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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Zur Charakteristik der Schotten.

Unter dem Titel "eine Frühlingsfahrt nach Edinburg" ist von K. Elze
(Dessau, im Verlag der Ane'schen Buchhandlung) eine kleine Schrift erschienen,
die ein recht ansprechendes Bild vom Leben der Hauptstadt Schottlands und
der Südschotten überhaupt gibt, und der wir die folgenden Mittheilungen
über die Eigenthümlichkeiten des dortigen Volkes entnehmen. Die Schotten
erscheinen dem Ausland gegenüber noch mehr als die Irländer als Theil der
englischen Nation, und nicht mit Unrecht, da sie die Grundlagen, auf denen
jedes Volksthum beruht, Sprache, Literatur, Religion und bürgerliche Ver¬
fassung, mit dieser gemein haben. Indeß ergeben sich bei näherer Betrach¬
tung doch nicht unwesentliche Verschiedenheiten. Zunächst sind die Mischungs¬
verhältnisse beider Nationalitäten andere, indem in Schottland das norman¬
nische Element in dem Maße zurücktritt, in welchem das celtische in den Vor¬
dergrund gerückt ist, und indem andrerseits England seinen germanischen Be¬
standtheilen nach vorwiegend sächsisch, Schottland vorwiegend skandinavisch ist.
Dann hat der schottische Patriotismus in Folge der Geschichte des Landes schon
den Charakter der Streitbarkeit angenommen, der Spott der Engländer über die
Eigenthümlichkeiten der Schotten hat sie stolz aus dieselben gemacht und sie veran¬
laßt, sie schärfer zu betonen. England findet die Begeisterung der Schotten für ihre
Gebirgsseen und Moore, für ihr modernes "Athen" -- Edinburg -- für ihre natio¬
nalen Erinnerungen, die celtische Tracht und die unaussprechlichen celtischen Namen,
ihren Puritanismus und ihre Küche lächerlich. Es zieht die Schotten mit
ihrer Rechthaberei, ihrer Sparsamkeit, ihrer Pfiffigkeit und ihrem Geschick, in
der Fremde Glück zu machen auf, und doch bilden grade diese Eigenschaften,
auf ihr rechtes Maß zurückgeführt, den edelsten Theil des schottischen Volks¬
charakters. Der Reisende wird in Schottland fast nie angebettelt. Mit dem
Fleiß des Volkes stehen Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in natürlicher Verbin¬
dung. Und wenn es wahr ist, daß im Wesen des Schotten eine große Nüch¬
ternheit und Kälte liegt, sodaß man sich nach Jahren noch fremd im Lande
fühlt, so zeichnen sie sich dafür durch reine Sitte und taktvollen Anstand aus.

Um die Schotten in ihrer Häuslichkeit und Geselligkeit kennen zu lernen,
lassen wir uns nun mit des Verfassers eignen Worten die Reste ihrer Volks-
thümlichkeit oder richtiger ihre Provinzialismen vorführen; dieselben bestehen zu¬
nächst in der Tracht. Die eigentliche celtische oder hochländische Tracht ist zwar
in den gebildeten Ständen völlig außer Gebrauch gekommen --nur die Knaben
gehen noch häufig im Kilt einher --, aber es haben sich wenigstens einige Einzel-


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Zur Charakteristik der Schotten.

Unter dem Titel „eine Frühlingsfahrt nach Edinburg" ist von K. Elze
(Dessau, im Verlag der Ane'schen Buchhandlung) eine kleine Schrift erschienen,
die ein recht ansprechendes Bild vom Leben der Hauptstadt Schottlands und
der Südschotten überhaupt gibt, und der wir die folgenden Mittheilungen
über die Eigenthümlichkeiten des dortigen Volkes entnehmen. Die Schotten
erscheinen dem Ausland gegenüber noch mehr als die Irländer als Theil der
englischen Nation, und nicht mit Unrecht, da sie die Grundlagen, auf denen
jedes Volksthum beruht, Sprache, Literatur, Religion und bürgerliche Ver¬
fassung, mit dieser gemein haben. Indeß ergeben sich bei näherer Betrach¬
tung doch nicht unwesentliche Verschiedenheiten. Zunächst sind die Mischungs¬
verhältnisse beider Nationalitäten andere, indem in Schottland das norman¬
nische Element in dem Maße zurücktritt, in welchem das celtische in den Vor¬
dergrund gerückt ist, und indem andrerseits England seinen germanischen Be¬
standtheilen nach vorwiegend sächsisch, Schottland vorwiegend skandinavisch ist.
Dann hat der schottische Patriotismus in Folge der Geschichte des Landes schon
den Charakter der Streitbarkeit angenommen, der Spott der Engländer über die
Eigenthümlichkeiten der Schotten hat sie stolz aus dieselben gemacht und sie veran¬
laßt, sie schärfer zu betonen. England findet die Begeisterung der Schotten für ihre
Gebirgsseen und Moore, für ihr modernes „Athen" — Edinburg — für ihre natio¬
nalen Erinnerungen, die celtische Tracht und die unaussprechlichen celtischen Namen,
ihren Puritanismus und ihre Küche lächerlich. Es zieht die Schotten mit
ihrer Rechthaberei, ihrer Sparsamkeit, ihrer Pfiffigkeit und ihrem Geschick, in
der Fremde Glück zu machen auf, und doch bilden grade diese Eigenschaften,
auf ihr rechtes Maß zurückgeführt, den edelsten Theil des schottischen Volks¬
charakters. Der Reisende wird in Schottland fast nie angebettelt. Mit dem
Fleiß des Volkes stehen Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in natürlicher Verbin¬
dung. Und wenn es wahr ist, daß im Wesen des Schotten eine große Nüch¬
ternheit und Kälte liegt, sodaß man sich nach Jahren noch fremd im Lande
fühlt, so zeichnen sie sich dafür durch reine Sitte und taktvollen Anstand aus.

