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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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es sich blos um eine erst wahrscheinliche Eventualität handelt, dürfte sie doch
jetzt schon der Beachtung des europäischen Publikums empfohlen werden."

Auch der Washingtoncorrespondent der Newyork Times erwähnt dieses
Umstandes. demzufolge in mehrern südlichen Staaten der Union daraus hin¬
gearbeitet wird, die Union zu sprengen und zwar soll der Plan schon soweit
gereift sein, daß man Agenten nach Europa geschickt habe, um zu erkunden,
wie sich England und Frankreich verhalten würden, im Fall sich ein südlicher
Staotenbund bildete.

Der 136. Geburtstag Georg Washingtons wurde am 22. Febr. d. I.
in der seinen Namen tragenden Bundesstadt durch die Einweihung seiner
von Clark Mills modellirten Reiterstatue gefeiert. Der Präsident der Vereinig¬
ten Staaten hielt die Einweihungsrede, nachdem ihm der Großmeister der
Freimaurerlogen den Hammer überreicht hatte, den Washington als Präsident
der Vereinigten Staaten und derzeitiger Großmeister bei der Grundsteinlegung
des Capitals am 18. Sept. 1793 gebraucht hatte. Während man in solcher
Weise nach beinahe siebenzigjährigem Bestehen der Republik das Andenken des
großen Mannes ehrt, der sie gegründet und die nordamerikanischen Staaten
vereinigt hat. ist die Wiederauflösung der Union der Gegenstand offener
Drohungen und ausführlicher Erörterungen in der Presse wie in den Ver¬
sammlungen. Der junge Riese ist von den Verhältnissen umgarnt, die in
kaum mehr als zwei Menschenaltern sich entwickelt haben.




Ein Besuch in Ferney.

Ein Besuch in Ferney, wo Voltaire die letzten zwanzig Jahre seines viel¬
bewegten Lebens zugebracht, ist ein so bedeutender Anachronismus, daß er
nur durch anhaltendes Regenwetter, welches den Reisenden an allen andern
Ausflügen verhindert, gerechtfertigt werden kann. Die Schaaren von Reisen¬
den, die einst "den Weisen von Ferney" in seinem Asyl aufsuchten, der Ehr-
geiz, den Satyr des achtzehnten Jahrhunderts von Angesicht gesehn zu haben,
die stolz ablehnende Haltung des eiteln Freundes des großen Königs -- alles
das ist längst verrauscht und halb vergessen. Selten wird der Name des be¬
wunderten Aufklärers noch genannt, und weit sind wir, Gott sei Dank, über
jene frivole Ignoranz hinaus, die sich in der bekannten Lästerung "kerasons
ausspricht. Aber wenn es, wie diesen Sommer, in Genf vom


es sich blos um eine erst wahrscheinliche Eventualität handelt, dürfte sie doch
jetzt schon der Beachtung des europäischen Publikums empfohlen werden."

Auch der Washingtoncorrespondent der Newyork Times erwähnt dieses
Umstandes. demzufolge in mehrern südlichen Staaten der Union daraus hin¬
gearbeitet wird, die Union zu sprengen und zwar soll der Plan schon soweit
gereift sein, daß man Agenten nach Europa geschickt habe, um zu erkunden,
wie sich England und Frankreich verhalten würden, im Fall sich ein südlicher
Staotenbund bildete.

Der 136. Geburtstag Georg Washingtons wurde am 22. Febr. d. I.
in der seinen Namen tragenden Bundesstadt durch die Einweihung seiner
von Clark Mills modellirten Reiterstatue gefeiert. Der Präsident der Vereinig¬
ten Staaten hielt die Einweihungsrede, nachdem ihm der Großmeister der
Freimaurerlogen den Hammer überreicht hatte, den Washington als Präsident
der Vereinigten Staaten und derzeitiger Großmeister bei der Grundsteinlegung
des Capitals am 18. Sept. 1793 gebraucht hatte. Während man in solcher
Weise nach beinahe siebenzigjährigem Bestehen der Republik das Andenken des
großen Mannes ehrt, der sie gegründet und die nordamerikanischen Staaten
vereinigt hat. ist die Wiederauflösung der Union der Gegenstand offener
Drohungen und ausführlicher Erörterungen in der Presse wie in den Ver¬
sammlungen. Der junge Riese ist von den Verhältnissen umgarnt, die in
kaum mehr als zwei Menschenaltern sich entwickelt haben.




