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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Neujahr in Belgien.

Wir verstehen unter Neujahr die letzten sechs der sogenannten
"zwölf Nächte", und unter diesen vorzüglich den ersten Januar, mit
dem unter den Gebildeten, und den Dreikönigstag, mit dem unter dem
altgläubigen Landvolk das Jahr beginnt. Die belgischen Sitten und Mei¬
nungen in Bezug auf diese Tage zu betrachten hat ein besonderes Interesse
insofern, als Belgien ein Grenzland ist, in welchem sich französischer und deut¬
scher Gebrauch mischen, und als wir an verschiedenen Einzelnheiten dabei inne
werden, wie weit jener diesen verdrängt hat. Wir folgen in unsrer Darstellung
auszugsweise den Aufzeichnungen des Barons von Reinsbcrg, die wir bei
dieser Gelegenheit denen, welche an der in Rede stehenden Seite des Volks¬
lebens Interesse nehmen, bestens empfehlen.")

Wie allenthalben in Deutschland setzt sich am ersten Januar auch in
Belgien alle Welt in Bewegung, um seinen Freunden, Verwandten und Gön¬
nern zu gratuliren: die Einen wünschen ,,uno Ireureuss ann^c", die andern
"een zalig'nieuwjaer" und hier wie dort wird man für diese Glückwünsche
mit Erfrischungen, Liqueur und Zuckergebäck bewirthet.

Früher stellten in Brüssel die Wohlhabenden vor ihren Hausthüren Tische
mit Speisen, Getränken und Kerzen auf, an denen alle Vorbeigehenden trnctirt
wurden. In Antwerpen pflegte man sich mit dein Wunsch: "'ne zalige mite"
zu küssen, und zwar ohne daß Stand oder Geschlecht dabei einen Unterschied
machte. In Dinant bäckt man für die Gratulanten Fladen. In Furnes wird
das Gratuliren "indem" genannt, von "tut", dem vlämischen Worte für Glück.
Im Limburgschen nennt man es "vcrrassen," d. h. überraschen, indem hier
jeder bestrebt ist, dem andern zuerst sein "gelökseclig nöwjoar" zuzurufen, wo¬
für dieser dann ein Geschenk zu geben hat, sofern es nicht ein Schaltjahr ist,
in welchem letztern Fall die Sitte das Umgekehrte verlangt. Man pflegt hier
so früh als möglich aufzustehen, und sich leise ein Versteck zu wählen, wo man
denen, auf die es abgesehen ist, plötzlich mit seinem Glückwunsch entgegentreten
und sich das Nenjahrsgeschenk, welches für Dienstboten in einem Pfefferkuchen
und einem Schnäpschen, für Kinder in eingemachten Früchten besteht, ver¬
dienen kann.

Ein ähnlicher Gebrauch herrscht in den altväterischen Bürgerhäusern
Brügges, wo der, welcher der Frau vom Hause am Neujahrsmorgen mit einem



Der Titel des Buches ist: "(Älsriäi'ier IZsIge, -- Zi?steh reliAisuseg se civiles, usa.-
vrvvg,uchs et xrg>ti"iuvs poxulkir"" clvs Lsiges arieiolls ot moäei'UM. ?Ar Is L^ron
Sö RÄllsderz-DllrmgskM. ?rsmisrö livrmson. I'. Vlassssu, I/ibrsirö-vÄitour. 1S60.
Neujahr in Belgien.

Wir verstehen unter Neujahr die letzten sechs der sogenannten
„zwölf Nächte", und unter diesen vorzüglich den ersten Januar, mit
dem unter den Gebildeten, und den Dreikönigstag, mit dem unter dem
altgläubigen Landvolk das Jahr beginnt. Die belgischen Sitten und Mei¬
nungen in Bezug auf diese Tage zu betrachten hat ein besonderes Interesse
insofern, als Belgien ein Grenzland ist, in welchem sich französischer und deut¬
scher Gebrauch mischen, und als wir an verschiedenen Einzelnheiten dabei inne
werden, wie weit jener diesen verdrängt hat. Wir folgen in unsrer Darstellung
auszugsweise den Aufzeichnungen des Barons von Reinsbcrg, die wir bei
dieser Gelegenheit denen, welche an der in Rede stehenden Seite des Volks¬
lebens Interesse nehmen, bestens empfehlen.")

Wie allenthalben in Deutschland setzt sich am ersten Januar auch in
Belgien alle Welt in Bewegung, um seinen Freunden, Verwandten und Gön¬
nern zu gratuliren: die Einen wünschen ,,uno Ireureuss ann^c", die andern
„een zalig'nieuwjaer" und hier wie dort wird man für diese Glückwünsche
mit Erfrischungen, Liqueur und Zuckergebäck bewirthet.

