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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ich 32 Agenten von bostoner und newyorker Handelshäusern, denen es in
Neworleaus nicht mehr geheuer schien. Sie erzählten, daß im Süden die
Stimmung furchtbar aufgeregt sei; man habe Nordländer ausgewiesen, überall
bildeten sich Bigilanzausschüsse, und Waarenbestellungen würden in Menge
wieder abgesagt. Andrerseits haben circa 200 aus dem Süden stammende junge
Leute, welche die guten medicinischen Lehranstalten in Philadelphia besuchten, so
wie einige wenige, welche sich zu gleichem Zwecke in Newyork aufhielten, von an¬
geblichen Patriotismus getrieben, ihren Cursus unterbrochen, um ihre Studien
in ähnlichen Anstalten des Südens fortzusetzen, und der übertriebene Empfang, den
man ihnen in Richmond bereitete, so wie dick Rede, womit der Gouverneur Wise
von Virginien sie dort begrüßt hat und in welcher er dem Norden, so wie
auch England, das in Canada flüchtigen Sklaven ein Asyl bereitete, den Hand¬
schuh hinwirft, ist nicht geeignet, die Gemüther zu beschwichtigen. Schon be¬
ginnt der Süden darauf Bedacht zu nehmen, daß, im Falle einer Trennung
vom Norden, handelspolitische Unabhängigkeit in den Sklavenstaaten herrsche,
und nirgends fehlt es an Anstrengungen, um eine eigene Industrie zu
schaffen. Es ist Thatsache, daß die Industrie der östlichen Staaten in Folge
der Zurückhaltung der Käufer aus dem Süden in den letzten Monaten gelitten
hat, -- Thatsache ferner, daß in sehr vielen kleinen Städten die feste Absicht
herrscht, Städte wie Newyork und Boston nicht zu besuchen. In Baltimore
war das Geschäft in letzter Zeit lebhafter als lange zuvor, weil viele Händler
aus dem Süden es vorzöge", hier ihren Bedarf, anstatt in Newyork zu nehmen.
Das Alles sind zwar unbedeutende Anfänge zu praktischer Trennung auf wirth-
schafilichcm Felde, aber es sind Anfänge, die Beachtung verdienen und jeden¬
falls die Thatsache constatiren, daß die Idee einer Auflösung der Union, die
früher nur in den Köpfen einer kleinen, fanatischen Partei spukte, angefangen
hat, bereits vom Standpunkte kühnerer Berechnung aus behandelt zu werden.

Zu lange dauert der Streit zwischen dem Norden und Süden, und in zu
regelmäßigen Steigerungen hat er sich wiederholt, als daß ein anderer Ausgang
als eine Katastrophe zu erwarten wäre. Die Ereignisse treiben mit systemati¬
scher Consequenz dahin. Die Zeit der Bermittlung und der Compromisse über
die Lebensfragen der Union ist vorüber.

Schon schreibt man aus Paris: "Während alle Augen nach Syrien und
Italien gerichtet sind, steigt in den Vereinigten Staaten eine schwarze Wolke
auf, welche von der hiesigen Presse noch ignorirt wird, wenngleich sie vom
größten Interesse ist. Der Süden ist entschlossen einen Gegenpräsidenten und
einen Gegencongreß aufzustellen, kurz sich vom Norden zu trennen. Der Handels¬
stand in den Bereinigten Staaten wird bereits durch Regierungsorgane auf¬
gefordert, sich beim Eintritt dieses Falles im Herbste auf eine Handels - und
Finanzkrise, die ärger als die von 1857 sein würde, vorzubereiten. Obschon


ich 32 Agenten von bostoner und newyorker Handelshäusern, denen es in
Neworleaus nicht mehr geheuer schien. Sie erzählten, daß im Süden die
Stimmung furchtbar aufgeregt sei; man habe Nordländer ausgewiesen, überall
bildeten sich Bigilanzausschüsse, und Waarenbestellungen würden in Menge
wieder abgesagt. Andrerseits haben circa 200 aus dem Süden stammende junge
Leute, welche die guten medicinischen Lehranstalten in Philadelphia besuchten, so
wie einige wenige, welche sich zu gleichem Zwecke in Newyork aufhielten, von an¬
geblichen Patriotismus getrieben, ihren Cursus unterbrochen, um ihre Studien
in ähnlichen Anstalten des Südens fortzusetzen, und der übertriebene Empfang, den
man ihnen in Richmond bereitete, so wie dick Rede, womit der Gouverneur Wise
von Virginien sie dort begrüßt hat und in welcher er dem Norden, so wie
auch England, das in Canada flüchtigen Sklaven ein Asyl bereitete, den Hand¬
schuh hinwirft, ist nicht geeignet, die Gemüther zu beschwichtigen. Schon be¬
ginnt der Süden darauf Bedacht zu nehmen, daß, im Falle einer Trennung
vom Norden, handelspolitische Unabhängigkeit in den Sklavenstaaten herrsche,
und nirgends fehlt es an Anstrengungen, um eine eigene Industrie zu
schaffen. Es ist Thatsache, daß die Industrie der östlichen Staaten in Folge
der Zurückhaltung der Käufer aus dem Süden in den letzten Monaten gelitten
hat, — Thatsache ferner, daß in sehr vielen kleinen Städten die feste Absicht
herrscht, Städte wie Newyork und Boston nicht zu besuchen. In Baltimore
war das Geschäft in letzter Zeit lebhafter als lange zuvor, weil viele Händler
aus dem Süden es vorzöge», hier ihren Bedarf, anstatt in Newyork zu nehmen.
Das Alles sind zwar unbedeutende Anfänge zu praktischer Trennung auf wirth-
schafilichcm Felde, aber es sind Anfänge, die Beachtung verdienen und jeden¬
falls die Thatsache constatiren, daß die Idee einer Auflösung der Union, die
früher nur in den Köpfen einer kleinen, fanatischen Partei spukte, angefangen
hat, bereits vom Standpunkte kühnerer Berechnung aus behandelt zu werden.

Zu lange dauert der Streit zwischen dem Norden und Süden, und in zu
regelmäßigen Steigerungen hat er sich wiederholt, als daß ein anderer Ausgang
als eine Katastrophe zu erwarten wäre. Die Ereignisse treiben mit systemati¬
scher Consequenz dahin. Die Zeit der Bermittlung und der Compromisse über
die Lebensfragen der Union ist vorüber.

Schon schreibt man aus Paris: „Während alle Augen nach Syrien und
Italien gerichtet sind, steigt in den Vereinigten Staaten eine schwarze Wolke
auf, welche von der hiesigen Presse noch ignorirt wird, wenngleich sie vom
größten Interesse ist. Der Süden ist entschlossen einen Gegenpräsidenten und
einen Gegencongreß aufzustellen, kurz sich vom Norden zu trennen. Der Handels¬
stand in den Bereinigten Staaten wird bereits durch Regierungsorgane auf¬
gefordert, sich beim Eintritt dieses Falles im Herbste auf eine Handels - und
Finanzkrise, die ärger als die von 1857 sein würde, vorzubereiten. Obschon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/442>, abgerufen am 15.05.2024.