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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Ein Bild aus Nenöstreich.

Wenn gewisse Tagesschriftsteller nicht müde werden, die Segnungen zu
preisen, die von Wien über Ungarn und seine Nebenlnnder ausströmen, wenn
sie uns ^vorhalten, wie von dort aus die große Aufgabe Oestreichs, Bildung
und Gesittung über den Südosten zu verbreiten, seit Jahren rastlos verfolgt
wird und nur ein beschränkter Nationalgeist hindert, daß die Spenden jenes
Füllhorns dankbar ausgenommen und zum Gedeihen des Landes benutzt wer¬
den, und wenn dann wieder andre nur von der Schattenseite der östreichi¬
schen Verwaltung in jenen Gegenden zu erzählen wissen, so ist ein Buch,
welches den Eindruck macht, daß sein Verfasser zwischen den Parteien hindurch
nur auf die Wahrheit sah, als eine doppelt willkommene Gabe zu begrüßen.
Als eine solche müssen wir die soeben erschienene Schrift "Aus dem Osten
der östreichischen Monarchie von E. Freiherrn v. Berg" (Dresden,
G. Schönfelds Buchhandlung) bezeichnen, die Beschreibung einer im letzten
Herbst unternommenen Reise über Galizien nach Pesth und von dort über Te-
mesvar nach dem Banat, deren Zweck vorzugsweise Beobachtung der Zu¬
stände des Volkes, der landwirtschaftlichen Verhältnisse, des industriellen
Lebens und der Art und Weise war, wie Regierungsform und Regierungs¬
grundsätze auf das Volk wirken. Der Verfasser, ein höherer Beamter, brachte
für diesen Zweck Kenntniß der Verwaltmigsgrundsätze und als Wald- und
Landwirth (er ist k. sächsischer Oberforstrath) eine gründliche Bekanntschaft
mit vielen wichtigen Zweigen der Nationalökonomie mit. Er hatte durch
frühere Reisen seinen Blick geschärft. Er blieb endlich nicht auf der großen
Heerstraße, verließ sich nicht auf Hörensagen, sondern suchte sich durch Zickzack¬
touren im Innern des Landes die Belehrung zu verschaffen, die er wünschte.
Steht er mit diesen Eigenschaften über den gewöhnlichen Touristen, so spricht
für die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen noch ein andrer Umstand. Sein
Polnischer Standpunkt ist der eines gemäßigten Liberalismus, und er trat
seinen Weg mit jenem in der sächsischen Beamtenwelt traditionellen, durch die
sächsischen officiellen und officiösen Blätter emsig gepflegten Wohlwollen gegen
Oestreich an, welches in der Ferne nur zu sehr geneigt ist, Schwarz für Weiß
und Gelb für Rosenroth einzusehn. Dennoch ist seine Schilderung der Zu¬
stände in den von ihm besuchten Theilen des Kaiserreichs eine so trübe und
düstere, sein Urtheil über die Leistungen der Regierung aus dem Gebiete der
Verwaltung und der Justiz in vielen Punkten ein so abfälliges, daß selbst ein
Polnischer Gegner Oestreichs dort nicht viel schwärzer schildern, hier nicht
viel strenger verurtheilen könnte. Wenn er dabei noch an den guten Wik- '


Ein Bild aus Nenöstreich.

