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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Baden und Teplitz.

Die Katastrophe, auf die wir im vorigen Heft hinwiesen, scheint schneller
zu kommen, als wir selber erwartet haben: Oestreich, das noch vor Kurzem
durch den Mund seines ersten Ministers erklärte, es wolle eher seinen Besitz
aufgeben als seine Grundsätze, das noch vor kaum einem Monat Preußens
gerechtfertigtste Ansprüche mit kaltem Stolz zurückgewiesen, Oestreich führt eine
Constitution ein und wendet sich um Hilfe nach Preußen. Wenn so uner¬
hörte Dinge vorgehn, muß die Gefahr nahe vor der Thür stehn, ja sie muß
schon angeklopft haben und stark angeklopft; denn Oestreich hat sonst kein
leises Gehör.

Man glaube nicht, daß wir scherzen, wenn wir von einer Constitution
sprechen. Zwar scheinen die Oestreicher selber auf das kaiserliche Handschreiben,
welches dem verstärkten Reichsrath verkündigt, daß fortan ohne seine Be¬
willigung keine Schulden contrahirt und keine neuen Steuern aufgelegt wer¬
den dürfen, nicht viel zu geben; die Sache sieht ihnen zu wunderlich aus,
wie ein zufälliger plötzlicher Entschluß, der eben so gut wieder zurückgenommen
werden kann; und außerdem scheint ihnen der vom Kaiser einberufene Reichs¬
tag am wenigsten competent, Steuern und Subsidien zu Votiren. Aber darin
liegt eben das Bedeutende der Sache. Zurücknehmen läßt sich ein solcher Be¬
schluß nicht leicht, in Fällen, wo man Geld braucht, sehr viel Geld, und wo
die Geldmänner, bei denen man etwa Hilfe suchen wollte, durch eben dieses
kaiserliche Handschreiben in Gefahr gesetzt sind, jede ohne Bewilligung des
Reichsraths abgeschlossene Anleihe als ungiltig verworfen zu sehn. Und so
weit sind die Geldmänner doch in die Geheimnisse der Finanzkunst eingeweiht,
daß sie voraus sehn, Oestreich werde mit beiden Händen zugreifen, sobald es
irgend einen Rechtstitel gibt, empfangene Anleihen als gesetzlich nicht em¬
pfangen zu constatiren. Jenes kaiserliche Handschreiben ist also für jedes neue
Anleiheproject ein starker Hemmschuh, es ist es um so mehr, da die Ent¬
hüllungen des letzten Jahres alle Welt den höhern östreichischen Beamten
gegenüber vorsichtiger gemacht haben.

Aber, wird man sagen, der Reichsrath wird unbesehen jede beliebige An¬
leihe und jede beliebige Steuer bewilligen, die man ihm vorlegt. Dem ist
nicht so. Sobald der ernsthafte Augenblick eintritt, wird der Reichsrath weder
bewilligen noch abschlagen, weil er beides nicht kann: er wird sich einfach für
incompetent erklären und die Einberufung von Reichsständen verlangen. Die


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Baden und Teplitz.

Die Katastrophe, auf die wir im vorigen Heft hinwiesen, scheint schneller
zu kommen, als wir selber erwartet haben: Oestreich, das noch vor Kurzem
durch den Mund seines ersten Ministers erklärte, es wolle eher seinen Besitz
aufgeben als seine Grundsätze, das noch vor kaum einem Monat Preußens
gerechtfertigtste Ansprüche mit kaltem Stolz zurückgewiesen, Oestreich führt eine
Constitution ein und wendet sich um Hilfe nach Preußen. Wenn so uner¬
hörte Dinge vorgehn, muß die Gefahr nahe vor der Thür stehn, ja sie muß
schon angeklopft haben und stark angeklopft; denn Oestreich hat sonst kein
leises Gehör.