Früher stellten in Brüssel die Wohlhabenden vor ihren Hausthüren Tische
mit Speisen, Getränken und Kerzen auf, an denen alle Vorbeigehenden trnctirt
wurden. In Antwerpen pflegte man sich mit dein Wunsch: „'ne zalige mite"
zu küssen, und zwar ohne daß Stand oder Geschlecht dabei einen Unterschied
machte. In Dinant bäckt man für die Gratulanten Fladen. In Furnes wird
das Gratuliren „indem" genannt, von „tut", dem vlämischen Worte für Glück.
Im Limburgschen nennt man es „vcrrassen," d. h. überraschen, indem hier
jeder bestrebt ist, dem andern zuerst sein „gelökseclig nöwjoar" zuzurufen, wo¬
für dieser dann ein Geschenk zu geben hat, sofern es nicht ein Schaltjahr ist,
in welchem letztern Fall die Sitte das Umgekehrte verlangt. Man pflegt hier
so früh als möglich aufzustehen, und sich leise ein Versteck zu wählen, wo man
denen, auf die es abgesehen ist, plötzlich mit seinem Glückwunsch entgegentreten
und sich das Nenjahrsgeschenk, welches für Dienstboten in einem Pfefferkuchen
und einem Schnäpschen, für Kinder in eingemachten Früchten besteht, ver¬
dienen kann.

Ein ähnlicher Gebrauch herrscht in den altväterischen Bürgerhäusern
Brügges, wo der, welcher der Frau vom Hause am Neujahrsmorgen mit einem



Der Titel des Buches ist: „(Älsriäi'ier IZsIge, — Zi?steh reliAisuseg se civiles, usa.-
vrvvg,uchs et xrg>ti«iuvs poxulkir«« clvs Lsiges arieiolls ot moäei'UM. ?Ar Is L^ron
Sö RÄllsderz-DllrmgskM. ?rsmisrö livrmson. I'. Vlassssu, I/ibrsirö-vÄitour. 1S60.
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[0512] Neujahr in Belgien. Wir verstehen unter Neujahr die letzten sechs der sogenannten „zwölf Nächte", und unter diesen vorzüglich den ersten Januar, mit dem unter den Gebildeten, und den Dreikönigstag, mit dem unter dem altgläubigen Landvolk das Jahr beginnt. Die belgischen Sitten und Mei¬ nungen in Bezug auf diese Tage zu betrachten hat ein besonderes Interesse insofern, als Belgien ein Grenzland ist, in welchem sich französischer und deut¬ scher Gebrauch mischen, und als wir an verschiedenen Einzelnheiten dabei inne werden, wie weit jener diesen verdrängt hat. Wir folgen in unsrer Darstellung auszugsweise den Aufzeichnungen des Barons von Reinsbcrg, die wir bei dieser Gelegenheit denen, welche an der in Rede stehenden Seite des Volks¬ lebens Interesse nehmen, bestens empfehlen.") Wie allenthalben in Deutschland setzt sich am ersten Januar auch in Belgien alle Welt in Bewegung, um seinen Freunden, Verwandten und Gön¬ nern zu gratuliren: die Einen wünschen ,,uno Ireureuss ann^c", die andern „een zalig'nieuwjaer" und hier wie dort wird man für diese Glückwünsche mit Erfrischungen, Liqueur und Zuckergebäck bewirthet. Früher stellten in Brüssel die Wohlhabenden vor ihren Hausthüren Tische mit Speisen, Getränken und Kerzen auf, an denen alle Vorbeigehenden trnctirt wurden. In Antwerpen pflegte man sich mit dein Wunsch: „'ne zalige mite" zu küssen, und zwar ohne daß Stand oder Geschlecht dabei einen Unterschied machte. In Dinant bäckt man für die Gratulanten Fladen. In Furnes wird das Gratuliren „indem" genannt, von „tut", dem vlämischen Worte für Glück. Im Limburgschen nennt man es „vcrrassen," d. h. überraschen, indem hier jeder bestrebt ist, dem andern zuerst sein „gelökseclig nöwjoar" zuzurufen, wo¬ für dieser dann ein Geschenk zu geben hat, sofern es nicht ein Schaltjahr ist, in welchem letztern Fall die Sitte das Umgekehrte verlangt. Man pflegt hier so früh als möglich aufzustehen, und sich leise ein Versteck zu wählen, wo man denen, auf die es abgesehen ist, plötzlich mit seinem Glückwunsch entgegentreten und sich das Nenjahrsgeschenk, welches für Dienstboten in einem Pfefferkuchen und einem Schnäpschen, für Kinder in eingemachten Früchten besteht, ver¬ dienen kann. Ein ähnlicher Gebrauch herrscht in den altväterischen Bürgerhäusern Brügges, wo der, welcher der Frau vom Hause am Neujahrsmorgen mit einem Der Titel des Buches ist: „(Älsriäi'ier IZsIge, — Zi?steh reliAisuseg se civiles, usa.- vrvvg,uchs et xrg>ti«iuvs poxulkir«« clvs Lsiges arieiolls ot moäei'UM. ?Ar Is L^ron Sö RÄllsderz-DllrmgskM. ?rsmisrö livrmson. I'. Vlassssu, I/ibrsirö-vÄitour. 1S60.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/512>, abgerufen am 03.05.2024.