bei der Einrichtung der Schles-
wig-holsteinschcn Armee den Ruf eines bedeutenden organisatorischen Talents
erworben, und in seinem früheren, wenn auch, nur kurzen Ministerium Gelegen¬
heit gehabt, sich über seine politische Richtung entschieden auszusprechen und
damit zugleich seinen Charakter und seine Unabhängigkeit in ein glänzendes
Licht zu stellen. Die Uebertragung der Militärangelcgenheiten an diesen Mann
schien also eine Bürgschaft zu sein, daß die allgemein als nothwendig aner¬
kannte Reform im guten preußischen Sinn, in der praktischen Weise von 1310,
also auch mit Rücksicht aus die politischen und bürgerlichen Bedürfnisse des
gesammten Volks und nicht im Geist eines einseitigen Drill- und Parade¬
systems und im Interesse einer geschlossnen Kaste erfolgen werde.


Greiizboten I. 1LL0. 5ö
Die Lage des preußischen Ministeriums.

Wir stehen vor einem Moment der Entscheidung, so ernster Natur, so
tief eingreifend und folgenschwer für unsere ganze Zukunft, daß jeder Preuße
und jeder Freund Preußens die moralische Verpflichtung hat, sich über diesen
Punkt eine Ueberzeugung zu bilden, und dieser Ueberzeugung, so gering auch
der Umfang sein mag, in dem man seine Stimme vernimmt, einen offenen
Ausdruck zu geben. Die Last einer furchtbar schweren Verantwortlichkeit fällt
zunächst auf die Abgeordneten, sie kann nur dadurch einigermaßen erleichtert
werden, daß sich das ganze Land an der Discussion betheiligt, zunächst natür¬
lich die Presse. Möge es uns gelingen, den ganzen Ernst, den die Sache er¬
fordert, mit den mancherlei Rücksichten zu verbinden, die uns die Umstände
auflegen.

Nicht der geringste Grund der Befriedigung bei der Bildung des neuen
Ministeriums war die Ernennung des General Bonin zum Kriegsminister.
Man hatte allgemein vorausgesetzt, daß die Regentschaft dem Militärwesen
eine besondere Aufmerksamkeit schenken würde, und war auch vollkommen da¬
mit einverstanden, da Preußen, um feinen großen Beruf in Deutschland durch¬
zuführen, vor allem einer schlagfertigen Armee bedarf. Es liegt in der Natur
der Sache, daß über die Befähigung rend politische Richtung der höhern Offi¬
ziere im Publicum am wenigsten bekannt ist, und eigentlich war nur der Name
des General Bonin dem Volk geläufig, der sich bei der Einrichtung der Schles-
wig-holsteinschcn Armee den Ruf eines bedeutenden organisatorischen Talents
erworben, und in seinem früheren, wenn auch, nur kurzen Ministerium Gelegen¬
heit gehabt, sich über seine politische Richtung entschieden auszusprechen und
damit zugleich seinen Charakter und seine Unabhängigkeit in ein glänzendes
Licht zu stellen. Die Uebertragung der Militärangelcgenheiten an diesen Mann
schien also eine Bürgschaft zu sein, daß die allgemein als nothwendig aner¬
kannte Reform im guten preußischen Sinn, in der praktischen Weise von 1310,
also auch mit Rücksicht aus die politischen und bürgerlichen Bedürfnisse des
gesammten Volks und nicht im Geist eines einseitigen Drill- und Parade¬
systems und im Interesse einer geschlossnen Kaste erfolgen werde.


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[0453] Die Lage des preußischen Ministeriums. Wir stehen vor einem Moment der Entscheidung, so ernster Natur, so tief eingreifend und folgenschwer für unsere ganze Zukunft, daß jeder Preuße und jeder Freund Preußens die moralische Verpflichtung hat, sich über diesen Punkt eine Ueberzeugung zu bilden, und dieser Ueberzeugung, so gering auch der Umfang sein mag, in dem man seine Stimme vernimmt, einen offenen Ausdruck zu geben. Die Last einer furchtbar schweren Verantwortlichkeit fällt zunächst auf die Abgeordneten, sie kann nur dadurch einigermaßen erleichtert werden, daß sich das ganze Land an der Discussion betheiligt, zunächst natür¬ lich die Presse. Möge es uns gelingen, den ganzen Ernst, den die Sache er¬ fordert, mit den mancherlei Rücksichten zu verbinden, die uns die Umstände auflegen. Nicht der geringste Grund der Befriedigung bei der Bildung des neuen Ministeriums war die Ernennung des General Bonin zum Kriegsminister. Man hatte allgemein vorausgesetzt, daß die Regentschaft dem Militärwesen eine besondere Aufmerksamkeit schenken würde, und war auch vollkommen da¬ mit einverstanden, da Preußen, um feinen großen Beruf in Deutschland durch¬ zuführen, vor allem einer schlagfertigen Armee bedarf. Es liegt in der Natur der Sache, daß über die Befähigung rend politische Richtung der höhern Offi¬ ziere im Publicum am wenigsten bekannt ist, und eigentlich war nur der Name des General Bonin dem Volk geläufig, der sich bei der Einrichtung der Schles- wig-holsteinschcn Armee den Ruf eines bedeutenden organisatorischen Talents erworben, und in seinem früheren, wenn auch, nur kurzen Ministerium Gelegen¬ heit gehabt, sich über seine politische Richtung entschieden auszusprechen und damit zugleich seinen Charakter und seine Unabhängigkeit in ein glänzendes Licht zu stellen. Die Uebertragung der Militärangelcgenheiten an diesen Mann schien also eine Bürgschaft zu sein, daß die allgemein als nothwendig aner¬ kannte Reform im guten preußischen Sinn, in der praktischen Weise von 1310, also auch mit Rücksicht aus die politischen und bürgerlichen Bedürfnisse des gesammten Volks und nicht im Geist eines einseitigen Drill- und Parade¬ systems und im Interesse einer geschlossnen Kaste erfolgen werde. Greiizboten I. 1LL0. 5ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/453>, abgerufen am 29.04.2024.