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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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zufällig während der Woche des Frohnleichnamsestes in Sevilla befinden
sollte, so empfehlen wir ihm, des Abends in die Kathedrale zu gehen, wo,
wie Schreiber dieses es mehr als ein Mal gesehen, ein Ballet im spanischen
Nationalcostüm vor dein Hochaltar aufgeführt wird. Der Eindruck ist
keineswegs frivol. Dante war der unübertroffene scholastische Dichter, Er¬
win von Steinbach und andere Meister bauten die Kirchen und Klöster, auf
die wir mit so viel Stolz und Bewunderung Hinblicken. Malerei und Bild¬
hauerkunst entwickelten sich zuletzt zu einer Blüthe, die seitdem nicht erreicht
ist. Der Proceß, den wir bei Albertus und Bacon beobachtet, entwickelte
sich aber nicht nur in einzelnen Individuen, sondern in der Scholastik im
Ganzen und Großen, Wissenschaft und Kunst zehrte cillmälig, wenn auch
nicht Religion, so doch jeden Kirchenglauben auf. Der Süden mochte sich damit
befreunden. Julius der Zweite und Leo der Zehnte waren gewrß in Italien
darum nicht minder geachtet, weil sie Michel Angelo und Raphael beschäftigten.
Die Auffassung des Volkes im germcnnschen Norden war aber verschieden.
Skelton, der kurz vor der Reformation schrieb, drückte gewiß nur die allge¬
meine Meinung aus, wenn er in den Gemälden nichts als freche Heiden sah,
die, Männer und Weiber, die Unverschämtheit hätten, nackt in die Klöster und
gelegentlich in die Kirchen zu kommen und da auf "Elephanten, Tigern und
andern Bestien herumzureiten." Die rcfonnatonsche Reaction mit ihren Pu¬
ritanern, Calvinisten und Bilderstürmern trat ein. Sie hat, von dieser Seite
aus gesehen, einen religiös-conservativen Charakter.

Noch einige Worte über den Herausgeber. Er ist seiner Aufgabe voll¬
kommen gewachsen. Wir weichen freilich in vielen Beziehungen von seinen
Ansichten über Bacon ab. Das ist natürlich. Er ist der Freund Bacons,
der ihn in die Welt einführt. Es ist nicht an ihm, aus die Schwächen dessel¬
ben aufmerksam zu machen. Unser Amt ist dagegen das eines Richters, der
sich durch keine Freundschaft bestechen lassen darf. Was den Text betrifft,
so hat Dr. Bremer mit der größesten Gewissenhaftigkeit gearbeitet. Der
Band ist als Vol. 1 bezeichnet. Dessen ungeachtet hören wir, daß die Fort¬
setzung zweifelhaft ist. Da die Herausgabe aus Staatskosten geschieht, so
hat der Ncrster ok elf Rolls darüber zu entscheiden. Wir möchten ihn fra¬
gen, welchen andern noch ungedruckten englischen Schriftsteller des Mittelal¬
ters er für wichtiger hält? Die Engländer wissen selbst des übertriebensten
Lobes von Roger Bacon kein Ende. Dessen ungeachtet sind mit Aus¬
nahme einiger kleinerer Schriften in England bisher nur zwei Bände
von Roger Bacon erschienen. Der erste ist ein dünner Foliant, der vor
etwa 130 Jahren von Dr. Jebb herausgegeben wurde und das Opus
Majus, jedoch unvollständig enthält. Der zweite ist der uns jetzt vorliegende
dicke Oktav-Band. Die venetianische Ausgabe des Opus Majus ist so sel-


zufällig während der Woche des Frohnleichnamsestes in Sevilla befinden
sollte, so empfehlen wir ihm, des Abends in die Kathedrale zu gehen, wo,
wie Schreiber dieses es mehr als ein Mal gesehen, ein Ballet im spanischen
Nationalcostüm vor dein Hochaltar aufgeführt wird. Der Eindruck ist
keineswegs frivol. Dante war der unübertroffene scholastische Dichter, Er¬
win von Steinbach und andere Meister bauten die Kirchen und Klöster, auf
die wir mit so viel Stolz und Bewunderung Hinblicken. Malerei und Bild¬
hauerkunst entwickelten sich zuletzt zu einer Blüthe, die seitdem nicht erreicht
ist. Der Proceß, den wir bei Albertus und Bacon beobachtet, entwickelte
sich aber nicht nur in einzelnen Individuen, sondern in der Scholastik im
Ganzen und Großen, Wissenschaft und Kunst zehrte cillmälig, wenn auch
nicht Religion, so doch jeden Kirchenglauben auf. Der Süden mochte sich damit
befreunden. Julius der Zweite und Leo der Zehnte waren gewrß in Italien
darum nicht minder geachtet, weil sie Michel Angelo und Raphael beschäftigten.
Die Auffassung des Volkes im germcnnschen Norden war aber verschieden.
Skelton, der kurz vor der Reformation schrieb, drückte gewiß nur die allge¬
meine Meinung aus, wenn er in den Gemälden nichts als freche Heiden sah,
die, Männer und Weiber, die Unverschämtheit hätten, nackt in die Klöster und
gelegentlich in die Kirchen zu kommen und da auf „Elephanten, Tigern und
andern Bestien herumzureiten." Die rcfonnatonsche Reaction mit ihren Pu¬
ritanern, Calvinisten und Bilderstürmern trat ein. Sie hat, von dieser Seite
aus gesehen, einen religiös-conservativen Charakter.

Noch einige Worte über den Herausgeber. Er ist seiner Aufgabe voll¬
kommen gewachsen. Wir weichen freilich in vielen Beziehungen von seinen
Ansichten über Bacon ab. Das ist natürlich. Er ist der Freund Bacons,
der ihn in die Welt einführt. Es ist nicht an ihm, aus die Schwächen dessel¬
ben aufmerksam zu machen. Unser Amt ist dagegen das eines Richters, der
sich durch keine Freundschaft bestechen lassen darf. Was den Text betrifft,
so hat Dr. Bremer mit der größesten Gewissenhaftigkeit gearbeitet. Der
Band ist als Vol. 1 bezeichnet. Dessen ungeachtet hören wir, daß die Fort¬
setzung zweifelhaft ist. Da die Herausgabe aus Staatskosten geschieht, so
hat der Ncrster ok elf Rolls darüber zu entscheiden. Wir möchten ihn fra¬
gen, welchen andern noch ungedruckten englischen Schriftsteller des Mittelal¬
ters er für wichtiger hält? Die Engländer wissen selbst des übertriebensten
Lobes von Roger Bacon kein Ende. Dessen ungeachtet sind mit Aus¬
nahme einiger kleinerer Schriften in England bisher nur zwei Bände
von Roger Bacon erschienen. Der erste ist ein dünner Foliant, der vor
etwa 130 Jahren von Dr. Jebb herausgegeben wurde und das Opus
Majus, jedoch unvollständig enthält. Der zweite ist der uns jetzt vorliegende
dicke Oktav-Band. Die venetianische Ausgabe des Opus Majus ist so sel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/108>, abgerufen am 21.05.2024.