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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ten, daß wir sie nicht zu Gesicht bekommen haben. Dieser dünne Foliant
und dicke Oktav-Band sehen sehr armselig aus neben den stattlichen Bänden
von Albertus Magnus oder gar neben der Prachtausgabe von Pincent v.
Beauvais, die auf schneeweißem Pergament gedruckt und in Gold und Sammt
gebunden ist. Die Engländer sollten weniger die Verdienste von Roger Ba-
con übertreiben und statt dessen ihm nicht die wohl verdiente Ehre einer Ge-
sammtausgabe vorenthalten. Jetzt ist eine Gelegenheit dazu, die. wenn sie
versäumt wird, wahrscheinlich nicht so bald wieder kommt.


G. Bergenroth.


Reuchlin's Geschichte Italiens.
l.

Die Staatengeschichte der neuesten Zeit", welche mit Rochaus
Frankreich einen Koffnungsvollen Anfang nahm, hat in dem obige" Werke eine
würdige Fortsetzung erfahren. In der That war wol kaum jemand in Deutsch¬
land so geeignet, die Geschichte Italiens zu schreiben, als^ Reuchlin. der ihr
ein langjähriges und liebevolles Studium gewidmet hat und Land und Leute
aus eigner Anschauung gründlich kennt. Andrerseits muß uns Deutschen vor¬
zugsweise am Herzen liegen. Italien kennen zu lernen, denn seine nationale
Wiedergeburt hängt mit der unsres Vaterlandes eng zusammen. Und dies ist
ein leitender Gedanke für unsern Verfasser. Er schreibt Geschichte nicht als
Gelehrter, sondern zum Verständniß der Gegenwart; in seinem lebhaften Stile,
der oft die subjective Seite etwas stark hervortreten läßt und drastische Epi¬
theta liebt, spiegelt sich das Interesse mit dem sein Stoff ihn erfüllt. Deutschland
und Italien, die beiden europäischen Centralländer sollen zur Einheit gelangen,
um den übermächtigen Flankenstaaten Rußland und Frankreich widerstehen zu
können. Mag Sardinien genöthigt gewesen sein, gegen die Fremdherrschaft Na¬
poleon zu Hilfe zu rufen, eine dauernde Allianz wird zwischen Italien und Frank¬
reich nicht bestehen können, denn das Interesse Frankreichs hat stets die Ein¬
heit Italiens zu hindern gesucht, die Interessen Deutschlands und Italiens
widersprechen sich aber nicht, sie sind berufen, Träger der Cultur der Neuzeit zu
sein und auf ein enges Bündniß angewiesen.


Grenzboten III. 1860. 13

ten, daß wir sie nicht zu Gesicht bekommen haben. Dieser dünne Foliant
und dicke Oktav-Band sehen sehr armselig aus neben den stattlichen Bänden
von Albertus Magnus oder gar neben der Prachtausgabe von Pincent v.
Beauvais, die auf schneeweißem Pergament gedruckt und in Gold und Sammt
gebunden ist. Die Engländer sollten weniger die Verdienste von Roger Ba-
con übertreiben und statt dessen ihm nicht die wohl verdiente Ehre einer Ge-
sammtausgabe vorenthalten. Jetzt ist eine Gelegenheit dazu, die. wenn sie
versäumt wird, wahrscheinlich nicht so bald wieder kommt.


G. Bergenroth.


Reuchlin's Geschichte Italiens.
l.

Die Staatengeschichte der neuesten Zeit", welche mit Rochaus
Frankreich einen Koffnungsvollen Anfang nahm, hat in dem obige» Werke eine
würdige Fortsetzung erfahren. In der That war wol kaum jemand in Deutsch¬
land so geeignet, die Geschichte Italiens zu schreiben, als^ Reuchlin. der ihr
ein langjähriges und liebevolles Studium gewidmet hat und Land und Leute
aus eigner Anschauung gründlich kennt. Andrerseits muß uns Deutschen vor¬
zugsweise am Herzen liegen. Italien kennen zu lernen, denn seine nationale
Wiedergeburt hängt mit der unsres Vaterlandes eng zusammen. Und dies ist
ein leitender Gedanke für unsern Verfasser. Er schreibt Geschichte nicht als
Gelehrter, sondern zum Verständniß der Gegenwart; in seinem lebhaften Stile,
der oft die subjective Seite etwas stark hervortreten läßt und drastische Epi¬
theta liebt, spiegelt sich das Interesse mit dem sein Stoff ihn erfüllt. Deutschland
und Italien, die beiden europäischen Centralländer sollen zur Einheit gelangen,
um den übermächtigen Flankenstaaten Rußland und Frankreich widerstehen zu
können. Mag Sardinien genöthigt gewesen sein, gegen die Fremdherrschaft Na¬
poleon zu Hilfe zu rufen, eine dauernde Allianz wird zwischen Italien und Frank¬
reich nicht bestehen können, denn das Interesse Frankreichs hat stets die Ein¬
heit Italiens zu hindern gesucht, die Interessen Deutschlands und Italiens
widersprechen sich aber nicht, sie sind berufen, Träger der Cultur der Neuzeit zu
sein und auf ein enges Bündniß angewiesen.


Grenzboten III. 1860. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/109>, abgerufen am 01.05.2024.