Wenn gewisse Tagesschriftsteller nicht müde werden, die Segnungen zu
preisen, die von Wien über Ungarn und seine Nebenlnnder ausströmen, wenn
sie uns ^vorhalten, wie von dort aus die große Aufgabe Oestreichs, Bildung
und Gesittung über den Südosten zu verbreiten, seit Jahren rastlos verfolgt
wird und nur ein beschränkter Nationalgeist hindert, daß die Spenden jenes
Füllhorns dankbar ausgenommen und zum Gedeihen des Landes benutzt wer¬
den, und wenn dann wieder andre nur von der Schattenseite der östreichi¬
schen Verwaltung in jenen Gegenden zu erzählen wissen, so ist ein Buch,
welches den Eindruck macht, daß sein Verfasser zwischen den Parteien hindurch
nur auf die Wahrheit sah, als eine doppelt willkommene Gabe zu begrüßen.
Als eine solche müssen wir die soeben erschienene Schrift „Aus dem Osten
der östreichischen Monarchie von E. Freiherrn v. Berg" (Dresden,
G. Schönfelds Buchhandlung) bezeichnen, die Beschreibung einer im letzten
Herbst unternommenen Reise über Galizien nach Pesth und von dort über Te-
mesvar nach dem Banat, deren Zweck vorzugsweise Beobachtung der Zu¬
stände des Volkes, der landwirtschaftlichen Verhältnisse, des industriellen
Lebens und der Art und Weise war, wie Regierungsform und Regierungs¬
grundsätze auf das Volk wirken. Der Verfasser, ein höherer Beamter, brachte
für diesen Zweck Kenntniß der Verwaltmigsgrundsätze und als Wald- und
Landwirth (er ist k. sächsischer Oberforstrath) eine gründliche Bekanntschaft
mit vielen wichtigen Zweigen der Nationalökonomie mit. Er hatte durch
frühere Reisen seinen Blick geschärft. Er blieb endlich nicht auf der großen
Heerstraße, verließ sich nicht auf Hörensagen, sondern suchte sich durch Zickzack¬
touren im Innern des Landes die Belehrung zu verschaffen, die er wünschte.
Steht er mit diesen Eigenschaften über den gewöhnlichen Touristen, so spricht
für die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen noch ein andrer Umstand. Sein
Polnischer Standpunkt ist der eines gemäßigten Liberalismus, und er trat
seinen Weg mit jenem in der sächsischen Beamtenwelt traditionellen, durch die
sächsischen officiellen und officiösen Blätter emsig gepflegten Wohlwollen gegen
Oestreich an, welches in der Ferne nur zu sehr geneigt ist, Schwarz für Weiß
und Gelb für Rosenroth einzusehn. Dennoch ist seine Schilderung der Zu¬
stände in den von ihm besuchten Theilen des Kaiserreichs eine so trübe und
düstere, sein Urtheil über die Leistungen der Regierung aus dem Gebiete der
Verwaltung und der Justiz in vielen Punkten ein so abfälliges, daß selbst ein
Polnischer Gegner Oestreichs dort nicht viel schwärzer schildern, hier nicht
viel strenger verurtheilen könnte. Wenn er dabei noch an den guten Wik- '


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[0385] Ein Bild aus Nenöstreich. Wenn gewisse Tagesschriftsteller nicht müde werden, die Segnungen zu preisen, die von Wien über Ungarn und seine Nebenlnnder ausströmen, wenn sie uns ^vorhalten, wie von dort aus die große Aufgabe Oestreichs, Bildung und Gesittung über den Südosten zu verbreiten, seit Jahren rastlos verfolgt wird und nur ein beschränkter Nationalgeist hindert, daß die Spenden jenes Füllhorns dankbar ausgenommen und zum Gedeihen des Landes benutzt wer¬ den, und wenn dann wieder andre nur von der Schattenseite der östreichi¬ schen Verwaltung in jenen Gegenden zu erzählen wissen, so ist ein Buch, welches den Eindruck macht, daß sein Verfasser zwischen den Parteien hindurch nur auf die Wahrheit sah, als eine doppelt willkommene Gabe zu begrüßen. Als eine solche müssen wir die soeben erschienene Schrift „Aus dem Osten der östreichischen Monarchie von E. Freiherrn v. Berg" (Dresden, G. Schönfelds Buchhandlung) bezeichnen, die Beschreibung einer im letzten Herbst unternommenen Reise über Galizien nach Pesth und von dort über Te- mesvar nach dem Banat, deren Zweck vorzugsweise Beobachtung der Zu¬ stände des Volkes, der landwirtschaftlichen Verhältnisse, des industriellen Lebens und der Art und Weise war, wie Regierungsform und Regierungs¬ grundsätze auf das Volk wirken. Der Verfasser, ein höherer Beamter, brachte für diesen Zweck Kenntniß der Verwaltmigsgrundsätze und als Wald- und Landwirth (er ist k. sächsischer Oberforstrath) eine gründliche Bekanntschaft mit vielen wichtigen Zweigen der Nationalökonomie mit. Er hatte durch frühere Reisen seinen Blick geschärft. Er blieb endlich nicht auf der großen Heerstraße, verließ sich nicht auf Hörensagen, sondern suchte sich durch Zickzack¬ touren im Innern des Landes die Belehrung zu verschaffen, die er wünschte. Steht er mit diesen Eigenschaften über den gewöhnlichen Touristen, so spricht für die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen noch ein andrer Umstand. Sein Polnischer Standpunkt ist der eines gemäßigten Liberalismus, und er trat seinen Weg mit jenem in der sächsischen Beamtenwelt traditionellen, durch die sächsischen officiellen und officiösen Blätter emsig gepflegten Wohlwollen gegen Oestreich an, welches in der Ferne nur zu sehr geneigt ist, Schwarz für Weiß und Gelb für Rosenroth einzusehn. Dennoch ist seine Schilderung der Zu¬ stände in den von ihm besuchten Theilen des Kaiserreichs eine so trübe und düstere, sein Urtheil über die Leistungen der Regierung aus dem Gebiete der Verwaltung und der Justiz in vielen Punkten ein so abfälliges, daß selbst ein Polnischer Gegner Oestreichs dort nicht viel schwärzer schildern, hier nicht viel strenger verurtheilen könnte. Wenn er dabei noch an den guten Wik- '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/385>, abgerufen am 01.05.2024.