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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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weil ein Dritter die Abdrücke bestellt und deren Versendung durch die Post
selbst besorgt hatte, drang man auf dessen Namhaftmachung. Wie man diesem
Schwärmer für die freie Presse wohl das Ungeeignete seines Vorgehens fühlen
lassen mag? Wir gestehen gerne' zu, daß unsere inländische Presse, die den
Märtyrcrschein des Liberalismus umnimmt, zu maßlos, kühn, ja fast aufreizend
ist. daß unsere Correspondenten in den ausländischen deutschen Journalen jede
Gelegenheit vom Zaune brechen unserer Regierung eins zu versetzen; nur ist
uns noch nicht klar geworden, warum man um jene zu Schulen und diese ver¬
stummen zu machen nach Mitteln greift, die dem rechtlichen Standpunkt ferne
liegen, der uns von der Wiener Zeitung nach Hübners Abtritt als eine neue
werthvolle Errungenschaft gepriesen wurde.

Auffällig dünkt uns überdies noch ferner, daß diese übergesetzliche
Strenge nur gegen jene Zeitungen und Scribenten geübt wird, die keinen ser¬
vilen Hinterhalt ahnen lassen, während jene, die der Negierung vorwerfen,
sie sei noch zu wenig reactionär und ultramontan, bei ihren Capucinaden
und jesuitischen Prophetenkünsten sich nie ohne Glück auf die Freiheit der
Presse berufen, gleichsam als bezeichneten sie das Ziel, das auf das innigste
zu wünschen. So ließ zur Zeit, da der Hof in Wien die Schillerfeier als
ein Symbol der deutschen Einheit beging, das "Innsbrucker Tageblatt" aus
Hinterdux einen Wehruf über den Götzendienst erschallen, womit man den
Protestantismus in Tirol einschmuggeln wolle. Auch unsre Zionswächter, die
"katholischen Blätter aus Tirol" erhoben ein bitteres Klaglied, daß in der
Octave des allerseitigem Festes die Feier des Andenkens an jenen Schiller ge¬
duldet werde, der "bekanntlich an die Offenbarung nicht glaubte"; katholische
echtgläubige Gemüther könnten sich seiner schon deshalb nicht freuen, "weil
sie für sein ewiges Heil besorgt sein müßten." Unsre Jesuiten an der hiesi¬
gen Hochschule wagten es zwar nicht, offen gegen den zu seinen Ehren ver¬
anstalteten Fackelzug auszutreten, doch riethen sie den Studenten den schwarz-
rothgoldenen Schmuck von ihrer Fahne abzunehmen, der ja daran erinnert
hätte, daß das Fest ein deutsches sei; den Gymnasialschülern in Botzen wurde
von ihren Lehrern, den dortigen Franciskanern, der Besuch der Vorstellung
des "Wilhelm Tell" im Theater verboten, und eine hochgestellte Persönlichkeit
äußerte unverholen, daß sie in der Schillerseier nur den verdammlicher
Cultus der Creatur oder den Deckmantel revolutionärer Gelüste erblicken könne.
Genug, den Organen der Jesuiten in Tirol war es erlaubt das Volk gegen
ein Fest aufzuhetzen, dessen "Heiliger" in der Hölle bratet, und der Regierung,
die es aus großdeutscher Politik förderte, heimliche Absichten in die Schuhe zu
schieben, während in Wien selbst der weltkluge Cardinalerzbischof, ein zwei¬
ter Sokrates, dem Arzte der Zeit seinen Hahn opferte, und dem gutmüthi¬
gen Volke erlaubt war, acht Tage lang von der Polizei vorerst durchgesehene


weil ein Dritter die Abdrücke bestellt und deren Versendung durch die Post
selbst besorgt hatte, drang man auf dessen Namhaftmachung. Wie man diesem
Schwärmer für die freie Presse wohl das Ungeeignete seines Vorgehens fühlen
lassen mag? Wir gestehen gerne' zu, daß unsere inländische Presse, die den
Märtyrcrschein des Liberalismus umnimmt, zu maßlos, kühn, ja fast aufreizend
ist. daß unsere Correspondenten in den ausländischen deutschen Journalen jede
Gelegenheit vom Zaune brechen unserer Regierung eins zu versetzen; nur ist
uns noch nicht klar geworden, warum man um jene zu Schulen und diese ver¬
stummen zu machen nach Mitteln greift, die dem rechtlichen Standpunkt ferne
liegen, der uns von der Wiener Zeitung nach Hübners Abtritt als eine neue
werthvolle Errungenschaft gepriesen wurde.

Auffällig dünkt uns überdies noch ferner, daß diese übergesetzliche
Strenge nur gegen jene Zeitungen und Scribenten geübt wird, die keinen ser¬
vilen Hinterhalt ahnen lassen, während jene, die der Negierung vorwerfen,
sie sei noch zu wenig reactionär und ultramontan, bei ihren Capucinaden
und jesuitischen Prophetenkünsten sich nie ohne Glück auf die Freiheit der
Presse berufen, gleichsam als bezeichneten sie das Ziel, das auf das innigste
zu wünschen. So ließ zur Zeit, da der Hof in Wien die Schillerfeier als
ein Symbol der deutschen Einheit beging, das „Innsbrucker Tageblatt" aus
Hinterdux einen Wehruf über den Götzendienst erschallen, womit man den
Protestantismus in Tirol einschmuggeln wolle. Auch unsre Zionswächter, die
„katholischen Blätter aus Tirol" erhoben ein bitteres Klaglied, daß in der
Octave des allerseitigem Festes die Feier des Andenkens an jenen Schiller ge¬
duldet werde, der „bekanntlich an die Offenbarung nicht glaubte"; katholische
echtgläubige Gemüther könnten sich seiner schon deshalb nicht freuen, „weil
sie für sein ewiges Heil besorgt sein müßten." Unsre Jesuiten an der hiesi¬
gen Hochschule wagten es zwar nicht, offen gegen den zu seinen Ehren ver¬
anstalteten Fackelzug auszutreten, doch riethen sie den Studenten den schwarz-
rothgoldenen Schmuck von ihrer Fahne abzunehmen, der ja daran erinnert
hätte, daß das Fest ein deutsches sei; den Gymnasialschülern in Botzen wurde
von ihren Lehrern, den dortigen Franciskanern, der Besuch der Vorstellung
des „Wilhelm Tell" im Theater verboten, und eine hochgestellte Persönlichkeit
äußerte unverholen, daß sie in der Schillerseier nur den verdammlicher
Cultus der Creatur oder den Deckmantel revolutionärer Gelüste erblicken könne.
Genug, den Organen der Jesuiten in Tirol war es erlaubt das Volk gegen
ein Fest aufzuhetzen, dessen „Heiliger" in der Hölle bratet, und der Regierung,
die es aus großdeutscher Politik förderte, heimliche Absichten in die Schuhe zu
schieben, während in Wien selbst der weltkluge Cardinalerzbischof, ein zwei¬
ter Sokrates, dem Arzte der Zeit seinen Hahn opferte, und dem gutmüthi¬
gen Volke erlaubt war, acht Tage lang von der Polizei vorerst durchgesehene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/468>, abgerufen am 14.05.2024.