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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die Polizei bei Griechen und Römern.

Die moderne Polizei, als eine getrennte Anstalt im Staatsorganismus,
hat wol ihren meist unwillkommenen Namen der hellenischen Sprache entnom¬
men; aber ihre Existenz läßt sich in den griechischen Freistaaten nicht nach¬
weisen. Von der vorbauenden, abwehrenden, bevormundenden Ncgierungs-
geschäftigkeit, die der Polizeistaat entwickelt, um jede Störung der öffentlichen
Ruhe und Sicherheit, jede Gefährdung des Gemeinwohles im Keime zu er¬
sticken, findet man in den alten Republiken keine Spur. Das Gesetz bedrohte
den Uebertreter mit schwerer Verantwortlichkeit, und so lange der Einzelne,
wie es die Innigkeit der staatlichen Gemeinschaft forderte, seinen Eigenwillen
dem Ganzen unterordnete und nicht durch auffallenden Anstoß in Verantwor¬
tung fiel, ließ ihn die Staatsgewalt, welche ja überhaupt noch nicht mit dem
Bürger entzweit war, ungehindert und ohne Gängelband seinen Weg gehn.
Daher jener kühnere Schritt, jene unbeengtere Bewegung, jene mündigere
Haltung, die wir so sehr bewundern. Freilich mußte im Ganzen die auf
Uebertretung des Gesetzes folgende Verantwortung oft härter und drückender
sein als eine dem Vergehen zuvorkommende Maßregel, und es läßt sich nicht
verhehlen, daß im grellsten Contraste zur kecksten Freiheit der Bürger gegen¬
über der Staatsgewalt selbst dennoch in Glaube und Sitte die Polizeige¬
walt mit einer Härte und Ausdehnung geübt wurde, die an Despotismus
zu grenzen scheint. Allein das Volk empfand nicht einmal das,' Uebermaß
dieses Eingreifens von Seiten des Staates, eben weil es beides, Regierung
und Regierte, zugleich war und sich also nicht selbst Unrecht zufügen zu kön¬
nen schien. Dazu kam, daß gewissermaßen die Gesammtheit der Bürger schon
eine polizeiliche Aufsicht unter sich ausübte, insofern jeder Einzelne zur Anzeige
gesetzwidriger Handlungen verpflichtet war. Sonst vertheilen sich die einzel¬
nen polizeilichen Funktionen in Athen unter eine Menge verschiedener Beam¬
ten oder sind zum Theil mit anderen Aemtern verbunden. Zuerst sind hier
die Astynomen zu erwähnen, zehn durch das Loos ernannte Beamte, denen
die eigentliche Straßenpolizei oblag. Sie sorgten für die Reinheit der Stra-


Grenzboten III. 1360. 46
Die Polizei bei Griechen und Römern.