Ein Besuch in Ferney.

Ein Besuch in Ferney, wo Voltaire die letzten zwanzig Jahre seines viel¬
bewegten Lebens zugebracht, ist ein so bedeutender Anachronismus, daß er
nur durch anhaltendes Regenwetter, welches den Reisenden an allen andern
Ausflügen verhindert, gerechtfertigt werden kann. Die Schaaren von Reisen¬
den, die einst „den Weisen von Ferney" in seinem Asyl aufsuchten, der Ehr-
geiz, den Satyr des achtzehnten Jahrhunderts von Angesicht gesehn zu haben,
die stolz ablehnende Haltung des eiteln Freundes des großen Königs — alles
das ist längst verrauscht und halb vergessen. Selten wird der Name des be¬
wunderten Aufklärers noch genannt, und weit sind wir, Gott sei Dank, über
jene frivole Ignoranz hinaus, die sich in der bekannten Lästerung „kerasons
ausspricht. Aber wenn es, wie diesen Sommer, in Genf vom


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[0443] es sich blos um eine erst wahrscheinliche Eventualität handelt, dürfte sie doch jetzt schon der Beachtung des europäischen Publikums empfohlen werden." Auch der Washingtoncorrespondent der Newyork Times erwähnt dieses Umstandes. demzufolge in mehrern südlichen Staaten der Union daraus hin¬ gearbeitet wird, die Union zu sprengen und zwar soll der Plan schon soweit gereift sein, daß man Agenten nach Europa geschickt habe, um zu erkunden, wie sich England und Frankreich verhalten würden, im Fall sich ein südlicher Staotenbund bildete. Der 136. Geburtstag Georg Washingtons wurde am 22. Febr. d. I. in der seinen Namen tragenden Bundesstadt durch die Einweihung seiner von Clark Mills modellirten Reiterstatue gefeiert. Der Präsident der Vereinig¬ ten Staaten hielt die Einweihungsrede, nachdem ihm der Großmeister der Freimaurerlogen den Hammer überreicht hatte, den Washington als Präsident der Vereinigten Staaten und derzeitiger Großmeister bei der Grundsteinlegung des Capitals am 18. Sept. 1793 gebraucht hatte. Während man in solcher Weise nach beinahe siebenzigjährigem Bestehen der Republik das Andenken des großen Mannes ehrt, der sie gegründet und die nordamerikanischen Staaten vereinigt hat. ist die Wiederauflösung der Union der Gegenstand offener Drohungen und ausführlicher Erörterungen in der Presse wie in den Ver¬ sammlungen. Der junge Riese ist von den Verhältnissen umgarnt, die in kaum mehr als zwei Menschenaltern sich entwickelt haben. Ein Besuch in Ferney. Ein Besuch in Ferney, wo Voltaire die letzten zwanzig Jahre seines viel¬ bewegten Lebens zugebracht, ist ein so bedeutender Anachronismus, daß er nur durch anhaltendes Regenwetter, welches den Reisenden an allen andern Ausflügen verhindert, gerechtfertigt werden kann. Die Schaaren von Reisen¬ den, die einst „den Weisen von Ferney" in seinem Asyl aufsuchten, der Ehr- geiz, den Satyr des achtzehnten Jahrhunderts von Angesicht gesehn zu haben, die stolz ablehnende Haltung des eiteln Freundes des großen Königs — alles das ist längst verrauscht und halb vergessen. Selten wird der Name des be¬ wunderten Aufklärers noch genannt, und weit sind wir, Gott sei Dank, über jene frivole Ignoranz hinaus, die sich in der bekannten Lästerung „kerasons ausspricht. Aber wenn es, wie diesen Sommer, in Genf vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/443>, abgerufen am 01.05.2024.