Man glaube nicht, daß wir scherzen, wenn wir von einer Constitution
sprechen. Zwar scheinen die Oestreicher selber auf das kaiserliche Handschreiben,
welches dem verstärkten Reichsrath verkündigt, daß fortan ohne seine Be¬
willigung keine Schulden contrahirt und keine neuen Steuern aufgelegt wer¬
den dürfen, nicht viel zu geben; die Sache sieht ihnen zu wunderlich aus,
wie ein zufälliger plötzlicher Entschluß, der eben so gut wieder zurückgenommen
werden kann; und außerdem scheint ihnen der vom Kaiser einberufene Reichs¬
tag am wenigsten competent, Steuern und Subsidien zu Votiren. Aber darin
liegt eben das Bedeutende der Sache. Zurücknehmen läßt sich ein solcher Be¬
schluß nicht leicht, in Fällen, wo man Geld braucht, sehr viel Geld, und wo
die Geldmänner, bei denen man etwa Hilfe suchen wollte, durch eben dieses
kaiserliche Handschreiben in Gefahr gesetzt sind, jede ohne Bewilligung des
Reichsraths abgeschlossene Anleihe als ungiltig verworfen zu sehn. Und so
weit sind die Geldmänner doch in die Geheimnisse der Finanzkunst eingeweiht,
daß sie voraus sehn, Oestreich werde mit beiden Händen zugreifen, sobald es
irgend einen Rechtstitel gibt, empfangene Anleihen als gesetzlich nicht em¬
pfangen zu constatiren. Jenes kaiserliche Handschreiben ist also für jedes neue
Anleiheproject ein starker Hemmschuh, es ist es um so mehr, da die Ent¬
hüllungen des letzten Jahres alle Welt den höhern östreichischen Beamten
gegenüber vorsichtiger gemacht haben.

Aber, wird man sagen, der Reichsrath wird unbesehen jede beliebige An¬
leihe und jede beliebige Steuer bewilligen, die man ihm vorlegt. Dem ist
nicht so. Sobald der ernsthafte Augenblick eintritt, wird der Reichsrath weder
bewilligen noch abschlagen, weil er beides nicht kann: er wird sich einfach für
incompetent erklären und die Einberufung von Reichsständen verlangen. Die


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[0207] Baden und Teplitz. Die Katastrophe, auf die wir im vorigen Heft hinwiesen, scheint schneller zu kommen, als wir selber erwartet haben: Oestreich, das noch vor Kurzem durch den Mund seines ersten Ministers erklärte, es wolle eher seinen Besitz aufgeben als seine Grundsätze, das noch vor kaum einem Monat Preußens gerechtfertigtste Ansprüche mit kaltem Stolz zurückgewiesen, Oestreich führt eine Constitution ein und wendet sich um Hilfe nach Preußen. Wenn so uner¬ hörte Dinge vorgehn, muß die Gefahr nahe vor der Thür stehn, ja sie muß schon angeklopft haben und stark angeklopft; denn Oestreich hat sonst kein leises Gehör. Man glaube nicht, daß wir scherzen, wenn wir von einer Constitution sprechen. Zwar scheinen die Oestreicher selber auf das kaiserliche Handschreiben, welches dem verstärkten Reichsrath verkündigt, daß fortan ohne seine Be¬ willigung keine Schulden contrahirt und keine neuen Steuern aufgelegt wer¬ den dürfen, nicht viel zu geben; die Sache sieht ihnen zu wunderlich aus, wie ein zufälliger plötzlicher Entschluß, der eben so gut wieder zurückgenommen werden kann; und außerdem scheint ihnen der vom Kaiser einberufene Reichs¬ tag am wenigsten competent, Steuern und Subsidien zu Votiren. Aber darin liegt eben das Bedeutende der Sache. Zurücknehmen läßt sich ein solcher Be¬ schluß nicht leicht, in Fällen, wo man Geld braucht, sehr viel Geld, und wo die Geldmänner, bei denen man etwa Hilfe suchen wollte, durch eben dieses kaiserliche Handschreiben in Gefahr gesetzt sind, jede ohne Bewilligung des Reichsraths abgeschlossene Anleihe als ungiltig verworfen zu sehn. Und so weit sind die Geldmänner doch in die Geheimnisse der Finanzkunst eingeweiht, daß sie voraus sehn, Oestreich werde mit beiden Händen zugreifen, sobald es irgend einen Rechtstitel gibt, empfangene Anleihen als gesetzlich nicht em¬ pfangen zu constatiren. Jenes kaiserliche Handschreiben ist also für jedes neue Anleiheproject ein starker Hemmschuh, es ist es um so mehr, da die Ent¬ hüllungen des letzten Jahres alle Welt den höhern östreichischen Beamten gegenüber vorsichtiger gemacht haben. Aber, wird man sagen, der Reichsrath wird unbesehen jede beliebige An¬ leihe und jede beliebige Steuer bewilligen, die man ihm vorlegt. Dem ist nicht so. Sobald der ernsthafte Augenblick eintritt, wird der Reichsrath weder bewilligen noch abschlagen, weil er beides nicht kann: er wird sich einfach für incompetent erklären und die Einberufung von Reichsständen verlangen. Die 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/207>, abgerufen am 01.05.2024.