Die moderne Polizei, als eine getrennte Anstalt im Staatsorganismus,
hat wol ihren meist unwillkommenen Namen der hellenischen Sprache entnom¬
men; aber ihre Existenz läßt sich in den griechischen Freistaaten nicht nach¬
weisen. Von der vorbauenden, abwehrenden, bevormundenden Ncgierungs-
geschäftigkeit, die der Polizeistaat entwickelt, um jede Störung der öffentlichen
Ruhe und Sicherheit, jede Gefährdung des Gemeinwohles im Keime zu er¬
sticken, findet man in den alten Republiken keine Spur. Das Gesetz bedrohte
den Uebertreter mit schwerer Verantwortlichkeit, und so lange der Einzelne,
wie es die Innigkeit der staatlichen Gemeinschaft forderte, seinen Eigenwillen
dem Ganzen unterordnete und nicht durch auffallenden Anstoß in Verantwor¬
tung fiel, ließ ihn die Staatsgewalt, welche ja überhaupt noch nicht mit dem
Bürger entzweit war, ungehindert und ohne Gängelband seinen Weg gehn.
Daher jener kühnere Schritt, jene unbeengtere Bewegung, jene mündigere
Haltung, die wir so sehr bewundern. Freilich mußte im Ganzen die auf
Uebertretung des Gesetzes folgende Verantwortung oft härter und drückender
sein als eine dem Vergehen zuvorkommende Maßregel, und es läßt sich nicht
verhehlen, daß im grellsten Contraste zur kecksten Freiheit der Bürger gegen¬
über der Staatsgewalt selbst dennoch in Glaube und Sitte die Polizeige¬
walt mit einer Härte und Ausdehnung geübt wurde, die an Despotismus
zu grenzen scheint. Allein das Volk empfand nicht einmal das,' Uebermaß
dieses Eingreifens von Seiten des Staates, eben weil es beides, Regierung
und Regierte, zugleich war und sich also nicht selbst Unrecht zufügen zu kön¬
nen schien. Dazu kam, daß gewissermaßen die Gesammtheit der Bürger schon
eine polizeiliche Aufsicht unter sich ausübte, insofern jeder Einzelne zur Anzeige
gesetzwidriger Handlungen verpflichtet war. Sonst vertheilen sich die einzel¬
nen polizeilichen Funktionen in Athen unter eine Menge verschiedener Beam¬
ten oder sind zum Theil mit anderen Aemtern verbunden. Zuerst sind hier
die Astynomen zu erwähnen, zehn durch das Loos ernannte Beamte, denen
die eigentliche Straßenpolizei oblag. Sie sorgten für die Reinheit der Stra-


Grenzboten III. 1360. 46
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[0373] Die Polizei bei Griechen und Römern. Die moderne Polizei, als eine getrennte Anstalt im Staatsorganismus, hat wol ihren meist unwillkommenen Namen der hellenischen Sprache entnom¬ men; aber ihre Existenz läßt sich in den griechischen Freistaaten nicht nach¬ weisen. Von der vorbauenden, abwehrenden, bevormundenden Ncgierungs- geschäftigkeit, die der Polizeistaat entwickelt, um jede Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, jede Gefährdung des Gemeinwohles im Keime zu er¬ sticken, findet man in den alten Republiken keine Spur. Das Gesetz bedrohte den Uebertreter mit schwerer Verantwortlichkeit, und so lange der Einzelne, wie es die Innigkeit der staatlichen Gemeinschaft forderte, seinen Eigenwillen dem Ganzen unterordnete und nicht durch auffallenden Anstoß in Verantwor¬ tung fiel, ließ ihn die Staatsgewalt, welche ja überhaupt noch nicht mit dem Bürger entzweit war, ungehindert und ohne Gängelband seinen Weg gehn. Daher jener kühnere Schritt, jene unbeengtere Bewegung, jene mündigere Haltung, die wir so sehr bewundern. Freilich mußte im Ganzen die auf Uebertretung des Gesetzes folgende Verantwortung oft härter und drückender sein als eine dem Vergehen zuvorkommende Maßregel, und es läßt sich nicht verhehlen, daß im grellsten Contraste zur kecksten Freiheit der Bürger gegen¬ über der Staatsgewalt selbst dennoch in Glaube und Sitte die Polizeige¬ walt mit einer Härte und Ausdehnung geübt wurde, die an Despotismus zu grenzen scheint. Allein das Volk empfand nicht einmal das,' Uebermaß dieses Eingreifens von Seiten des Staates, eben weil es beides, Regierung und Regierte, zugleich war und sich also nicht selbst Unrecht zufügen zu kön¬ nen schien. Dazu kam, daß gewissermaßen die Gesammtheit der Bürger schon eine polizeiliche Aufsicht unter sich ausübte, insofern jeder Einzelne zur Anzeige gesetzwidriger Handlungen verpflichtet war. Sonst vertheilen sich die einzel¬ nen polizeilichen Funktionen in Athen unter eine Menge verschiedener Beam¬ ten oder sind zum Theil mit anderen Aemtern verbunden. Zuerst sind hier die Astynomen zu erwähnen, zehn durch das Loos ernannte Beamte, denen die eigentliche Straßenpolizei oblag. Sie sorgten für die Reinheit der Stra- Grenzboten III. 1360. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/373>, abgerufen am 01.05.2024.