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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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leiseste Zeichen an, daß man maßgebenden Ortes gewillt sei, dem lauten
Wunsche des östreichischen Volkes, den Bedürfnissen der Zeit, dem Drucke der
Geldnoth irgend ein namhaftes Zugeständniß zu machen, auch nur ein Jota
der Souveränetätsrechte aufzugeben"). Selbst das Andenken an die Constitution
möchte man vermeiden, so zwar, daß ein Mitglied des Kaiserhauses, als es
in einem Kloster Tirols noch ein Bild Sr. Majestät mit der Unterschrift: "Kon¬
stitutioneller Kaiser von Oestreich" antraf, es aus dem Rahmen heben ließ und
mit sich nahm. Wie wenig man den Bütgerstand werth hält, zeigen die be¬
kannten Beispiele bei Bällen und Festen, wie letzthin bei der Enthüllung des
Karldenkmals. Politische Rechte weiden uns erst dann gewährt, wenn man
nicht mehr anders kann, mit entschiedenem Unwillen und in der Hoffnung,
daß sich die Zeiten ändern.

Dies die Sachlage. Wir betrachten es als keinen Verlust, wenn der Rest
der Lombardei und Venetien von Oestreich getrennt werden, sie sind selbst mit
fremder Beihilfe nicht mehr zu halten, der Boden erglüht unter den Kämpfen¬
den. Die Unmöglichkeit freier Institutionen für Oberitalien diente schon lange
genug der Reaction zur Stütze, die Gewinnung des dortigen Klerus den Je¬
suiten zur Vorbereitung, die Sendlinge Roms gaben sich als Lenker und Hüter
des Volkes. Vielleicht würden sich unsre Staatsmänner nach der von
ihnen nicht unverschuldeten Einbuße zweier reichen Provinzen auch eher der
Ueberzeugung hingeben, daß nur von einem aufrichtigen, warmen und festen
Anschluß an das Volk noch Rettung zu hoffen. Die Leute, die tagtäglich mit
Hintansetzung alles innern Zwistes, alles Jammers über unsre Zustände die
Erhebung für unser Baterland predigen, wie etwa die Augsburger Allgemeine,
vergessen, daß wir kein Gut besitzen, das des Kampfes werth wäre, daß ihn
nur eine Rückkehr des Jahres 1815, eine Wiederaufnahme der karlsbader Be¬
schlüsse, wo nicht Schlimmeres lohnen würde, sie vergessen, daß Preußen und
das Volk aller deutschen Mittelstädten nur dann Vertrauen zu Oestreich fassen
können, wenn seine Verpflichtungen durch das Volk gewährleistet sind. Und
wenn wirklich das Unerträgliche über uus hereinbräche, wenn der schlaue Rechner
an der Seine uns in seine Fesseln schlüge, auch dann wäre Deutschland noch
nicht verloren, den fremden Druck würde es mit uralter Kraft brechen, es
würde aber dann, so hoffen wir, nicht für den bloßen Wechsel der Knechtschaft,
sondern für die Freiheit fechten.





*) Seitdem ist bekanntlich die Bewilligung der Steuer" und Anleihen in die Hände des
D. Red. verstärkten Reichsraths gelegt.

leiseste Zeichen an, daß man maßgebenden Ortes gewillt sei, dem lauten
Wunsche des östreichischen Volkes, den Bedürfnissen der Zeit, dem Drucke der
Geldnoth irgend ein namhaftes Zugeständniß zu machen, auch nur ein Jota
der Souveränetätsrechte aufzugeben"). Selbst das Andenken an die Constitution
möchte man vermeiden, so zwar, daß ein Mitglied des Kaiserhauses, als es
in einem Kloster Tirols noch ein Bild Sr. Majestät mit der Unterschrift: „Kon¬
stitutioneller Kaiser von Oestreich" antraf, es aus dem Rahmen heben ließ und
mit sich nahm. Wie wenig man den Bütgerstand werth hält, zeigen die be¬
kannten Beispiele bei Bällen und Festen, wie letzthin bei der Enthüllung des
Karldenkmals. Politische Rechte weiden uns erst dann gewährt, wenn man
nicht mehr anders kann, mit entschiedenem Unwillen und in der Hoffnung,
daß sich die Zeiten ändern.

Dies die Sachlage. Wir betrachten es als keinen Verlust, wenn der Rest
der Lombardei und Venetien von Oestreich getrennt werden, sie sind selbst mit
fremder Beihilfe nicht mehr zu halten, der Boden erglüht unter den Kämpfen¬
den. Die Unmöglichkeit freier Institutionen für Oberitalien diente schon lange
genug der Reaction zur Stütze, die Gewinnung des dortigen Klerus den Je¬
suiten zur Vorbereitung, die Sendlinge Roms gaben sich als Lenker und Hüter
des Volkes. Vielleicht würden sich unsre Staatsmänner nach der von
ihnen nicht unverschuldeten Einbuße zweier reichen Provinzen auch eher der
Ueberzeugung hingeben, daß nur von einem aufrichtigen, warmen und festen
Anschluß an das Volk noch Rettung zu hoffen. Die Leute, die tagtäglich mit
Hintansetzung alles innern Zwistes, alles Jammers über unsre Zustände die
Erhebung für unser Baterland predigen, wie etwa die Augsburger Allgemeine,
vergessen, daß wir kein Gut besitzen, das des Kampfes werth wäre, daß ihn
nur eine Rückkehr des Jahres 1815, eine Wiederaufnahme der karlsbader Be¬
schlüsse, wo nicht Schlimmeres lohnen würde, sie vergessen, daß Preußen und
das Volk aller deutschen Mittelstädten nur dann Vertrauen zu Oestreich fassen
können, wenn seine Verpflichtungen durch das Volk gewährleistet sind. Und
wenn wirklich das Unerträgliche über uus hereinbräche, wenn der schlaue Rechner
an der Seine uns in seine Fesseln schlüge, auch dann wäre Deutschland noch
nicht verloren, den fremden Druck würde es mit uralter Kraft brechen, es
würde aber dann, so hoffen wir, nicht für den bloßen Wechsel der Knechtschaft,
sondern für die Freiheit fechten.





*) Seitdem ist bekanntlich die Bewilligung der Steuer» und Anleihen in die Hände des
D. Red. verstärkten Reichsraths gelegt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/206>, abgerufen am 21.05.2024.