Um die Schotten in ihrer Häuslichkeit und Geselligkeit kennen zu lernen,
lassen wir uns nun mit des Verfassers eignen Worten die Reste ihrer Volks-
thümlichkeit oder richtiger ihre Provinzialismen vorführen; dieselben bestehen zu¬
nächst in der Tracht. Die eigentliche celtische oder hochländische Tracht ist zwar
in den gebildeten Ständen völlig außer Gebrauch gekommen —nur die Knaben
gehen noch häufig im Kilt einher —, aber es haben sich wenigstens einige Einzel-


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[0351] Zur Charakteristik der Schotten. Unter dem Titel „eine Frühlingsfahrt nach Edinburg" ist von K. Elze (Dessau, im Verlag der Ane'schen Buchhandlung) eine kleine Schrift erschienen, die ein recht ansprechendes Bild vom Leben der Hauptstadt Schottlands und der Südschotten überhaupt gibt, und der wir die folgenden Mittheilungen über die Eigenthümlichkeiten des dortigen Volkes entnehmen. Die Schotten erscheinen dem Ausland gegenüber noch mehr als die Irländer als Theil der englischen Nation, und nicht mit Unrecht, da sie die Grundlagen, auf denen jedes Volksthum beruht, Sprache, Literatur, Religion und bürgerliche Ver¬ fassung, mit dieser gemein haben. Indeß ergeben sich bei näherer Betrach¬ tung doch nicht unwesentliche Verschiedenheiten. Zunächst sind die Mischungs¬ verhältnisse beider Nationalitäten andere, indem in Schottland das norman¬ nische Element in dem Maße zurücktritt, in welchem das celtische in den Vor¬ dergrund gerückt ist, und indem andrerseits England seinen germanischen Be¬ standtheilen nach vorwiegend sächsisch, Schottland vorwiegend skandinavisch ist. Dann hat der schottische Patriotismus in Folge der Geschichte des Landes schon den Charakter der Streitbarkeit angenommen, der Spott der Engländer über die Eigenthümlichkeiten der Schotten hat sie stolz aus dieselben gemacht und sie veran¬ laßt, sie schärfer zu betonen. England findet die Begeisterung der Schotten für ihre Gebirgsseen und Moore, für ihr modernes „Athen" — Edinburg — für ihre natio¬ nalen Erinnerungen, die celtische Tracht und die unaussprechlichen celtischen Namen, ihren Puritanismus und ihre Küche lächerlich. Es zieht die Schotten mit ihrer Rechthaberei, ihrer Sparsamkeit, ihrer Pfiffigkeit und ihrem Geschick, in der Fremde Glück zu machen auf, und doch bilden grade diese Eigenschaften, auf ihr rechtes Maß zurückgeführt, den edelsten Theil des schottischen Volks¬ charakters. Der Reisende wird in Schottland fast nie angebettelt. Mit dem Fleiß des Volkes stehen Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in natürlicher Verbin¬ dung. Und wenn es wahr ist, daß im Wesen des Schotten eine große Nüch¬ ternheit und Kälte liegt, sodaß man sich nach Jahren noch fremd im Lande fühlt, so zeichnen sie sich dafür durch reine Sitte und taktvollen Anstand aus. Um die Schotten in ihrer Häuslichkeit und Geselligkeit kennen zu lernen, lassen wir uns nun mit des Verfassers eignen Worten die Reste ihrer Volks- thümlichkeit oder richtiger ihre Provinzialismen vorführen; dieselben bestehen zu¬ nächst in der Tracht. Die eigentliche celtische oder hochländische Tracht ist zwar in den gebildeten Ständen völlig außer Gebrauch gekommen —nur die Knaben gehen noch häufig im Kilt einher —, aber es haben sich wenigstens einige Einzel- 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/351>, abgerufen am 30.04.2024.