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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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sich die Wunder seiner ersten Pflanzung erweisen lassen. Was Lessing zu
solcher Ergänzung seiner Einsichten gesagt haben möchte, weiß ich nicht; ich
meines Orts kann darin nur einen traurigen Beweis von den rohen materiellen
Vorstellungen unserer neuen Kirchenmünner" sehen. Offenbar nämlich stellen
sie sich das christliche Erlösungsprincip, "lüsterlich" und "lächerlich"- zugleich,
als eine Art Kuhpockenimpfung vor. Allerdings, wo ich an einem Menschen
Kuhpockenpusteln sehe, da kann ich sicher schließen, daß, mag auch auf ihn der
Stoff von einem andern Menschen, auf diesen wieder von einem andern u. s. s.
übergetragen sein, daß doch der erste Ausgangspunkt dieses Uebertragungs-
processcs eine wirkliche Kuh gewesen ist. Die vorfindliche Pustel wäre hier
das in der Gegenwart sich ereignende angebliche Wunder der Wiedergeburt;
die Kuh -- nein! wenn das die Weisheit unserer neuesten Theologie ist, so
halte ichs lieber noch mit dem alten Göze: und insoweit hätte mithin der
Verf. an dem Res. wenigstens den Zweck seines Buchs erreicht.


D. F. Strauß.


Die freie Presse in Tirol.

Di e Ur. 46 der Augsburger Allgemeinen
Zeitung brachte in einer Korrespondenz aus Wien folgende Stelle: "Es lockt
uns ein Lächeln ab, wenn wir in Blättern, denen die Anfeindung des Oest-
reicherthums zur süßen Gewohnheit geworden ist, bei jedem möglichen Anlaß
die Beschuldigung lesen: daß unsere Negierung die öffentliche Meinung falsche,
allen Zeitungen ihre "Söldlingsfedern" aufdränge, und keine Stimme im Land
als eine gouvermentale dulde." Wir zweifeln nicht, daß allen Verwarnungen
zum Trotz die wiener Presse sich freier ausdrückt als die in Tirol, wo noch
Philemon und Baucis den alten Göttern ihre Altäre bauen, und wie auf
einer seligen Oase dastehen in ihrer Kindeseinfalt. Da wir aber nicht die
Ansicht hegen, daß sich diese träumerische Idylle bis ins Unendliche fortspinnen '
soll, und in neuester Zeit kein Berg zu hoch für den Fortschritt ist, stimmen
wir ganz mit dem Wiener, welcher die Berechtigung auch noch anderer Stim¬
men anerkennt als jener, die aus den Wolken zu den Menschenkindern sprechen.
Anders scheint es aber von den Unsichtbaren beschlossen, die unsere Tannen-
und Fichtenhaine hüten. Hier nur ein paar Beispiele. Ein Artikel der Botzener
Zeitung gegen den höheren Orts so huldvoll aufgenommenen Entwurf des
tiroler Landesstatuts wurde abgesondert an die Vertrauensmänner des ver¬
stärkten ständischen Ausschusses versandt. Alsbald forderte man die Redaction ^
auf sich zu rechtfertigen, wie sie es wagen dürfte solcher Gestalt gegen den
Entwurf zu agitiren, und als sie jede Verantwortlichkeit von sich ablehnte,


sich die Wunder seiner ersten Pflanzung erweisen lassen. Was Lessing zu
solcher Ergänzung seiner Einsichten gesagt haben möchte, weiß ich nicht; ich
meines Orts kann darin nur einen traurigen Beweis von den rohen materiellen
Vorstellungen unserer neuen Kirchenmünner" sehen. Offenbar nämlich stellen
sie sich das christliche Erlösungsprincip, „lüsterlich" und „lächerlich"- zugleich,
als eine Art Kuhpockenimpfung vor. Allerdings, wo ich an einem Menschen
Kuhpockenpusteln sehe, da kann ich sicher schließen, daß, mag auch auf ihn der
Stoff von einem andern Menschen, auf diesen wieder von einem andern u. s. s.
übergetragen sein, daß doch der erste Ausgangspunkt dieses Uebertragungs-
processcs eine wirkliche Kuh gewesen ist. Die vorfindliche Pustel wäre hier
das in der Gegenwart sich ereignende angebliche Wunder der Wiedergeburt;
die Kuh — nein! wenn das die Weisheit unserer neuesten Theologie ist, so
halte ichs lieber noch mit dem alten Göze: und insoweit hätte mithin der
Verf. an dem Res. wenigstens den Zweck seines Buchs erreicht.


D. F. Strauß.


Die freie Presse in Tirol.

Di e Ur. 46 der Augsburger Allgemeinen
Zeitung brachte in einer Korrespondenz aus Wien folgende Stelle: „Es lockt
uns ein Lächeln ab, wenn wir in Blättern, denen die Anfeindung des Oest-
reicherthums zur süßen Gewohnheit geworden ist, bei jedem möglichen Anlaß
die Beschuldigung lesen: daß unsere Negierung die öffentliche Meinung falsche,
allen Zeitungen ihre „Söldlingsfedern" aufdränge, und keine Stimme im Land
als eine gouvermentale dulde." Wir zweifeln nicht, daß allen Verwarnungen
zum Trotz die wiener Presse sich freier ausdrückt als die in Tirol, wo noch
Philemon und Baucis den alten Göttern ihre Altäre bauen, und wie auf
einer seligen Oase dastehen in ihrer Kindeseinfalt. Da wir aber nicht die
Ansicht hegen, daß sich diese träumerische Idylle bis ins Unendliche fortspinnen '
soll, und in neuester Zeit kein Berg zu hoch für den Fortschritt ist, stimmen
wir ganz mit dem Wiener, welcher die Berechtigung auch noch anderer Stim¬
men anerkennt als jener, die aus den Wolken zu den Menschenkindern sprechen.
Anders scheint es aber von den Unsichtbaren beschlossen, die unsere Tannen-
und Fichtenhaine hüten. Hier nur ein paar Beispiele. Ein Artikel der Botzener
Zeitung gegen den höheren Orts so huldvoll aufgenommenen Entwurf des
tiroler Landesstatuts wurde abgesondert an die Vertrauensmänner des ver¬
stärkten ständischen Ausschusses versandt. Alsbald forderte man die Redaction ^
auf sich zu rechtfertigen, wie sie es wagen dürfte solcher Gestalt gegen den
Entwurf zu agitiren, und als sie jede Verantwortlichkeit von sich ablehnte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/467>, abgerufen am 28.04.2024.